Fütterstörungen

Wenn das Kind nicht isst

Kleinkinder, die das Essen verweigern, können Eltern zur Verzweiflung treiben. Bei solchen Fütterstörungen wird der Esstisch zur Kampfarena. Eine Therapie brauchen dann oft nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern.

Melissa ist ein temperamentvolles Kind. Das zeigt sich vor allem beim Essen. Verzweifelt versucht die Mutter, Melissa mit dem Löffel zu füttern. Sie aber schreit und verweigert das Essen. Das geht so, seit Melissa 18 Monate alt ist. Nach zwei Monaten weiß die Mutter keinen Rat mehr und sucht professionelle Hilfe.

Melissa ist keineswegs ein Einzelfall. Etwa 20 bis 25 % aller Kleinkinder zeigen zumindest vorübergehend Fütter- und Essschwierigkeiten. Schwere Fütterstörungen sind bei etwa 1 bis 3 % der Kinder zu beobachten. Von Fütter- bzw. Essstörungen sprechen Experten zum Beispiel, wenn die Schwierigkeiten länger als einen Monat anhalten und die Mahlzeiten regelmäßig länger als 45 Minuten dauern, erklärt Mag. Dr. Christine Sonn-Rankl. Die Klinische Psychologin und Psychotherapeutin vom Wilhelmsspital in Wien informierte Therapeuten, Pflegekräfte und Interessierte bei einem Symposium am Universitätsklinikum Münster (UKM) über frühkindliche Essstörungen.

Es gibt immer mehrere Ursachen

Wenn sich Eltern aus Sorge um die Ernährung ihres Kindes an Experten wenden, sind immer zwei Ebenen zu betrachten, sagt Mag. Dr. Sonn-Rankl: somatische, also körperliche Ursachen und psychische Aspekte. Somatische Ursachen für eine Fütterstörung können zum Beispiel vorliegen, wenn die Kinder nach medizinischen Eingriffen oder nach Zwangsfütterung eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben.

Auf der psychischen Ebene sind bei den betroffenen Kindern häufig Regulationsstörungen zu beobachten. Beispielsweise kann es vorkommen, dass Mutter und Kind nicht zueinander finden. Das ist oft der Fall, wenn die Mutter psychisch belastet ist. Bei manchen Familien sind dagegen Autonomiekonflikte zu erkennen. Etwa ab dem siebten Lebensmonat wird ein Kind nach und nach selbständiger. Es beginnt, sich als eigene Person zu begreifen und von den Eltern abzugrenzen. Einigen Eltern fällt es schwer, das zu akzeptieren.

Mit Distanz füttern klappt oft besser

Mag. Dr. Christine Sonn-Rankl erzählt zum Beispiel von Situationen, in denen das Kind beim Füttern festgehalten wird und nichts selbst machen darf. Das gefällt vielen Kindern in dem Alter nicht. Sie haben zwar ein starkes Bindungsbedürfnis, streben aber auch nach Selbständigkeit. In solchen Fällen ist es oft besser, das Kind mit etwas Distanz zu füttern. Das bedeutet, die Mutter sollte es nicht zum Füttern auf den Schoß nehmen, sondern in einen Hochstuhl setzen. Beim Füttern sollte sie dem Kind den Löffel oder die Flasche hinhalten. Das Kind soll sich dann selbst aktiv auf den Löffel zubewegen und ihn in den Mund stecken.

Keinesfalls sollte die Mutter das Kind mit dem Essen überrumpeln. Am besten fragt sie das Kind vorher, ob es Essen möchte. Kann es noch nicht mit „ja“ oder „nein“ antworten, kann die Mutter durch Blickkontakt mit dem Kind herausfinden, ob es bereit ist zu essen.

Ein Autonomieproblem lag auch im Fall von Melissa vor. Der Mutter fiel es schwer zu akzeptieren, dass ihre Tochter lieber selbständig essen wollte. Sie sah es als ihre Aufgabe an, das Kind zu füttern.

Therapie der Mutter kann nötig sein

Wichtiger Bestandteil der Therapie von Fütterstörungen ist deshalb oft eine Therapie der Eltern. Wenn beispielsweise die Mutter unter psychologischen Belastungen leidet, spürt das auch das Kind. Es entsteht ein Teufelskreis. Weil das Kind kaum etwas isst, gerät die Mutter zusätzlich unter Druck. So sind die Mahlzeiten regelmäßig sehr konfliktbeladen. Das kann dazu führen, dass ein Kind die Mahlzeiten nicht deshalb fürchtet, weil es nicht Essen möchten. Es fürchten vielmehr den Konflikt, der mit jeder Mahlzeit verbunden ist. Deshalb darf sich in der Familie nicht alles um das Essen drehen.

Als Melissas Mutter lernt zu akzeptieren, dass ihre kleine Tochter selbständig essen möchte, verbesserte sich die Situation zusehends. Es kostet sie zwar viel Geduld, Melissa bei ihren unbeholfenen Versuchen, Essen mit der Gabel vom Teller in den Mund zu bekommen, zuzuschauen. Aber Melissa genießt ihre neue Selbständigkeit und hat wieder Lust am Essen.

Den ausführlichen Beitrag mit Regeln für ein entspanntes Essen lesen Sie im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben, Folge 27, vom 05.07.2018, auf den Gesundheitsseiten.


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