Wer sich in ein Fachwerk-Abenteuer stürzt, braucht eine Portion Naivität. Vor allem, wenn in den Balken fast 400 Jahre stecken und drei Etagen mit jeweils 120 m² auf einen warten. „Nur so bringt man genug Durchhaltevermögen mit“, sagt Daniel Klein. Gemeinsam mit seiner Frau Irena hat der 38-Jährige vor sieben Jahren in Grebenstein (Landkreis Kassel) ein denkmalgeschütztes Bauernhaus gekauft.
Viel in Eigenleistung
Das Fachwerk prägt die einstige Ackerbürgerstadt zwischen Kassel und Hofgeismar. Das Haus der Familie liegt nahe der Burgruine. Daniel Klein hat sich im Lauf der Jahre zum Fachmann für Fachwerk entwickelt. Dabei ist er weder Zimmermann noch Tischler, sondern arbeitet beim Landkreis in der Jugendhilfe.
Zwei von drei Etagen des denkmalgeschützten Hauses hat die Familie inzwischen renoviert – davon weite Teile in Eigenleistung. Dazu hat der Autodidakt sich mit Handwerkern aus der Region ausgetauscht und Kurse an der örtlichen Bauakademie besucht.
Zurzeit ist die Frontfassade eingerüstet. Im Sommer soll das Gerüst verschwunden sein. Der Familienvater hat die alte Farbe von den Balken geschliffen. „Das hat Zeit und Nerven gekostet“, gesteht er. Die Gefache hat er neu verputzt. Dafür gingen Urlaube und Wochenenden drauf.
Die Eichenfenster in der Frontfassade hat das Ehepaar von Lack und Kitt befreit. Die Fenster sind mit Leinöl gestrichen und neu verglast. Sie warten in der Scheune auf den Einbau.
Nicht verbastelt
Auch Irena Klein hat das Fachwerk-Fieber ergriffen. Nach Schulschluss packt die Grundschullehrerin auf der Baustelle mit an. Als die beiden Söhne Mattis und Janne noch kleiner waren, drückte sie ihrem Mann die Kinder in die Arme und schliff Türrahmen und strich Fensterbänke.
„Es gibt hier keinen 90°-Winkel wie in einem Neubau. Das Haus hat seinen ganz eigenen Charakter“, sagt die 40-Jährige. Selbst wuchs Irena Klein in einer, wie sie sagt, „klinisch reinen Eigentumswohnung“ in Göttingen auf.
Ihre Kinder sollten aber auf dem Land groß werden. Daher wollten die Kleins nach der Geburt des ersten Sohnes die Großstadt Kassel verlassen. Hinzu kam der Wunsch nach eigenen bezahlbaren vier Wänden. Sie schauten sich verschiedene Immobilien an. Beim ersten Besuch ihres heutigen Eigentums stutzte Irena Klein noch. Brennnesseln überwucherten den Innenhof. Außerdem erschien es ihr zu groß.
Gemeinsam mit einem Zimmermann begutachteten die Kleins das Haus. Die Substanz des Fachwerks war gut. Große Balken brauchten nicht getauscht werden und die Gefache waren ausgemauert.
„Die Gebäudehülle war bis hoch zum Dach in einem guten Zustand und das Haus nicht verbastelt“, sagt Daniel Klein und ergänzt: „Wir konnten es fast wie einen Rohbau behandeln.“ Das überzeugte das Ehepaar und es kaufte das Haus für 35 000 €.
Von Raum zu Raum
Wichtig ist, dass sie von Raum zu Raum, von Etage zu Etage denken. „Sonst erschlägt einen die Arbeit“, sind sich die beiden einig. Im April 2014 begannen sie im ersten Obergeschoss. Dort befinden sich die Schlafzimmer der vierköpfigen Familie und ein neues Badezimmer.
Das war für Irena Klein die Voraussetzung für den Einzug im Sommer 2015. Denn zuvor stammten Armaturen und Elektrik aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Jetzt entdeckt man eine moderne Badewanne und eine bodengleiche Dusche.
Danach ging es an das zweite Obergeschoss. Versuche der Vorbewohner, mit Rigipsplatten und Glaswolle die 120 m² zu unterteilen, flogen direkt raus. Mittlerweile haben sie dort eine neue Küche samt Wohnessbereich für die Familie unterteilt durch eine Fachwerkwand.
Nun ist das Erdgeschoss an der Reihe. Dort soll sich auf Dauer das Leben abspielen. Küche und Wohnzimmer sind in Planung.
Die Zimmermänner haben gerade begonnen, ein durchgängiges Treppenhaus für alle drei Etagen im hinteren Teil des Hauses zu bauen. Zurzeit betritt der Besucher das zweite Obergeschoss noch über eine vergleichsweise steile Treppe.
Mit Lehm arbeiten
Im ersten und zweiten Obergeschoss sucht man vergebens Heizkörper. Die Heizung verläuft in der Wand. Im Erdgeschoss ist eine Fußbodenheizung geplant. Die Wärme stammt aus einem Pelletvergaser und einem modernen Scheitholzofen, für den sie im Jahr 13 Raummeter Holz brauchen.
Wichtig war die Innendämmung. „Das hat sich gezogen“, erinnert sich Daniel Klein. Zunächst trug er auf die ausgemauerten Gefache einen Lehmputz auf. Dann folgten Holzfaserdämmplatten. An sie montierte er Schienen und Schlaufen für den Heizschlauch der Wandheizung. Darauf folgten zwei weitere Schichten Lehmputz, eine gröbere und eine feinere.
Manche der Wände haben die Kleins bewusst nicht gestrichen. So vermittelt es für sie ein wärmeres Gefühl. „Der alte Baustoff Lehm verzeiht Fehler. Wenn er nicht beim ersten Mal hielt, trug ich ihn erneut auf“, sagt der Fachwerk-Enthusiast.
Allein schon aus bauphysiologischer Sicht funktioniert das Sanieren im Fachwerk nur mit solchen ökologischen Baustoffen. Im Erdgeschoss, das nicht unterkellert ist, haben sie direkt auf den Sandsteinsockel anstatt mit Holzfaserdämmplatten mit Schilfrohrmatten gedämmt. Sie vertragen mögliche Feuchtigkeit besser.
Leben in die Nachbarschaft
Was die Kleins nach sieben Jahren gemerkt haben: Es sind fast keine Arbeiten unmöglich. So hat sich auch draußen einiges verändert. Wo früher die Miste war, ist jetzt eine Terrasse samt Feuerstelle. Neben dem Aufgang zum Heuboden können die Kinder rutschen. Vor Corona gingen die Freunde der Jungs ein und aus.
Mittlerweile mästen sie im alten Stall wieder zwei Schweine und halten ein paar Hasen und Hühner. Vor der Scheune steht ein öffentlicher Bücherschrank, und sie bieten gerne ihren älteren Nachbarn Hilfe an. So sorgt die Familie nicht nur für Leben in dem alten Gemäuer, sondern in der gesamten Straße.
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