Spontanes Eisessen, Teignaschen beim Backen oder der Austausch von Leckereien auf dem Spielplatz – all das kann in einem Notfall enden, wenn ein Kind unter einer Nahrungsmittelallergie leidet. Auslösende Stoffe sind vor allem Erdnüsse und andere Schalenfrüchte, aber auch Milcheiweiß, Hühnerei, Weizen oder Fisch, erklärt Sabine Schnadt vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB).
Die auslösende Menge kann sehr unterschiedlich sein. Im Einzelfall reichen schon kleinste Mengen des Allergens. Auch die Beschwerden sind unterschiedlich. Die schwerste Reaktion ist ein anaphylaktischer Schock. Aber deshalb das Kind in Watte packen? Trotz der Allergie sollten die Kinder möglichst unbeschwert aufwachsen.
Anaphylaxie
Unter Anaphylaxie versteht man eine akut auftretende allergische Reaktion, die den ganzen Körper in Mitleidenschaft ziehen kann. Mögliche Symptome sind Juckreiz, Hautrötung, Hautschwellung, Erbrechen, Durchfall, aber auch Kehlkopfschwellung, Atemnot bis hin zum Atem- oder Kreislaufstillstand.
Als anaphylaktische Schock wird der Zustand bezeichnet, bei dem Atemnot, Blutdruckabfall sowie Herz- und Kreislaufversagen binnen Minuten nach Kontakt mit einem Allergen zu einer lebensbedrohlichen Lage führen können. Wichtig ist in einem solchen Fall, dem Betroffenen schnell Adrenalin zu spritzen und den Notarzt zu rufen.
Bei Kuhmilch oder Ei wird es gefährlich
Das wünscht sich auch Katrin Splinter aus Emsbüren, Kreis Emsland, für ihren zweijährigen Sohn Henry. Keine leichte Aufgabe, denn Henry steckt in den Mund, was ihm in die Finger kommt. Im eigenen Haushalt achtet seine Mutter penibel darauf, dass nichts davon Kuhmilch oder Hühnereiweiß enthält. Darauf reagiert Henry mit verschiedenen Symptomen. Beim ersten Mal hat er erbrochen. Doch es kommt auch vor, dass sein Gesicht anschwillt. Die Mutter weiß: Beim nächsten Mal könnten die Atemwege betroffen sein.
Schon im Alter von drei Monaten wurde die Nahrungsmittelallergie bei Henry festgestellt. Obwohl Katrin Splinter Ernährungsberaterin ist, stellte die Situation sie vor eine große Herausforderung. Sehr genau untersucht sie alles, was sie dem Kind gibt, auf Inhaltsstoffe hin. „In Henrys erstem Lebensjahr war das kein Problem“, sagt die 35-Jährige. Schwieriger wurde es, als er anfing, die Welt auf eigene Faust zu entdecken. Beispielsweise hat er einmal ein Stück Schokolade vom Tisch stibitzt. Ein anders Mal hat er auf dem Spielplatz einen Keks von einem Spielfreund in den Mund gesteckt.
Alle Kontaktpersonen informieren
Um solche Situationen zu vermeiden, hat Katrin Splinter alle Personen, mit denen Henry Kontakt hat, über die Allergie informiert. „Ich habe deutlich gesagt: Er kann daran sterben“, erklärt sie. Die positiven Reaktionen ihres Umfelds haben sie überrascht. Nach dem Vorfall auf dem Spielplatz hat eine Freundin über einen Messengerdienst andere Mütter dazu aufgefordert, nichts mehr mit zum Spielplatz zu bringen, das Henry gefährlich werden könnte. „Ich wäre sonst vermutlich aus Angst nicht mehr hingegangen“, sagt sie.
Auf den heimischen Spielplatz traut sie sich jetzt wieder. Schwieriger wird es in einer fremden Umgebung. Dafür hat sich die pfiffige Mutter etwas Besonderes einfallen lassen: Beim Campingurlaub stattete sie ihren Sohn mit einer Warnweste aus mit der Aufschrift: „Allergie: Bitte nicht füttern“.
Inzwischen versucht sie, Henry selbst mit einzubeziehen. Seinem Alter entsprechend vermittelt sie ihm, dass er nicht einfach alles essen kann. Bei den kritischen Lebensmitteln erklärt sie ihm, dass er davon Bauchschmerzen bekommt.
Etwas Unbehagen bereitet Katrin Splinter der Gedanke, dass Henry nach den Sommerferien in die Kita gehen wird. Auch wenn sie gute Erfahrungen damit gemacht hat, offen über die Allergie zu sprechen, bleibt die Angst, dass es jemand einmal nicht so genau nimmt.
Um Unterstützung bitten, nicht fordern
Diese Angst kennen die Eltern von Jakob Holtmann* gut. Ihr heute 14-jähriger Sohn Jakob reagiert seit seinem zweiten Lebensjahr allergisch auf Erdnüsse. Jakob kommt gut damit zurecht, er kennt es nicht anders. Schwieriger war es zunächst für seine Eltern Theresa* und Christoph*.
Wie sie haben viele Eltern von Allergie-kranken Kindern Sorge, wenn sie ihr Kind in die Obhut anderer geben, sagt Sabine Schnadt. Sie rät, in einem aufklärenden Gespräch sachlich zu informieren. So lassen sich mögliche Stolpersteine bei der Betreuung Anaphylaxie-gefährdeter Kinder, ausgelöst durch Unsicherheit und Unwissenheit seitens der Betreuer, aus dem Weg räumen. Häufig ist es hilfreicher um Unterstützung zu bitten anstatt zu fordernd aufzutreten.
