Verbraucher erwarten zu Recht, dass Erzeuger, Verarbeiter, Händler sowie Gesetzgeber und Kontrollbehörden dafür sorgen, dass die Lebensmittel sicher und nicht gesundheitsschädlich sind. Wenn sie erfahren, dass potenziell gesundheitsschädliche Stoffe – wie Rückstände von Pflanzenschutzmitteln – in einem Lebensmittel entdeckt wurden, sind sie beunruhigt. Dabei muss ein solcher Fund per se noch kein Gesundheitsrisiko darstellen.
Viele Faktoren beeinflussen die Höhe der Rückstände
Experten ermitteln das Risiko von Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln anhand verschiedener Faktoren, erklärt Dr. Britta Michalski vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) während des BfR-Forums Verbraucherschutz. Dabei geht es nicht nur darum, welcher Wirkstoff in welcher Menge und zu welcher Zeit ausgebracht wird. Die Wissenschaftler müssen beispielsweise auch berücksichtigen, wie sich der Wirkstoff in der Pflanze verändert, ob er über Futtermittel von Nutztieren aufgenommen wird oder welchen Einfluss die Lebensmittelverarbeitung auf den Wirkstoff hat.
Anhand von Studien wird dann ermittelt, wie hoch die Rückstände in Pflanzen und Nutztieren tatsächlich sind. Für Rückschlüsse darauf, wie hoch die Belastung der Verbraucher mit diesem Wirkstoff ist, werden Verzehrsstudien herangezogen. Sie zeigen, was und wie viel wovon der Verbraucher im Durchschnitt isst.
Unterscheidung zwischen akutem und chronischem Risiko
Bei der anschließenden Risikobewertung wird unterschieden, ob der Mensch dem Wirkstoff akut oder chronisch ausgesetzt ist:
- Die akute Risikobewertung betrachtet ein einzelnes Lebensmittel. Zugrunde gelegt wird der Verzehr einer großen Portion des Lebensmittels mit dem höchsten in Feldversuchen gemessenen Rückstand des betreffenden Wirkstoffs. Daraus errechnet sich die akute Referenzdosis (ARfD). Sie ist definiert als die Substanzmenge pro kg Körpergewicht, die über die Nahrung mit einer Mahlzeit oder innerhalb eines Tages ohne erkennbares Risiko für den Verbraucher aufgenommen werden kann.
- Zur Berechnung des chronischen Risikos gehen die Wissenschaftler davon aus, dass alle Lebensmittel, die den Wirkstoff enthalten können, diesen an jedem Tag enthalten. Zugrunde gelegt wird hier der Verzehr einer mittleren Portion aller Lebensmittel sowie mittlere in Feldversuchen gemessene Rückstände. Daraus ergibt sich die tolerierbare Tagesdosis eines Stoffes, die ein Mensch ein Leben lang täglich ohne negative Auswirkungen auf die Gesundheit aufnehmen kann. Diese wird als „acceptable daily intake“, kurz ADI, bezeichnet.
Hoher Sicherheitsfaktor berücksichtigt
Die Werte werden anhand von Tierversuchen ermittelt. Wissenschaftler suchen die höchste Dosis, bei der keine sichtbare Schädigung auftritt. Diese wird durch einen Sicherheitsfaktor dividiert, der häufig bei 100 liegt. Er berücksichtigt die Übertragbarkeit des Tierversuchs auf andere Tiere derselben Art und auf den Menschen.
Anhand der so definierten Werte werden schließlich Rückstandshöchstgehalte festgesetzt. Dabei handelt es sich um die maximal erlaubte Konzentration eines Pflanzenschutzmittels in Lebensmitteln und Futtermitteln.
Einhaltung der Grenzwerte wird kontrolliert
Allerdings gilt die Risikobewertung nur für einen sachgerechten und bestimmungsgemäßen Einsatz eines Pflanzenschutzmittels. Deshalb sind Kontrollen wichtig, Eigenkontrollen der Lebensmittelwirtschaft ebenso wie die amtliche Lebensmittelüberwachung oder Untersuchungen beispielsweise von Verbraucherverbänden.
Im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung werden jedes Jahr rund 20 000 Proben untersucht. Davon konnten im Jahr 2019 in etwa 58 % Rückstände nachgewiesen werden. In den meisten Fällen lagen die Werte jedoch unterhalb der definierten Höchstgehalte, erklärt Ann-Katrin Pietrzyk vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Weitere Ergebnisse:
- Bei den Proben aus Deutschland war gut jede zweite Probe frei von Rückständen, bei den Proben aus der Europäischen Union oder aus Drittländern knapp jede dritte.
- Die Rückstände bei Waren aus Drittländern lagen bei 6,5 % oberhalb der Rückstandshöchstgehalte. Bei Proben aus Deutschland war das bei 1 % der Fall, bei denen aus der EU bei 1,3 %.
- Am häufigsten wurden in Obst- und Gemüseproben Rückstände nachgewiesen.
- Proben aus konventionellem Anbau waren zu gut 37 % frei von Rückständen, bei den Ökoproben waren es gut 77 %.
Geringere Rückstände im Ökolandbau
Frei von Rückständen sind also auch Ökoprodukte nicht. Das räumt auch Dr. Hubert Zipper vom Chemischen- und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart ein. Allerdings würden die Ergebnisse des Ökomonitorings Baden-Württemberg zeigen, dass sie nicht nur seltener, sondern auch weniger Rückstände enthalten als konventionell erzeugte Lebensmittel.
Risiken werden oft falsch wahrgenommen
Im Jahr 2016 war der Aufschrei groß: In einigen Biersorten hatte das Umweltinstitut München Rückstände des Pflanzenschutzmittels Glyphosat nachgewiesen. Verbraucher waren entsetzt. Schon bald stellte sich jedoch Ernüchterung ein. Ein Erwachsener müsste am Tag rund 1000 Liter Bier trinken, um gesundheitlich bedenkliche Mengen von Glyphosat aufzunehmen, errechnete das BfR damals.
Dieses Beispiel zeigt, wie sehr das tatsächliche Risiko vom wahrgenommenen abweichen kann. Solche Informationen treffen auf viel Unwissen in der Bevölkerung. Beispielsweise zeigten sich bei einer Umfrage des BfR unter gut 1000 Befragten 66 % überzeugt, dass in Lebensmitteln generell keine Rückstände von Pflanzenschutzmitteln enthalten sein dürfen. Dennoch gaben drei von vier Befragten in einer anderen Umfrage an, dass sie nach einem Ereignis im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln ihr Kaufverhalten nicht geändert haben.
Schwer fällt es vielen Verbrauchern auch, tatsächliche von gefühlten Risiken zu unterscheiden. Überschätzt wird häufig das Risiko durch Pflanzenschutzmittel oder Gentechnik in Lebensmitteln. Dagegen unterschätzen viele das gesundheitliche Risiko durch mangelnde Lebensmittelhygiene im eigenen Haushalt, sagt Dr. Mark Lohrmann vom BfR. Auch dass der Alkohol im Bier eine viel größere Gefahr darstellt als mögliche Rückstände von Glyphosat hat damals wenige Menschen interessiert.