Lipödem

Oben wie ein Strich, unten wie ein Fass

Bei einem Lipödem kommt es zu einer schmerzhaft gestörten Fettverteilung. Betroffen sind vor allem Beine, Arme, Hüfte und Bauch. Meist erkranken Frauen – geschätzte 3,8 Mio. in Deutschland. Ingrid Heye ist eine von ihnen.

Schlanker Oberkörper – fetter Po und dicke Beine: Typisch für ein Lipödem ist oft ein unproportionales Verhältnis zwischen Ober- und Unterkörper. Im Extremfall liegen fünf Konfektionsgrößen und mehr dazwischen. Auf den ersten Blick sind Lipödem­patienten für viele Menschen ­einfach nur fett. Tatsächlich machen ihnen vermehrte Fettzellen im Fettgewebe der Unterhaut zu schaffen. Hinzu kommen Wassereinlagerungen. Das fällt zunächst äußerlich auf.

Was jedoch keiner sieht: Ein Lipödem ist schmerzhaft. Außerdem lassen sich die krankhaften Fettansammlungen durch Sport und Diäten so gut wie nicht reduzieren. Trotzdem spielen in der Behandlung Bewegung und gesunde Ernährung eine Rolle. Meist lassen sich die Beschwerden mittels einer Entstauungstherapie und einer Kombination aus manueller Lymphdrainage, Physiotherapie und dem Tragen von Kompressionsstrümpfen lindern. Wenn das nicht mehr ausreicht, kann zusätzlich eine gezielte Fettab­saugung helfen. So wie bei ­Ingrid Heye aus dem Kreis Steinfurt.

Probleme beginnen nach der Geburt

Nach der Geburt ihres Kindes erreicht die junge Mutter zunächst ihr normales Ausgangsgewicht wieder, trägt bei einer Körpergröße von 1,78 m Kleidergröße 38.

Doch im weiteren Verlauf verändert sich das. Die junge Mutter nimmt an Gewicht und Volumen zu. Dabei fällt eines auf: Es sind vor ­allem ihre Ober- und Unterschenkel, die überproportional zum Oberköper zu­legen. „Meine Beine wurden immer stämmiger. Oben sah ich aus wie ein Strich und unten herum wie ein Fass“, schildert Ingrid Heye.

Erklären kann sie sich das zunächst nicht. Sie betreibt regelmäßig Sport, reitet seit vielen Jahren. Schließlich schiebt sie es auf’s Essen zurück. 2005 bringt sie 110 kg auf die Waage und macht eine Diät. „Ich habe 26 kg abgenommen und konnte viele Jahre das Gewicht von 84 kg halten“, erklärt sie – aber die Beine blieben dick.

Beine bleiben dick trotz Therapie

Immer häufiger fühlen sich ihre Beine schmerzhaft gespannt, schwer, kraftlos und müde an. „Ich hatte auch ständig blaue Flecken an den Beinen, ohne mich stark gestoßen zu haben“, erklärt die heute 57-Jährige. Eine Gefäßspezialistin, Phlebologin, stellt schließlich ein Lipödem - eine krankhafte Fettverteilungsstörung an den Beinen- fest.

„Die Ärztin hat mir zur dynamischen Kompressionstherapie ein Gerät für Zuhause verschrieben. Und ich muss fortan täglich enge Kompressionsstrümpfe tragen – an heißen Sommertagen eine echte Herausforderung“, erklärt Ingrid Heye. Doch sie ist tapfer und bleibt körperlich aktiv. Im Laufe der Jahre nimmt der Umfang ihrer Ober- und Unterschenkel allerdings weiter zu. Im Jahr 2014 messen ihre Oberschenkel jeweils 65 cm; ihre Waden jeweils nur 10 cm weniger.

Vor der Liposuktion hat Ingrid Heyes rechter Oberschenkel einen Umfang von 69,5 cm. Ihr linker ist 71 cm dick. (Bildquelle: privat)

Die Schmerzen in den Beinen sind nun immer präsent. Sie lassen selbst durch Hochlagern der Beine nicht nennenswert nach. Auch das Treppensteigen fällt zunehmend schwerer. „Irgendwann kann man nicht mal mehr Fahrrad fahren, weil sich die Beine nicht mehr anwinkeln lassen und alles so anstrengend ist.“

Ingrid Heye ist frustriert und befürchtet, dass sich ihr Lipödem weiter verschlechtert. Sie informiert sich im Internet über Möglich­keiten einer Fettabsaugung, Liposuktion genannt. Doch ihre behandelnde Ärztin befürwortet einen solchen Eingriff nicht. 2014 wechselt sie die Praxis.

Zu allem Überfluss entwickelt sie in den Beinen jetzt auch noch ein Restless-Legs-Syndrom. „Meine Beine kribbelten wie bescheuert – vor allem nachts und ich fand ­keine Ruhe.“ Ein Neurologe verschreibt ihr ein Medikament. Damit kommt sie zunächst zurecht.

2016 kommt es zu einer Komplikation in den Beinen. Sie entwickelt zusätzlich am linken Bein ein Lymphödem. Nicht nur ihr linkes Bein ist jetzt dicker als das rechte. Auch der Fuß und die Zehen schwellen an. Am rechten Fuß trägt sie Schuhgröße 39,5; am linken Fuß muss es Größe 42 sein. „Die Differenz gleiche ich mit Einlagen aus", sagt sie.

Es passt nur Hosengröße 52/54

Auch ihre Beine haben wieder an Umfang zugelegt, das linke aufgrund des Lymphödems noch ein wenig mehr. Tendenz steigend. Die bisherige Therapie scheint nicht mehr auszureichen.

