Ängste / Krieg

Verdrängtes wird präsent

Der Krieg in der Ukraine bewegt insbesondere ältere Menschen. Dr. Tilman Fey findet: Mit Angstgefühlen umzugehen ist eine Herausforderung und eine Chance zugleich – und das für jede Generation.

Viele Menschen belasten die Kriegsgeschehnisse in der ­Ukraine. Wen trifft das besonders?

Im Gespräch mit: Dr. Timan Fey, Gerontopsychiater und Chefarzt der Abteilung für Gerontopsychiatrie der LWL-Klinik Münster (Bildquelle: privat)

Bilder von zerbombten Häusern, Menschen auf der Flucht, Panzern und Soldaten bewegen viele Menschen. Ganz besonders jedoch betrifft das die Gruppe der Kriegskinder, die zwischen 1930 und 1945 geboren wurden und jetzt im Alter zwischen 77 und 92 Jahren alt sind. In der Forschung geht man davon aus, dass etwa ein Drittel dieser Generation schwer Belastendes erlebt hat und ein weiteres Drittel mäßig belastet ist, während das andere Drittel weitgehend unbelastet davongekommen ist. Diese Kriegskin­der­generation hat indirekt oder direkt fürchterliche Dinge im Zweiten Weltkrieg erlebt.

Gemeint sind damit nicht nur die Kriegshandlungen, sondern alles was damit zu tun hat. Es prägen sie oft Erlebnisse wie etwa, den Vater im Krieg vermisst zu haben oder mit der Mutter auf der Flucht gewesen zu sein. Aber auch viele Entbehrungen und reale Ängste, etwa zu verhungern, zu erfrieren, auf der Flucht umzukommen, mussten sie durchstehen. Diese langandauernden Ängste haben sich in den Erinnerungen der Menschen oftmals eingegraben und sind fest verankert. Gleichzeitig haben viele diese Erinnerungen auch emotional gut „verpackt“, um weiterleben zu können.

Die Generation der Kriegskinder hat über ihre Erlebnisse und Ängste aus jener Zeit oft nicht offen gesprochen. Warum war das so und was hat das zur Folge gehabt?

Nach dem Krieg war es kaum möglich, all das Furchtbare zu thematisieren. Zum einen, weil es kaum auszuhalten war, was alles passiert ist. Zum anderen, weil sich alle Menschen wieder ein normales und glückliches Leben wünschten. Kriegserlebnisse wurden totgeschwiegen. Es bestand oft kein anderer Weg, als das Erlebte mit sich allein auszumachen oder es zu verdrängen.

Wie gut das dem Einzelnen gelang, hatte maßgeblich auch mit seinem Resilienzvermögen zu tun. Gemeint ist damit etwa die Fähigkeit, wie belastende Erlebnisse emotional verpackt werden können, wie flexibel man auf neue Situationen reagieren oder sich diesen anpassen kann, ohne darunter krank zu werden. Menschen, die eine solche Resilienz mitbringen, sind emotional gefestigter und kommen besser mit dem negativen Erlebten zurecht. Viele haben das geschafft.

Doch andere, insbesondere aus der Gruppe der stark belasteten Kinderkriegsgeneration, wurden infolge innerer Not krank. Chronische Leiden sind oft Ausdruck einer seelischen schweren Belastung, die sich dann auf körperlicher Ebene Bahn bricht. Andere wurden übertrieben ängstlich oder entwickelten gar Angststörungen.

Gefühle verdrängen, um Erlebtes aushalten und aus der Erinnerung verbannen zu können, war Überlebensstrategie für viele. Wie wirkt sich das auch in Bezug auf das Erleben des Ukrainekrieges aus?

Meldungen und Bilder aus dem Kriegsgeschehen in der Ukraine lösen zum einen die Sorge aus, dass sich der Krieg auch hierher ausbreitet. Bei schwerbelasteten Menschen aus der Kriegskindergeneration können die Bilder vor allem aber auch verdrängte Ängste und Traumata reaktivieren. Beim Anblick der Bilder funktionieren Mecha­nismen der Verdrängung oft nicht mehr. Es kann zu Schlaf­störungen, Albträumen, Ängsten oder depressiven Verstimmungen kommen. Diese Menschen sind auch am meisten gefährdet, genau die Symptome und Gefühle, etwa von Angst, Scham oder Schuld zu entwickeln, die sie in der Kriegszeit erlebt haben. In dem Fall kann eine professionelle Hilfe erforderlich sein.

Bilder aus den Kriegsgebieten haben also eine große Wirkung und können Ängste hervorrufen. Im ­eigenen Interesse sollte man daher den Konsum der Bilder und Me­dien bewusst einschränken. Ich würde mir auch nicht isoliert Bilder angucken, die unkommentiert bleiben, sondern mich an Medien halten, die seriös recherchieren und ihre Berichterstattung neutral beurteilen und einordnen. Auch sollte man Angehörige mit einer mittelschweren oder schweren Demenz nicht mit den Kriegsgeschehnissen konfrontieren und sie auch vor der medialen Berichterstattung schützen. Sie sind nicht mehr in der Lage, dies zu verarbeiten.

Was können Angehörige tun, um die ältere Generation durch diese Zeit zu begleiten?

Gerade das Gespräch über die Kriegserlebnisse kann jetzt hilfreich sein und die Chance bieten, mehr voneinander zu erfahren. Oftmals haben die Kinder der Kriegskinder, sozusagen die Kriegsenkel, intuitiv ein Gefühl dafür bekommen, was für furchtbare Erlebnisse ihre Eltern durchgemacht haben, auch ohne dass diese direkt davon erzählt bekommen haben. Weil Erlebnisse der Eltern oft gekoppelt waren mit Scham oder auch Schuld, hat sie das davon abgehalten, ihre Eltern danach zu befragen. So gab es auf verschiedenen Ebenen viele verschiedene Motive, das Schweigen der Eltern mitzutragen.

Doch am Ende ist es wichtig, darüber ins Gespräch zu kommen. Die Generation der Kriegskinder kann endlich einmal über das Erlebte berichten. Für die Enkelgeneration ist der Austausch wichtig, um zu erfahren und zu verstehen, warum die Eltern etwa bestimmte Neigungen haben oder warum bestimmte Dinge nie gesagt werden durften. Und letztendlich kann auch die heutige junge Generation ein ­hilfreicher Gesprächspartner sein, weil die Kriegsgeschehnisse für sie nicht mit so hohen persönlichen Emotionen verbunden sind wie in der „Erlebnisgeneration“. Sie können die Situation dadurch rationaler beurteilen und auch mögliche Ängste der älteren Generation relativieren.

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