Wenn Kinder einen Schlaganfall erleiden

Jährlich erleiden bundesweit knapp 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Schätzungsweise 300 unter ihnen sind Kinder. Luis Gerdhenrich aus Herzebrock-Clarholz im Kreis Gütersloh ist eines dieser Kinder.

Jährlich erleiden bundesweit knapp
270.000 Menschen einen Schlaganfall. Schätzungsweise 300 unter ihnen sind Kinder. Luis Gerdhenrich aus Herzebrock-Clarholz im Kreis Gütersloh ist eines dieser Kinder.


Luis ist ein aufgeweckter bewegungsfreudiger Junge im Alter von dreieinhalb Jahren. Im Wohnzimmer wirbelt er nur so um den Wohnzimmertisch herum. Und während unseres Interviews mit seinen Eltern wird der Abstand zwischen Wohnzimmer- und Terrassentür zu seiner persönlichen Rennstrecke. Auf den ersten Blick ist dem quirligen Jungen nicht anzusehen, dass er in seinen jungen Jahren schon Schlaganfallpatient ist.

Beim genauem Hinsehen jedoch fällt der rechte Arm auf, den Luis beim Laufen nicht mitschwingt, sondern nach oben reißt. Seine rechte Hand liegt in einer Schiene. Und da ist auch das rechte Bein, mit dem er beim Laufen eine Art Hüpfbewegung macht. Luis Gerdhenrich ist eines der geschätzten 100 Kinder in Deutschland, die jedes Jahr im zarten Babyalter einen Schlaganfall erleben.

Ab in die Spezialklinik
Ein akuter Schlaganfall ist immer ein Notfall und sollte so schnell wie möglich in einer spezialisierten Klinik mit einer Spezialstation für Schlaganfall-Betroffene, einer sogenannten Stroke Unit, zu Deutsch „Schlaganfall-Einheit“ behandelt werden. Kann eine Hirnblutung ausgeschlossen werden und sprechen keine weitere Faktoren dagegen, kann eine Thrombolyse eingesetzt werden. Dabei werden Medikamente in den Körper eingebracht, um Blutgerinnsel aufzulösen. Entscheidend ist ein Zeitfenster von nur wenigen Stunden nach Erscheinen der ersten Symptome, in denen diese Therapie Aussicht auf Erfolg haben kann. Auch bei Kindern kann diese Therapie versucht werden. Allerdings sei der Erfolg von blutverdünnenden Medikamenten bei Kindern nicht erwiesen. „Bis heute gibt es keine zugelassene etablierte Behandlung für Schlaganfallpatienten im Kindesalter. Die Therapie bei Kindern ist ein Versuch wie bei anderen seltenen Erkrankungen auch“, erklärt Neurologe Prof. Dr. Thomas Postert.

Schwierige Diagnose bei Kindern

Luis war gerade einmal vier Tage alt, als seine Eltern Martina und André Gerdhenrich vom Schlaganfall ihres ersten Kindes erfuhren. Während ein Schlaganfall bei Erwachsenen vor allem durch Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht verursacht wird, hat er bei kleinen Kindern andere Ursachen. „Bei Kindern sind häufig Blutgerinnungsstörungen oder angeborene Herzanomalien, die Blutgerinnsel bilden, Auslöser für einen Schlaganfall“, informiert Neurologe Prof. Dr. Thomas Postert, Leiter des zertifizierten Schlaganfallzentrums (Stroke Unit) am St. Vincenz Hospital in Paderborn.

Bei Babys und Kleinkindern ist die Diagnose eines Schlaganfalls häufig problematisch. Kleine Kinder können sich schlechter mitteilen. Je jünger sie sind, desto schwieriger lassen sich Symptome wie Lähmungserscheinungen feststellen. „Man erkennt es häufig nicht“, sagt Prof. Dr. Thomas Postert. Das führe nicht selten zu einer verzögerten Diagnose; häufig zu spät, um medikamentöse Therapien einzuleiten.

Frühe Förderung ist wichtig

„Kinder haben das Glück, dass ihr Gehirn enorm entwicklungsfähig ist. Selbst große Gehirnschäden können sie durch intakte Gehirnzellen ausgleichen“, erklärt Neurologe Postert. Wichtig sei, dass früh und gezielt eine Therapie einsetze.

Luis bekam schon in der Klinik Krankengymnastik, um seine rechte Halbseitenlähmung zu trainieren. Anschließend fuhr die Mutter mit ihm zweimal die Woche zur Physiotherapie. „Zu Hause übte ich mit Luis täglich drei- bis viermal für 20 Minuten, um angeborene Bewegungsabläufe wie robben, den Vierfüßlerstand oder krabbeln zu trainieren“, berichtet sie.

Mit einem Jahr bekam Luis Frühförderung. Es folgen Ergotherapie und Logopädie. „Mit zwei Jahren lernte Luis dann laufen. Motorisch sind ihm Gleichaltrige überlegen. In einigen Bereichen ist sein einjähriger Bruder Jonas flinker als er. Aber Luis hat enorme Fortschritte gemacht“, berichtet seine Mutter. Seit Ende April dieses Jahres besucht Luis einen integrativen Kindergarten im 16 km entfernten Wiedenbrück. Hier wird er ergo- und physiotherapeutisch sowie heilpädagogisch gefördert. Trotz aller Therapien wird aber wahrscheinlich die Lähmung in der Hand bleiben, und auch die Motorik wird wohl eingeschränkt bleiben. Viele andere Dinge lassen sich zurzeit noch nicht abschätzen. LHo



Mehr zu dem Thema