Heimatverein Wünnenberg

Der lange Weg vom Flachs zum Leinen

Der Heimatverein Wünnenberg steckt mitten in einem „Flachsjahr“. Saat und Ernte haben die Mitglieder schon hinter sich gebracht. Jetzt verarbeiten sie die Leinenpflanze.

Immer wieder klopft Marita Schäfers mit der Breche auf ­einen getrockneten Flachsbüschel. Der Hauch harter Arbeit liegt in der Luft. Das Gerät erinnert an eine große Klappe aus Holz und steht in der Heimatscheune in Bad Wünnenberg im Kreis Paderborn. „Die Breche hieß in Westfalen Racke. Daher stammt der Begriff Rackern für echte Maloche“, erzählt die Handwebmeisterin. Sie ist Mitglied des örtlichen Heimatvereins. Unter der Breche sammelt sich mittlerweile der hölzerne Rest der Faserpflanze, die Schäbe. Bevor aus dem Flachsstängel eine weiche Faser wird, die sich spinnen lässt, müssen die holzigen Bestandteile verschwinden.

Der Heimatverein Wünnenberg hat ein „Flachsjahr“ ausgerufen. Denn: Vor dem Aufkommen der Baumwolle bestanden gerade auf dem Land die meisten Kleidungsstücke aus Wolle oder Leinen. Flachsfelder gehörten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auch in Westfalen ganz selbstverständlich zum Landschaftsbild.

Am Sonntag, 24. Oktober, eröffnet der Heimatverein Winnenberg die Spinnstube in der Heimatscheune. Ab 14 Uhr können Interessierte vor Ort das alte Handwerk bestaunen. Die Adresse lautet Stadtring 8 in 33181 Bad Wünnenberg.

Marita Schäfers spinnt die Flachsfaser am Spinnrad zu Garn. (Bildquelle: Otte)

Spinnschule im Ort

In Bad Wünnenberg hat die Verarbeitung eine besondere Tradition. In der einstigen Ackerbürgerstadt, wo das Paderborner Land ins Sauerland übergeht, richteten die Preußen in den 1830er-Jahren eine königliche Spinnschule ein. Dazu reiste extra ein Lehrer aus Bielefeld, einer damaligen Hochburg der Leinenweberei, an. Er lehrte Mädchen und Jungen das Spinnen. „Das Garn verkauften die Bauern nach Geseke oder Bielefeld und hatten so etwas Geld in der Tasche“, weiß Regina Reichbach vom Heimatverein. Sie hat gemeinsam mit Marita Schäfers die Chroniken durchstöbert und das Flachsjahr geplant. „Wir haben den Faden wieder aufgenommen“, sagt Marita Schäfers.

Gerätschaften wie Breche, Riffel, Hechel und sogar einen etwa 200 Jahre alten Webstuhl entdeckten sie in Kellern und auf Dachböden im Ort. Die Geräte füllen nun die Heimatscheune und machen die Zeit um 1800 erlebbar.

Im Riffelkamm verliert der Flachs seine Samen. (Bildquelle: Heimatverein Wünnenberg)

Die Industrialisierung und das massenhafte Aufkommen der Baumwolle verdrängten im Laufe des 19. Jahrhunderts das handwerkliche Leinenspinnen. Zur Aussteuer gehörte aber bis ins 20. Jahrhundert ein reines Stück Leinen, hergestellt in Handarbeit. Seit den 1980er-Jahren erlebt die Flachsfaser ein Revival und wird heute als nachhaltige Alternative zur Baumwolle vermarktet.

Wie Anbau und Verarbeitung funktionieren, das haben die Heimatfreunde in diesem Jahr Schritt für Schritt kennengelernt. Mitglieder der Landtechnikgruppe des Ortes haben Ende April auf 500 m² Leinsamen in die Erde gebracht. An sich wird der Gemeine Leinen, wie er botanisch heißt, um den 100. Tag des Jahres ausgesät. „Das war früher eng mit dem Osterfest verbunden“, erklärt Marita Schäfers. In diesem Jahr ließ das feuchte Wetter eine frühere Aussaat nicht zu.

Flachs blüht blau, aber meist nur an einem Tag im Juni. (Bildquelle: Heimatverein Wünnenberg)

Aus Flachs wird Leinen

„Man sät Leinsamen, erntet Flachs und aus dem Flachs wird Leinen“, bringt die Expertin für Naturfasern etwas Ordnung in die oft synonym verwendeten Begriffe. Gemeinsam mit Regina Reichbach machte sie sich über den Anbau der genügsamen Pflanze schlau und gewann vor allem eine Erkenntnis: Der traditionelle Flachsanbau war mühsam. Mehrfach mussten die Mitglieder des Heimatvereins Unkraut jäten.

Etwa 100 Tage nach der Aussaat, sprich Ende Juli/Anfang August, lässt sich der Flachs ernten. Dann, wenn die Samen goldgelb sind. Der Flachs wird dabei nicht gemäht, sondern gerauft. Das heißt, die Pflanze wird samt Wurzel he­rausgerissen, damit die Fasern nicht beschädigt werden.

Diese Arbeit übernahmen früher Knechte und Mägde ausnahmsweise gemeinsam. Danach schlugen sie die Garben des Flachses in den Riffelkamm, um die Samen vom Stängel zu trennen. Die Samen gelangten in die erneute Aussaat, die Ölmühle oder den Trog. Nach Raufen und Riffeln floss der Branntwein. „Es fiel der eine oder andere Spruch“, bemerkt Marita Schäfers. Auch Annette von Droste Hülshoff erwähnte die derbe Sprache. Daraus entstand der Begriff „Rumflachsen“.

Trockene und feuchte Rotte

Damit sich das Holz anschließend besser von der Faser löst, muss der Flachs angerottet werden. Dazu gibt es zwei Varianten: Bei der Tauröste liegen die Flachsstängel für mehrere Wochen auf dem Feld. Der Tau benetzt sie in den Morgenstunden. Anschließend trocknen sie wieder. Faser und Holz lösen sich in bis zu sechs Wochen.

Deutlich schneller funktioniert die Teichrotte. In angelegten Teichen faulen die Flachsstängel an und die holzigen Teile lassen sich schon nach wenigen Tagen lösen. Das Wasser ist danach aber verunreinigt. „Das sah die Obrigkeit nicht gerne. Man machte es heimlich“, erzählt Regina Reichbach. Der Heimatverein experimentierte mit beiden Varianten und ließ dazu den Flachs in aufgeschnittenen Wassertanks rotten. Nach der Rotte brachten die Ehrenamtlichen den getrockneten Flachs auf die Tenne der Heimatscheune.

Marita Schäfers zieht Flachsfasern durch die Hechel. (Bildquelle: Otte)

Dort zieht Marita Schäfers nun die Flachsfaser durch die Grobhechel, eine Art große Bürste. Dabei lösen sich weitere holzige Stücke, ohne die Struktur der Fasern zu zerstören. „Immer feiner muss es werden“, sagt sie und wiederholt das Ganze anschließend an der Feinhechel. Durch das Hecheln fallen kurze Fasern zu Boden und die langen Fasern werden parallel geführt. Das vereinfacht das spätere Spinnen, das Ende Oktober beginnt.

In der Heimatscheune in Bad Wünnenberg steht ein etwa 200 Jahre alter Webstuhl. In ihm sollen bald wieder die Schiffchen fliegen. Wer mehr zum Flachs wissen will, kann den Heimatverein jederzeit über seine Homepage kontaktieren und Treffen vereinbaren.

www.heimatverein-bad-wuennenberg.de

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