Der Bohrer schiebt sich Stück für Stück in einen Ständer des alten Backhauses. Mit einem Metallhaken löst Erhard Preßler den Holzzylinder heraus. „Eine gute Probe“, sagt der 74-Jährige. Das Holzstäbchen ist rund 10 cm lang und hat einen Durchmesser von etwa 1 cm. Rundherum ist die Abfolge der Jahresringe am Eichenholz gut zu sehen. Angesetzt hat der Mann aus Gersten im Landkreis Emsland den Bohrer da, wo noch die sogenannte Waldkante zu sehen war, also der Übergang vom Splintholz zur Rinde. Das ist wichtig. Denn nur so erwischt er den jüngsten Jahresring.
Seit den 1980er-Jahren bestimmt Preßler, der eigentlich aus dem kaufmännischen Bereich kommt, das Alter von verbauten Hölzern. Über die Erforschung alter Bauernhäuser ist er zu diesem Thema gekommen, das er seit mittlerweile mehr als 30 Jahren in einer eigenen Firma beackert.
Breite und schmale Ringe
Der Fachbegriff für die Methode lautet Dendrochronologie. Das bedeutet so viel wie die „Lehre vom Baumalter“. Schon Leonardo da Vinci hatte beobachtet, dass sich die Jahresringe bei gleich alten Bäumen ähneln. Regnet es in einem Jahr ausreichend und geht es dem Baum gut, bildet er einen breiten Jahresring aus.
Muss er mit Trockenheit klarkommen, fällt der Zuwachs deutlich schmaler aus. Jahresringe bilden sich, wenn ein Baum Jahreszeiten ausgesetzt ist. Im Frühjahr, wenn das Holz besonders schnell wächst, bildet sich eine Zone mit großen Poren. Im Sommer und Herbst geht das Wachstum langsamer voran. Dabei entsteht eine dichte und dunklere Schicht, die Abgrenzung zum nächsten Jahresring.
Suche nach dem Zwilling
Erhard Preßler schleift die Holzstäbchen so ab, dass die Stirnholzseite abgeflacht ist. Unter dem Mikroskop vermisst er die Breite der sichtbaren Jahresringe. Jetzt hat er den „Fingerabdruck“ des Baumes und damit die Grundlage für die Fahndung nach dem Jahr, in dem der Baum gefällt worden ist. Der Fachmann muss die Zeitspanne finden, in der andere Eichen ganz ähnlich gewachsen sind.
Dafür setzt er sich an den Computer. Weltweit gibt es rund 3000 Dendrochronologen. Sie speisen ihre Messergebnisse in verschiedene Referenzkurven oder Jahrringkalender ein. Für Erhard Preßler interessant sind bei der Probe aus dem Backhaus Ergebnisse für Eichen in Mitteleuropa. Grün zackt die Referenzkurve über das Papier. Sie bildet die Durchschnittsdaten von mehreren Hundert anderen Bauhölzern ab.
Rot liegen die Werte des untersuchten Eichenbalkens darunter. Es dauert nicht lange und Preßler hat den passenden Zeitabschnitt gefunden. Die Eiche wurde mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 % im Jahr 1719 gefällt. Das passt zur Inschrift am Backhaus. Sie verkündet, dass das Haus im Frühjahr 1720 gerichtet wurde. „Holz wurde meistens direkt nach dem Fällen verbaut“, sagt Preßler.
Baugeschichte beachten
Trotzdem passen das Alter der verbauten Hölzer und das Baujahr eines Hauses nicht immer zusammen. Denn es war üblich, Holz aus abgerissenen oder umgebauten Häusern wiederzuverwenden. Zu erkennen sind solche Balken häufig an alten, nicht mehr genutzten Zapfenlöchern. Preßler empfiehlt deshalb für die Altersbestimmung eines Hauses fünf bis sechs Proben zu nehmen. Die Untersuchung und Auswertung kostet dann netto etwa 50 € pro Holzprobe.