Schmerzpatienten, die Stefan Mühring im Rahmen einer physiotherapeutischen Behandlung an der Schmerztagesklinik am Universitätsklinikum in Münster (UKM) begleitet, haben ganz unterschiedliche Diagnosen. Sie leiden beispielsweise an Rücken- und Gelenkschmerzen oder an Kopf- und Nackenschmerzen. Gemeinsam ist ihnen ein Schmerz, der sich chronifiziert hat und nicht mehr aus ihrem Leben weichen will.
Betroffene sind daher unter anderem in ihrer körperlichen Beweglichkeit begrenzt. Oft vermeiden sie Bewegung, die ihnen eigentlich gut tun würde. Darüber hinaus kann es zu beruflichen Einschränkungen kommen. Viele ziehen sich privat zurück, gehen keinem Hobby mehr nach, manche erkranken psychisch.
Physiotherapie ist stets individuell
In der Schmerztagesklinik am UKM führt ein interdisziplinäres Team aus Medizinern, Psychologen, Pflegekräften, Kunst-, Musik- und Physiotherapeuten die Behandlungen durch. Diese finden den ganzen Tag über einen Zeitraum von vier Wochen statt. Währenddessen tauscht sich das Team der Behandler laufend über die einzelnen Patienten aus.
Physiotherapie ist ein wichtiger Teil des Ganzen. Sie kann dazu beitragen, dass weniger Schmerzmittel eingenommen werden müssen und die Menschen körperlich länger mobil bleiben. „Im Fokus steht dabei weniger die Schmerzfreiheit, als vielmehr die Linderung der Beschwerden“, sagt Stefan Mühring.
Physiotherapeuten wie er streben dazu gemeinsam mit dem Betroffenen funktionelle Verbesserungen der unterschiedlichen körperlichen Bewegungseinschränkungen an. Viele der chronischen Schmerzpatienten nehmen eine Schonhaltung ein. Doch dadurch verspannen Muskeln, sie bauen sich ab, was langfristig die Schmerzen noch verstärken kann.
Einen leichten Einstieg in die Übungen finden
Um Schmerzen zu lindern oder zu beseitigen, setzt das Team der Physiotherapeuten eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden ein. „Dabei können wir nicht nach Schema F vorgehen“, sagt der Physiotherapeut mit Fortbildung in spezieller Schmerzphysiotherapie. Immer müsse individuell geschaut werden, was dem Patienten helfe und welche Präferenzen er habe.
Geht jemand beispielsweise lieber schwimmen oder laufen oder fährt er lieber Rad? Bei Bewegungsübungen komme es darauf an, auf Vorlieben wie diese einzugehen und gemeinsam mit dem Schmerzpatienten ein Übungsprogramm zu erarbeiten. Innerhalb eines strukturierten Tagesablaufs wird dazu ein individueller Behandlungsplan erstellt.
„Wichtig ist, dass der Einstieg ins Übungsprogramm leicht fällt und ein Gefühl vermittelt von ,Das ist für mich machbar‘“, sagt Stefan Mühring. Nur so könnten Schmerzpatienten ihre Ängste abbauen und trotz Erkrankung wieder mehr Zutrauen in die eigenen Körperfunktionen aufbauen. Später dann ließen sich die Anforderungen im Rahmen des Übungsprogramms steigern.
Vielen Patienten fehlt das Wissen über ihre Schmerzsymptomatik und deren -mechanismen. „Dabei ist Schmerz in der chronischen Situation nicht mit Schaden verbunden. Oftmals ist die Grunderkrankung längst verheilt, dennoch ist der Schmerz noch da“, erklärt der Physiotherapeut. Dann habe der Schmerz seine ursprüngliche Warnfunktion verloren. Doch das Nervensystem sei hochreguliert und verhalte sich wie eine Alarmanlage, die schon durch eine Windböe aktiviert werden könne.
In Bewegung bleiben trotz Schmerz
Patienten lernen in der physiotherapeutischen Behandlung daher schmerzbedingtes Angst- und Vermeidungsverhalten zu überwinden und neue positive Körpererfahrungen zu sammeln. Es geht auch darum, Maßnahmen zur Schmerzlinderung zu trainieren. Und das ist individuell ganz unterschiedlich.
„Wichtig ist, dass Schmerzpatienten selbst in Bewegung bleiben“, sagt Stefan Mühring. Oft begegne er Patienten, die vom Therapeuten massiert oder „eingerenkt“ werden wollen. Doch meist seien passive Interventionen wie diese langfristig nicht zielführend. Sie vermittelten dem Patienten das Gefühl, den Schmerz selbst nicht steuern und beeinflussen zu können.
Mühring versteht sich daher als Coach, der den Schmerzpatienten auf dem Weg begleitet, seine Selbstheilungskräfte zu stärken und Schmerzen selbstbestimmt in den Griff zu bekommen.
Lernen auf Schmerz angemessen zu reagieren
Chronische Schmerzen, wie etwa bei einer Arthrose, verlaufen häufig in Schüben mit Zeiten, in denen die Stärke des Schmerzes variiert. Mal sind sie erträglich, dann wieder kaum auszuhalten. Patienten sollten sich auf diese Situationen vorbereiten und Ideen entwickeln, wie sie trotz Schmerz körperlich mobil bleiben und ein gutes Leben führen können, findet Stefan Mühring.
Dazu sollten Schmerzpatienten Antworten auf Fragen wie diese finden: Was kann ich mir zutrauen, wenn es mir gerade viel besser geht? Was hindert mich daran, regelmäßig zu üben? Welche körperlichen Übungen sind machbar, wenn ein überschießender Schmerz kommt? Wann, wo und wie oft lege ich Pausen ein, damit ich täglich in Bewegung bleiben kann?
„Ein Plan ist die Schlüsselstrategie, um etwas zu ändern. Und bis sich neues Verhalten stabilisiert, dauert es oft drei bis sechs Monate“, erklärt Stefan Mühring. Hilfreich könne es dann sein, regelmäßig in einer Gruppe sportlich aktiv zu werden. In der physiotherapeutischen Behandlung in der Schmerztagesklinik geht es daher auch darum, Schmerzpatienten auf neue Gewohnheiten vorzubereiten, die sie später im Alltag weiter umsetzen können.
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