Jakobs Eltern haben von Anfang an alle Beteiligten umfassend informiert. Trotz der vielen Gespräche ließen sich Zwischenfälle jedoch nicht ganz ausschließen. In der Kita kam es bei einer Gelegenheit durch den Kontakt mit Erdnuss zu einer allergischen Reaktion. Daraufhin bat die Kita alle Eltern darum, ihren Kindern keine erdnusshaltigen Lebensmittel mehr mit in die Kita zu geben.
Beim Wechsel in die Schule haben Theresa und Christoph Holtmann einen Elternabend dafür genutzt, über die Allergie und die möglichen Folgen zu berichten. Sie waren überrascht, wie verständnisvoll Lehrer, Eltern, aber auch die Mitschüler darauf reagierten. „Die Kinder haben sich zum Beispiel nach dem Essen die Hände gewaschen, bevor sie mit Jakob gespielt haben“, erzählt die Mutter.
Mahlzeiten möglichst selbst zubereiten
Aus ihrem Haushalt hat die Familie das Allergen komplett verbannt. „Wir leben gut damit“, sagt die 41-Jährige. Die meisten Speisen bereiten sie selbst zu. Schwieriger ist der Außer-Haus-Verzehr. Holtmanns wissen aber beispielsweise, welche Eisdielen das Eis selbst herstellen. Dort bekommen sie sichere Informationen, welche Sorten Erdnüsse enthalten.
Inzwischen weiß auch Jakob selbst sehr gut, was er essen darf und was nicht. Seine Eltern haben ihn früh darin unterstützt, Verantwortung für seine Allergie zu übernehmen. „Bis heute schaut er sich jede Packung sehr genau an“, sagt seine Mutter. Einen Notfall-Pen mit Adrenalin trägt er seit dem ersten Schultag immer bei sich. Gebraucht hat er ihn bisher zum Glück nicht.
Tipps für den Alltag
Kinder, die an einer Allergie leiden, müssen sicher, aber auch möglichst frei aufwachsen. Wie das im Alltag gelingen kann, erklärt Sabine Schnadt vom DAAB:
- Allergenfrei muss ein Haushalt nicht werden. Das Kind sollte damit aufwachsen, dass es keine allergiefreie Welt gibt. Sind jedoch mehrere kleine Kinder im Haushalt, kann es einfacher sein, das Allergen nicht im Haus zu haben.
- Eltern sollten keine unangebrachte Angst vermitteln. Ein Erdnuss-Allergiker muss keine Angst vor einem eingepackten Erdnussriegel haben. Auch der Geruch von Erdnüssen löst keine allergische Reaktion aus.
- Bei besonderen Ereignissen, wie Kindergeburtstagen, sollten die Eltern ihrem Kind etwas zu essen mitgeben.
- Auf keinen Fall sollte die Allergie ein Grund dafür sein, das Kind von einer Aktivität auszuschließen. Ebenso sollten Eltern vermeiden, dass ihr Kind aufgrund seiner Allergie eine Sonderstellung einnimmt.
- Schon früh sollte das Kind, zum Beispiel anhand von Bildern oder beim Einkauf, lernen, wie das Allergen bzw. das Lebensmittel aussieht.
- Kinder sollten altersgerecht einbezogen werden, wenn es darum geht, wie die Soforthilfe im Notfall funktioniert. Eltern können spielerisch darüber aufklären, was bei einer allergischen Reaktion passieren kann und wie dann zu reagieren ist.
- Das Kind selbst, seine Eltern und alle Betreuungspersonen sollten den Umgang mit dem Notfall-Pen üben. Es gibt Trainings-Pens ohne Nadel und Medikament, mit denen die Anwendung der Adrenalin-Gabe geübt werden kann.
- Um das Kind nicht unnötig einzuschränken, sollte eine Allergie-Diagnose regelmäßig überprüft werden. Nicht jede Allergie bleibt ein Leben lang bestehen.
- Nutzen Sie Beratungsangebote: Es gibt Ernährungsfachkräfte, die sich auf Allergien spezialisiert haben. Spezielle Anaphylaxie-Schulungen bietet die Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V. (AGATE) an.
- Ausführliche Informationen zum Thema Allergien, Kontakte von spezialisierten Kliniken, Ärzten und Ernährungsfachkräften sowie Hilfestellungen für den Alltag und die Kommunikation mit dem Umfeld finden Sie auf den Internetseiten des Deutschen Allergie- und Asthmabundes, des Allergie-Informationsdienstes und des Allergie-Wegweisers.
Blick auf die Zutatenliste
Die 14 häufigsten allergieauslösenden Lebensmittel müssen auf der Zutatenliste von Lebensmittelverpackungen fett gedruckt sein, wenn ein Hersteller sie in der Rezeptur verwendet. Der Hinweis „Kann Spuren von … zum Beispiel Schalenfrüchten … enthalten“ ist dagegen nicht gesetzlich geregelt. Hersteller weisen damit freiwillig darauf hin, dass Allergieauslöser unbeabsichtigt in dem Lebensmittel vorkommen können. Da sogenannte Spuren nicht mengenmäßig definiert sind, sollte ein Allergiker solche Lebensmittel in der Regel meiden.
Bei losen Waren aus Bäckereien, Metzgereien, Eisdielen oder Restaurants sollte man sich eine schriftliche Dokumentation über die allergenen Zutaten zeigen lassen. Anbieter sind verpflichtet, diese vorzuhalten.
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