Etwa zehn Jahre lang wird im Schnitt ein Pflegebedürftiger in den eigenen vier Wänden durch Angehörige versorgt. Welche Rolle spielt dabei Gewalt in der häuslichen Pflege?
Die meisten Angehörigen – und das sind meistens Frauen – kümmern sich rührend und viele auch aufopfernd um ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder. Dennoch kann es zu schwierigen Situationen kommen, die Pflegende körperlich und seelisch an ihre Grenzen bringt.
Pflege ist auf Dauer zeit-, kraft- und nervenaufreibend. Viele Menschen übernehmen diese Aufgabe, ohne darauf vorbereitet zu sein und trauen sich damit mehr zu, als sie auf Dauer leisten können. Denn wie lange die Pflegesituation anhalten wird, wissen sie nicht.
Außerdem sind die meisten Laien. Techniken, die ihnen die Pflege erleichtern, wie beispielsweise rückenschonendes Heben, beherrschen viele nicht. Das kann sie auf Dauer überfordern und unnötig zu eigenen körperlichen Beschwerden und Stress führen.
Aus Stresssituationen heraus reagieren Menschen schneller unangemessen. Es kommt zu körperlichen Übergriffen. Es wird gedroht, Druck ausgeübt, beleidigt, vernachlässigt oder ausgenutzt. Manchem ist auch gar nicht bewusst, dass er übergriffig handelt.
Was sind die häufigsten Auslöser für Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen?
Es gibt bestimmte Faktoren, die die häusliche Pflegesituation zusätzlich belasten und damit das Risiko für Gewalt erhöhen. Dazu zählen beispielsweise eine Harn- und/oder Stuhlinkontinenz beim Pflegebedürftigen. Erschwerend wirkt es sich auch aus, wenn der Pflegebedürftige unzureichend mit Hilfsmitteln wie, beispielsweise Vorlagen, Pflegebett oder Rollstuhl, versorgt ist. Pflegesituationen eskalieren eher, wenn in einer gemeinsamen, räumlich sehr beengten Wohnung gepflegt wird.
Eine Rolle spielen auch das Alter und der Gesundheitszustand der Pflegeperson. Wer geistig und körperlich nicht mehr so fit oder gar selber alkohol- oder medikamentenabhängig ist, reagiert schneller überfordert. Generell aber erschwert herausforderndes Verhalten die Pflegesituation und lässt Pflegende schneller übergriffig werden.
Vater ist demenzkrank. Er hat einen dringenden Arzttermin, will sich aber nicht anziehen. Situationen wie diese lassen pflegende Angehörige leicht verzweifeln. Was können sie tun, wenn Ärger und Wut in ihnen aufsteigen?
Die Reaktion ist ganz verständlich und Teil eines gesunden Selbstschutzes. In der akuten Situation ist es hilfreich, nicht im Affekt zu reagieren, sondern ruhig zu bleiben und Abstand zu nehmen. Verlassen Sie rechtzeitig das Zimmer, beispielsweise unter dem Vorwand, noch etwas holen zu müssen. Bleiben Sie dabei ruhig.
Atmen Sie tief durch und machen Sie sich klar, dass der demenzkranke Angehörige sich nicht willentlich so verhält, sondern krank ist. Reagieren Sie sich kurz ab. Hilfreich kann es sein, wenn eine weitere Person das Anziehen begleitet.
Von großem Wert ist es oft, wenn mehrere Familienangehörige an einem Strang ziehen und eine gemeinsame Haltung einnehmen. Sie sollten in der Situation möglichst bei sich bleiben und überlegen: „Was kann ich tun, damit es mir in Kürze besser geht?“ Nehmen Sie sich beispielsweise vor, gleich eine kleine Auszeit mit einer Tasse Tee zu nehmen oder abends mit der Freundin zu telefonieren.
Sie brauchen für sich eine Perspektive, um mit solchen Stresssituationen gelassener umgehen zu können. Dazu braucht es Kreativität und die kann man auch lernen.
In Pflegekursen und speziellen Angeboten für Angehörige von Demenzkranken werden Methoden vermittelt, was im Umgang mit der Erkrankung zu beachten ist. Diese unentgeltlichen Kurse werden in größeren Orten von verschiedenen Verbänden wie Caritas, Diakonie, AWO oder auch der Alzheimergesellschaft angeboten. Teilweise bieten Pflegedienste diese Kurse an, bei Bedarf auch Zuhause.
Was Pflegende tun können, um mit eigenen Aggressionen besser umzugehen:
- Finden Sie zunächst heraus, was Sie so stresst oder in Rage bringt;
- Erkennen Sie eigene Grenzen und lernen Sie Mechanismen, um den Stress besser abzubauen;
- Körperliche Bewegung und Sport haben sich dabei als äußerst wirksam erwiesen. Langfristig helfen oft auch Entspannungstechniken wie Yoga oder Achtsamkeitsübungen;
- Kultivieren Sie in Ihrem Leben eine positive Grundhaltung und ein Gefühl von Dankbarkeit. Hadern Sie nicht mit allem, sondern machen Sie sich wenn möglich abends bewusst, was schön war und gut gelaufen ist.
Wehret den Anfängen. Prävention heißt auch, sich und dem Pflegebedürftigen Gutes zu tun. Wie können Pflegende für eine gute Pflegesituation sorgen?
Pflegende Angehörige wollen alles meist besonders gut machen. Doch stecken Sie Ihre Ansprüche nicht zu hoch und suchen Sie sich Unterstützung. Beziehen Sie weitere Familienangehörige in die Betreuung mit ein. Geben Sie nicht vorschnell ihre Erwerbstätigkeit auf.
Nehmen Sie alle Ihnen bzw. dem Pflegebedürftigen zustehenden Hilfen, wie beispielsweise die ambulante Pfegedienstleistung und Tagespflege in Anspruch. Das entlastet.
Nehmen Sie auch Angebote für Unterstützung im Alltag in Anspruch. Es gibt auch Hilfsangebote für den Haushalt und die Betreuung. Erkunden Sie sich bei Sozial- oder kirchlichen Verbänden, bei Einzelanbietern oder bei den Pflege- und Krankenkassen, die alle eine Pflegeberatung anbieten. Dort erhalten Sie Kontaktdaten bis Sie an der richtigen Stelle vor Ort sind.
Schaffen Sie, so gut es geht, eine entspannte und wohlwollende Atmosphäre für den pflegebedürftigen Angehörigen. Das gelingt oft besser, wenn man die Interessen des Angehörigen berücksichtigt, in dem man seine Lieblingsmusik spielt, sein Lieblingsessen kocht oder gemeinsam alte Fotobücher anschaut. Mancher sitzt auch noch gerne im Garten. Hilfreich ist es, wenn auch andere Personen wie Langzeitbekannte, Angehörige oder Nachbarn eingeladen werden und ins Haus kommen.
Den vollständigen Beitrag lesen Sie auf dem Gesundheitsseiten im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben Folge 50 vom 12.Dez. 2019.
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