Veronika Scheer-Gerken ist zurück zu Hause auf dem elterlichen Hof. Als sie vor knapp 40 Jahren nach dem Abitur nach Berlin zog, hätte sie das kaum für möglich gehalten. Aber jetzt wohnt die 57-Jährige wieder auf dem Hof der Familie in Hellinghausen, einem Dorf 3 km westlich von Lippstadt im Kreis Soest.
Ihre Wohnung im Erdgeschoss des Haupthauses ist frisch saniert. Durch die großen Fenster auf der Gartenseite dringt viel Licht in den offenen Wohnraum. Von der Holzterrasse geht der Blick über die Weiden. Veronika Scheer-Gerken hat Spaß am Einrichten und ein Händchen für die Kombination von Alt und Neu. Den Umzug im vergangenen Jahr hat auch ihr Mann Dr. Martin Gerken noch erlebt. Wenige Wochen später starb der Arzt nach kurzer, schwerer Krankheit.
Für die Höhen und Tiefen
„Wir haben hier viele schöne, aber auch traurige Momente erlebt“, sagt Veronika Scheer-Gerken. Vor ihrem Mann waren schon ihre Eltern und 2019 – ebenfalls nach schwerer Krankheit – ihr ältester Bruder Clemens auf dem Hof gestorben. Er war der Landwirt unter den vier Geschwistern. Als absehbar war, dass er die Arbeit nicht mehr schaffen würde und der Betrieb auch keine Perspektive für den Haupterwerb mehr bot, entschlossen sich alle zusammen für einen ungewöhnlichen Weg: Heute führen sie den Hof gemeinsam weiter und sind auch zusammen Eigentümer. Dafür wurde der Hof aus der Höfeordnung genommen. Das Konzept ist gewachsen oder maßgeschneidert, ganz wie man will. Nur ein Ziel stand von Anfang an fest: Der Hof soll Treffpunkt der Familie bleiben und irgendwann an die nächste Generation übergehen.
Seit rund 200 Jahren sind die Scheers auf dem Betrieb am Ortsrand unweit der Dorfkirche ansässig. 20 Kühe und 60 Mastschweine hatten die Eltern im Stall. Das Grünfutter kam unter anderem von den nahen Lippewiesen. „Unser Vater sprach immer von Teeheu, wegen der vielen Kräuter“, erinnert sich Veronika. Sie ist schon 1990 aus Berlin nach Lippstadt zurückgekehrt und seitdem als Physiotherapeutin selbstständig.
Pferde, Rinder und Kunst
Die verbliebenen Ställe auf dem Hof nutzt die Familie heute für die Haltung von Pensionspferden und -rindern. Auch für Letztere gibt es Liebhaber ohne Ställe und Weiden. Die Scheune ist an einen Garten- und Landschaftsbauer verpachtet. In den oberen Etagen des Wohnhauses entsteht gerade eine geräumige Mietwohnung. Und im alten Kuhstall, der zu niedrig für die Haltung von Pferden ist, lebt Veronika Scheer-Gerken ihr Faible für die Kunst aus. Vor fünf Jahren hat sie eine Galerie eröffnet (siehe Kasten). Die benachbarte alte Diele bietet Platz für Seminare oder Menschen, die mal in anderer Umgebung am Computer arbeiten möchten.
„Wir hatten keinen Masterplan, das hat sich Schritt für Schritt entwickelt“, sagt Franz-Egbert, mit 56 Jahren der Jüngste der Geschwister. Der Betriebswirt lebt in Erwitte, ist zuständig für die Verpachtung und kümmert sich auch um die Buchhaltung. Heinz-Werner (62) ist in Lippstadt zu Hause und im Hauptberuf Vermessungsingenieur. Er führt den landwirtschaftlichen Betrieb im Nebenerwerb. Schwerpunkte sind dabei der Ackerbau und das Grünland. Familie und Nachbarn helfen bei Bedarf, zum Beispiel bei der Heuernte.
Gemeinsam Bunde packen
„Dazu haben wir eine Whatsapp-Gruppe“, berichtet Maximilian Scheer, der 26-Jährige Sohn von Heinz-Werner. Wenn die kleinen Bunde in die Scheune gepackt werden müssen, ist er gerne dabei, genauso wie seine insgesamt sechs Cousins und Cousinen. Darunter sind auch Theresa und Johanna, die beiden Töchter des verstorbenen Clemens und die Kinder von Franz-Egbert, Julius, Marlene, Carla und Laurenz. „Wir teilen uns die Arbeit, sodass es für niemanden zu viel ist – auch nicht finanziell“, sagt Veronika Scheer-Gerken.
Mit viel Rückenwind
Mit am Tisch sitzen an diesem Nachmittag auch die Architektin Annette Illert-Passgang, die in den vergangenen zehn Jahren alle Umbauarbeiten begleitet hat, und Thomas Stuckenschneider. Er ist Ortsvorsteher von Hellinghausen. „Hier oben ist immer Leben“, freut er sich über die offenen Türen auf dem Hof. Kinder spielen mit Hühnern, bestaunen den Trecker und klingeln, weil sie eine Süßigkeit abstauben möchten.
Ganz nebenbei war die Galerie im einstigen Stall in diesem Sommer auch die Ersatz-Kirche von Hellinghausen. Denn: Im Mai fegte ein Tornado durch den Ort und raubte der alten Kirche die Turmhaube. Bis Erntedank fanden Gottesdienste deshalb bei den Scheers statt – inklusive einiger Beerdigungen.
Angekommen am Ankerpunkt
Veronika Scheer-Gerken mag den Trubel, vor allem zu fröhlichen Anlässen. Und sie fühlt sich angekommen. Während der Begleitung ihrer Eltern und des Bruders auf dem Hof sei ihr der Ort immer wichtiger geworden, sagt sie. „Auch meine Wertschätzung für die Leistung unserer Eltern auf dem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb ist gewachsen.“
Das Motto der Galerie hat Veronika Scheer-Gerken in Leuchtbuchstaben direkt neben dem Eingang anbringen lassen: „Vita brevis, ars longa“ – „Das Leben ist kurz, die Kunst lang“. Das ist auch ein bisschen das, was sich die Geschwister Scheer für den Hof wünschen: Dass er auch für folgende Generationen Ankerpunkt bleibt.
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Der Kunst-Raum Scheer
Vor fünf Jahren hat die Galerie im alten Kuhstall eröffnet. Die Kappendecke ist weiß getüncht, die Streben sind grau abgesetzt und den alten Stallboden hat polierter Estrich ersetzt. Vier Künstlerinnen und Künstler lädt Veronika Scheer-Gerken jedes Jahr zu Ausstellungen ein.
Sie zeigen die ganze Bandbreite der bildenden Kunst, von Gemälden, Zeichnungen und Fotografien bis zu Skulpturen und Installationen. Mit dabei war bereits eine Schülerin von Joseph Beuys, aber auch ein Lippstädter, der mit 80 Jahren erstmals seine Kalligraphien zeigte. Noch bis zum 6. November sind unter dem Titel „Unterwegs“ Bilder des jungen Fotografen Max Passgang zu sehen.
Der „Kunst-Raum Hof Scheer“ am Gieselerweg 26 in Hellinghausen ist während der Ausstellungen samstags und sonntags von 13 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet.
www.scheer-raum.de
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