Empfindungsstörungen an Armen und Beinen, Gang- und Gleichgewichtsstörungen, aber auch Sehminderungen sind häufige Krankheitsanzeichen einer Multiplen Sklerose (MS). Viele Patienten haben zusätzlich Schwierigkeiten mit der Blasenentleerung. Andere berichten von diffusen Schmerzen, sind kraftlos und fühlen sich erschöpft. MS-Patienten haben mit unterschiedlichen Beschwerden zu tun. Sowohl der Verlauf der Erkrankung als auch das Beschwerdebild sind individuell sehr unterschiedlich.
Heilbar ist die chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems bisher nicht. Moderne Therapien zielen darauf ab, die Symptome zu behandeln und den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, günstigstenfalls zu stoppen.
Individuelle Therapie bei Multipler Sklerose
„Akute Krankheitsschübe werden meist mit hoch dosiertem Cortison als Infusion behandelt“, erklärt Dr. Christoph Aufenberg, Facharzt für Neurologe aus Telgte, im Kreis Warendorf. Es bekämpfe die Entzündungen und lasse diese schneller abklingen. Wenn nötig, komme auch eine Art Blutwäsche, die Plasmaseparation, zum Einsatz.
Um das Auftreten der Schübe zu verringern, erhalten MS-Patienten meist eine Basismedikation mit Wirkstoffen, die entweder das Immunsystem unspezifisch unterdrücken oder bestimmte Zellen des Immunsystems bremsen. Welche Medikamente in einer solchen Langzeittherapie verabreicht werden, hängt neben der Diagnose, dem Alter und möglichen Begleiterkrankungen unter anderem vom Verlauf der Erkrankung ab.
Die neusten Wirkstoffe bei Multipler Sklerose
Immer wieder werden auch neue Wirkstoffe anerkannt.
- Siponimod ist seit Anfang 2020 zugelassen für Erwachsene mit schubförmig remittierend verlaufender MS (RMS) sowie für Patienten mit sekundär fortschreitenden MS (SPMS) mit Krankheitsaktivität. Das Medikament wird einmal täglich als Filmtablette eingenommen. „Es beeinflusst das Immunsystem und hat in Studien Krankheitsschübe reduziert und die Gehfähigkeit im Durchschnitt vier Jahre länger erhalten können“, berichtet Neurologe Christoph Aufenberg. Gleichwohl sei aber auch mit Nebenwirkungen zu rechnen, wie etwa Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Infektionen oder vor allem zu Beginn der Therapie Herzrhythmusstörungen.
- Ocrelizumab ist ein gentechnisch hergestellter Antikörper, der seit 2018 in Deutschland Erwachsenen mit schubförmiger (RRMS) und primär fortschreitender MS (PPMS) verordnet werden kann. Das Mittel wird alle sechs Monate über einen Tropf intravenös verabreicht. „Auch dieser Wirkstoff beeinflusst das Immunsystem, um die Schädigung der Nerven zu verlangsamen, und kann somit Krankheitsschübe vermindern helfen“, sagt der Mediziner. Als Nebenwirkung sei vor allem mit vermehrten Infektionen der oberen Atemwege zu rechnen.
- Cladribrin ist seit Mitte 2017 auf dem Markt und darf bei der schubförmig remittierenden MS (RRMS) mit hoher Krankheitsaktivität verschrieben werden. Das Medikament wird als Tablette eingenommen. Der Wirkstoff vermindert die Lymphozytenzahl und kann die Häufigkeit von Schüben verringern.
Daneben gibt es noch eine Vielzahl weiterer Arzneistoffe, die sich lange bewährt haben und zum Einsatz kommen. Wichtig sei es, in jedem Fall mögliche Nebenwirkungen der Medikamente im Auge zu haben, so Neurologe Christoph Aufenberg. Regelmäßige Blut- und Urinproben seien daher oft erforderlich.
Die Verlaufsformen der Multiplen Sklerose
- Bei über 80 % der MS-Patienten beginnt die Erkrankung schubweise. Bei dieser schubförmig-remittierenden MS (RRMS) kommt es zu einzelnen unvorhersehbaren Krankheitssymptomen, die sich nach dem Schub vollständig oder teilweise zurückbilden.
- Viele Patienten mit einer schubförmig-verlaufenden MS entwickeln einen chronischen Verlauf. Bei dieser sekundär progredient verlaufenden MS (SPMS) werden die Schübe seltener, aber die Symptome nehmen kontinuierlich zu. Vorübergehend kann es zu einem Stillstand kommen.
- Bei der primär progredienten MS (PPMS) verschlechtern sich die Symptome und Einschränkungen der Patienten von Anfang an kontinuierlich, meist ohne dass Schübe zu erkennen sind. Zwischenzeitlich kann es zum Stillstand kommen.
Impfungen bei Multipler Sklerose sind oft sinnvoll
Im Rahmen der Behandlung einer Multiplen Sklerose gewinnen auch Impfungen zunehmend an Bedeutung. „Denn immer mehr Therapien erfordern einen sicheren Impfstatus, um Risiken von Behandlungen zu mindern“, sagt Dr. Frank Siebecker. Außerdem könnten Impfungen das Risiko eines Schubes durch Infektionen reduzieren.
{{::tip::standard::Wichtig ist es, den Impfstatus möglichst früh im Erkrankungsverlauf zu klären und ihn zu einem optimalen Zeitpunkt zu aktualisieren. Nicht geimpft werden darf während eines Schubes, in den ersten zwei bis drei Wochen nach einer Cortison-Therapie, während einer Infektion oder wenn die verabreichte medikamentöse Therapie dies nicht zulässt.::}}
Allerdings sei auch nicht völlig auszuschließen, das manche Impfstoffe einen Schub bei MS-Patienten auslösen können. „Bei Lebendimpfstoffen ist das denkbar und kritisch zu prüfen“, erklärt der Neurologe aus Telgte. So gebe es Hinweise, das der Gelbfieber-Impfstoff Schübe auslösen kann.
Impfungen mit inaktivem oder abgetötetem Erregeranteil dagegen seien scheinbar ausreichend sicher. „Impfungen zum Schutz vor Tetanus, Diphtherie, Influenza, FMSE, Hepatitis B sowie Masern, Mumps und Röteln gehen nicht mit einer erhöhten Schubrate einher“, erklärt Mediziner Siebecker.
Hintergrundinfo zur Multiplen Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, also des Gehirns und/oder des Rückenmarks;
- Körpereigene Immunzellen greifen fälschlicherweise die schützende Zellschicht der Nervenfasern an.
- Die betroffenen Nervenbahnen können sich entzünden, narbig verheilen und dann elektrische Signale im Gehirn und Rückenmark nicht mehr optimal an Muskeln und Nerven übertragen;
- Die meisten Menschen erkranken zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr;
- MS ist keine Erbkrankheit, dennoch spielt die genetische Veranlagung eine Rolle.
Folgende Beiträge könnten Sie ebenfalls interessieren: