Westfalen gehörte einmal zum Land der Germanen. Das ist zwei Jahrtausende her. Doch die Germanen beflügeln immer noch und immer wieder die Fantasie – keineswegs nur in donnernden Wagner-Opern, sondern auch in Fantasy-Romanen oder in aufwendigen Spielfilmen, die hohe Besucherzahlen und Einschaltquoten bescheren. Bilder sind da im Schwange von wilden Kerlen mit zotteligen Haaren, die Helme mit Hörnern tragen, ständig Streit suchen – und am Ende eine Weltmacht wie die Römer in die Knie zwingen.
Stimmt das alles? Wer waren die Germanen überhaupt? Waren sie überhaupt „ein“ Volk? Und sind sie tatsächlich „unsere“ Vorfahren? Diesen Fragen geht eine große Sonderausstellung nach, die vor wenigen Tagen im Museum für Vor- und Frühgeschichte auf der Museumsinsel in Berlin eröffnet worden ist. Gezeigt werden mehr als 700 Ausstellungsstücke, gefunden und zusammengetragen aus dem gesamten mittel- und osteuropäischen Raum.
Pflugschare, Sensen, Sägen
Die Stämme und Siedlergruppen haben keine Briefe und keine Bücher und auch sonst nichts Schriftliches hinterlassen – selbst ihren Namen haben sie von den Römern. Sie selbst haben sich kaum als einheitliches „Volk“ betrachtet.
Aus den archäologischen Funden, die in Berlin zusammengestellt sind, entsteht vielmehr das Bild locker zusammengehöriger Siedlungen mit jeweils bis zu 20 Gehöften. Land- und Viehwirtschaft bildeten die Lebensgrundlage. Wie das im Einzelnen aussah, wird an Funden aus der Siedlung Feddersen Wierde im Landkreis Cuxhaven gezeigt. Dort wurden Pflugschare, Sicheln, und Bruchstücke von Mühlsteinen ausgegraben, die vor gut 1800 Jahren verwendet worden sind. Es fand sich dort sogar ein vollständiges Sensenset mit Zwinge, Amboss, Dengelhammer und Sensenblatt. Auch Funde wie Angelhaken, Webgewichte und Bienenhütten, sogenannte Rutenstülper, sowie Spaten oder Sägemesser geben einen Einblick in die agrarische Welt dieser und anderer germanischer Siedlungen.
Deren Bewohner müssen es auch verstanden haben, auf einem recht hohen Niveau Eisen sowie Gold, Silber, Bronze, Kupfer und Messing zu verarbeiten. Davon zeugen Eisenwerkzeuge, Lanzen und andere Waffenteile, aber auch Gürtelschnallen, Fibeln und Armreife, Rinderfiguren aus Bronze sowie filigraner Halsschmuck aus Silber und Bernstein. Eindrucksvoll ist auch der Buckel eines Waffenschildes, der aus einem erbeuteten römischen Gefäß umgeschmiedet worden ist.
Leihgaben aus Westfalen
Die rund 700 in Berlin gezeigten Exponate sind Leihgaben aus Rumänien, Polen, Dänemark und aus zahlreichen Museen in Deutschland. Unter den Ausstellungsstücken sind auch etliche Funde aus Westfalen:
- ein Essestein mit Schlackebelag aus Heek-Nienborg, der aus einer frühen Schmiede stammt;
- Überreste germanischer Bleiverarbeitung aus Soest, unter anderem Bleibarren, Skulpturen und Darstellungen menschlicher Gesichter;
- Reste einer Lampe aus Castrop-Rauxel;
- ein Knauf mit Perle und Schmuckeinlage sowie Gussformen aus Kamen-Westick;
- zwei Schwerter, eine Lanze, und eine Keule aus Damme im Landkreis Vechta.
Ein umfangreicher Teil der Sonderausstellung in Berlin befasst sich mit den Sagen- und Götterwelten der Germanen, aber auch mit den vielen Mythen und Legenden, die sich spätere Generationen über die Vorfahren in den angeblichen „Wäldern Germaniens“ zusammenfantasiert haben.
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Ort: Die Sonderausstellung „Germanen – eine archäologische Bestandsaufnahme“ ist bis zum 21. März kommenden Jahres zu sehen im Neuen Museum und der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel Berlin.
Öffnungszeiten: Dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet.
Eintritt: Erwachsene 14 €, ermäßigt 7 €.
Begleitbuch: Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter, informativer Katalog erschienen. Der Band (Verlag wbg Theiss Darmstadt, 640 Seiten, rund 300 Abbildungen, ISBN 978-3-8062-4261-4) kostet im Museum 39 €, im Buchhandel 50 €.
Wichtig zu wissen: Es gelten die üblichen Corona-bedingten Hygiene-Regelungen. Der Besuch ist nur möglich mit einem „Zeitfensterticket“, das vorab online gebucht werden muss.
Weitere Informationen: Buchung von Gruppenbesuchen und Führungen sowie weitere Infos unter Tel. (030) 2 66 42 42 42.
www.germanen-ausstellung.de