Wer durch die Feldflur geht, entdeckt Spuren der alten Römer. Der Kamp stammt vom Lateinischen „campus“, zu Deutsch freier Platz. „Copula“, zu Deutsch Band, ist die Wurzel des Wortes „Koppel“. Auch der Pütt – angeblich typisch Ruhrpott – ist lateinischen Ursprungs. Die Römer nannten eine Wasserstelle „puteus“, sagten das aber auch zu einer Grube.
Nicht nur diese Beispiele zeigen, wie stark die angeblich tote Sprache unsere Alltagsbegriffe noch prägt. Dem widmet sich die Ausstellung „Latein – tot oder lebendig“ im Klostermuseum in Dalheim bei Paderborn. Sie läuft bis zum 8. Januar 2023.
Einkauf im „Superreal“
Im fiktiven Supermarkt „Superreal“ lassen sich zu Beginn der Schau Produkte darauf scannen, ob ihr Name lateinischen Ursprungs ist. So pflegen wir unsere Haut mit Nivea (lateinisch für die Schneeweiße) und lesen den Focus (lateinisch für Brennpunkt). Hanuta hingegen ist nur eine Abkürzung für Haselnusstafel. So erlebt auch der Gast, der nie Latein in der Schule hatte, zahlreiche Aha-Momente über die Sprache Roms.
Die Schau blickt auf 2100 Jahre Sprachgeschichte zurück und erzählt sie anhand von elf Personen. Besucher begegnen dem römischen Redner und Politiker Cicero, der Äbtissin und Mystikerin Hildegard von Bingen, dem Humanisten Erasmus von Rotterdam und zu guter Letzt Asterix bzw. seinen Schöpfern René Goscinny und Albert Uderzo. Der Bedeutungswandel der Sprache in der europäischen Kultur- und Bildungsgeschichte wird deutlich.
Der einstige Dialekt einer Region um Rom, dem Latium, der etwa 600 v. Chr. entstand, breitete sich im Marschgepäck der Legionäre bis nach Schottland und zum Persischen Golf aus. Allein das lateinische Alphabet ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Popkultur-Sprache
Es waren aber nicht nur das Militär und der Handel, die den nachhaltigen Erfolg säten. Auch Literatur und Poesie trugen dazu bei. Latein hatte einst eine ähnliche Bedeutung wie das Englische heute für die Popkultur. Das zeigen zum Beispiel Werke von Horaz und Ovid. Vor allem Cicero prägte das klassische Latein, wie es heute noch in den Schulen gelehrt wird. Nach ihm veränderte sich die Grammatik kaum noch.
Das Latein überlebte im weströmischen Reich die Völkerwanderung als Sprache der Gottesdienste. Die Bildungsreform Karls des Großen, der selbst weder Latein sprach noch schrieb, rettete die Sprache vor dem Untergang. Sie mutierte zur Sprache ohne Volk und zum Verständigungsmittel der Gelehrten.
Im Mittelalter war sie die Sprache der Wissenschaft, des Unterrichts, der Diplomatie sowie der Literatur. Aus der Kirchen- und Gelehrtensprache wurde ab dem 15. Jahrhundert eine allgemeine Bildungssprache. Dabei sah sich das Lateinische immer wieder Krisen ausgesetzt. Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts versetzte dem aktiven Sprachgebrauch in der Schule einen Todesstoß.
Für den Besuch
Öffnungszeiten: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr; ganzjährig geöffnet, außer am 24., 25. und 31. Dezember.
Eintrittspreise: Erwachsene: 10 €, ermäßigt: 5 €; Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre: Eintritt frei.
Adresse: LWL-Landesmuseum für Klosterkultur; Am Kloster 9, 33165 Lichtenau-Dalheim.
Telefon: (0 52 92) 93 19-0
www.stiftung-kloster-dalheim.lwl.org
Nicht tot zu kriegen
„Der Einfluss des Lateins auf die noch lebende Sprache und die europäische Kultur ist maßgebend“, sagt Dr. Ingo Grabowsky, Leiter des Museums in Dalheim, und ergänzt: „In Zeiten stärker werdender antinationalistischer und populistischer Bewegungen ist auch die Völker verbindende Funktion als gemeinsame europäische Basis hervorzuheben.“
Denn Latein ist nicht nur Mutter der romanischen Sprachen, sondern auch Stiefmutter des Englischen und Deutschen. So wurzeln nicht nur 80 % unserer Fremdwörter in der lateinischen Sprache. Begriffe wie Virus oder Praktikum stammen aus dem Lateinischen, aber auch urdeutsch klingende Begriffe wie Fenster (lat. fenestera) oder Käse (lat. caseus) bürgerten sich vor Jahrhunderten ein.
Doch für manche Schüler ist Latein die letzte Rache der Römer an den Germanen. Der Unterricht mit seinen Deklinationen und Konjugationen sorgt bei manchen immer noch für Unbehagen. Andere Schüler können dank des Lateins Deutsch und seine Grammatik besser verstehen. Der Sprache haben die Deutschen Zeiten wie das Plusquamperfekt oder das Futur II, die vollendete Vergangenheit und die vollendete Zukunft, zu verdanken.
Als Urvater des Schullateins gilt der Theologe Johann Amos Comenius (1592–1670). Er schuf ein Schulbuch, welche das kindgemäßes Lateinlernen ermöglichte.
Tweets auf Latein
Heute gilt Latein noch als dritthäufigste Fremdsprache. Nach einem kurzen Zwischenhoch im Schuljahr 2008/09 mit 830 000 Schülern, die Latein wählten, bewegt sich die Zahl abwärts auf 550 000. Selbst für Medizin und manches Romanistikstudium braucht man oft kein Latinum mehr.
Doch es gibt immer noch aktive Fans der toten Sprache: Es erscheinen weiterhin Lateinlexika mit Wortneuschöpfungen, der Papst twittert auf Latein und nicht nur in den Abenteuern von Asterix werden lateinische Redewendungen zitiert.
Der Radiosender Bremen Zwei überträgt einmal im Monat eine lateinische Nachrichtensendung. Im Museum können Besucher hören, wie gesprochenes Latein klang mit Auszügen von Cicero und Horaz. Die Ausstellung ist komplett zweisprachig und macht die tote Sprache lebendig.
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