„Bei 97 kg passte ich nur noch in Hosengröße 52/54. In der Ober­bekleidung hatte ich nach wie vor Größe 40/42“, sagt sie. Mit ihrer neuen Dermatologin und Phlebologin spricht sie nun intensiver über die Möglichkeit einer Fettabsaugung und schließt sich einer Selbsthilfegruppe in Münster an.

Die Hoffnung, endlich die Schmerzen und das Fett an den Beinen loszuwerden, lassen den Entschluss reifen, eine Lipoduktion durchführen zu lassen. Doch bis zur OP muss sie noch eine große Hürde nehmen.

Antrag auf Kostenübernahme wird abgelehnt

Im März 2017 reicht Sie bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse den Antrag auf Kostenübernahme für eine Liposuktion an beiden Beinen sowie sämtliche Arztatteste ein. Doch der Antrag wird abgelehnt. Ingrid Heye lässt sich nicht beirren und legt Widerspruch ein. „In einer Privatklinik müsste ich für eine Liposuktion zwischen 5000 und 6000 € zahlen“, sagt sie. Doch mit einem Eingriff ist es in der Regel nicht getan.

Der zu operierende Bereich wird in Zonen eingeteilt. Da in einer Sitzung an beiden Beinen maximal zwei Zonen gleichzeitig bearbeitet werden, sind fast immer mehrere Eingriffe notwendig. Und das wird teuer.

Das Prozedere der Kostenübernahme dauert den ganzen Sommer über. Und schließlich erhält sie ­über eine Einzelfallentscheidung die Zusage für die Kostenübernahme einer Liposuktion. „Der Eingriff wird allerdings nur finanziert, weil man bei mir 2013 einen Herzklappenfehler festgestellt hat, der durch das Lip-Lymphödem verschlechtert werden kann“, berichtet Ingrid Heye. Außerdem kann sie den Eingriff nur in einem zugelassenen Vertragskrankenhaus der Krankenkasse durchführen lassen. Sie geht in die Helios Klinik Lengerich.

Fettabsaugung: Mehrere Eingriffe sind nötig

Mitte Oktober ist es dann soweit. Nach Gesprächen und gewissen Voruntersuchungen lässt Ingrid Heye eine Liposuktion durchführen. Insgesamt verliert sie dadurch 14,5 l Fett in den Beinen.

Nach den Eingriffen sind die Beine dünner. (Bildquelle: privat)

Die drei Eingriffe im Abstand von mehreren Monaten übersteht sie gut. „Lediglich nach der dritten OP ist mein Eisengehalt im Blut abgerutscht und ich hatte anschließend fast vier Wochen mit einer Erkältung zu kämpfen. Mein Körper war einfach geschwächt“, sagt Ingrid Heye.

Geheilt ist ihr Lipödem durch die Liposuktion nicht. Verbliebene Fettzellen können sich wieder vergrößern und auch wieder teilen, sodass die Beine wieder an Umfang zunehmen. Auch muss sie nach wie vor Kompressionsstrümpfe tragen – schon allein des Lymphödems wegen.

Endlich ist sie wieder schmerzfrei

Heute kann sie wieder schmerzfrei die Knie beugen und Treppen steigen. Sie hat Spaß am Spazierengehen, fährt wieder Rad und bekommt nicht mehr unverhofft blaue Flecken „Auch ist das Kribbeln in den Beinen nahezu verschwunden. Die Medikamente dafür habe ich abgesetzt“, sagt sie. Und überhaupt sind ihre Beine wieder schlanker. „ Ich trage jetzt Hosen­größe 44 und kann mir wieder „andere Klamotten“ kaufen.“

Was abgesaugt wird, ist weg. Eine Heilung ist die Liposuktion aber nicht.“

Dennoch: Die Erkrankung wird sie ein Leben lang begleiten. Und sie muss sich nach ihr richten. Dazu zählt viel Bewegung. „Einmal die Woche gehe ich zur Lymphdrainage, um das Lymphödem behandeln zu lassen“. Dann stehe wöchentlich ein Aquafitnesskurs sowie ein weiterer Schwimmtermin auf dem Programm. Wichtig ist jedoch, dass sie weiterhin täglich Kompressionsstrümpfe anzieht. Nach wie vor muss sie auch auf ihre Ernährung achten: „Ich esse fettarm, meide Zucker und Alko­hol, bevorzuge viel Gemüse und verzichte möglichst auf Fast Food.“ Und mit weiteren Eingriffen muss sie rechnen.

Weitere Infos zum Lipödem
Bei einem Lipödem vermehrt sich das Fettgewebe der Unterhaut und lagert Wasser ein. Die Menge des Fettgewebes im Lipödem lässt sich weder durch Diät noch Sport reduzieren. Die genauen Ursachen dafür sind bislang ungeklärt. Experten vermuten hormonelle Auslöser. Auch scheint die Neigung zum Lipödem vererbbar zu sein. Typisch ist, dass ein Lipödem immer symmetrisch hauptsächlich an beiden Beinen und/oder Armen auftritt. Die Füße bzw. Hände sind nicht betroffen. Patien­tinnen verspüren Druckgefühle, die meist grundlos in Form von dumpfen Schwellungsgefühlen bis hin zu starken Spannungsschmerzen auftreten. Patientinnen neigen zu blauen Flecken schon bei geringen Stößen oder Druck­belastung. Mediziner unterscheiden drei verschiedene Stadien.
Weitere Infos unter:
www.lipoedem-hilfe-ev.de
www.lipoedem-portal.de.

Den Beitrag können Sie nachlesen im Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben in der Folge 16 vom 18. April 2019 auf den Gesundheitsseiten.

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