Sie treffen sich täglich um viertel nach drei – Sie wissen schon, wen ich meine: Mathilde, Ottilie, Marie und Liliane, die in dem bekannten Lied von Udo Jürgens täglich in der Konditorei schlemmen, bis der Herrgott ihnen den Weg in den Himmel bahnt. Aber bitte mit Sahne!
Die vier Damen sind Prototypen von Typ-2-Diabetikerinnen. Sie essen nicht nur zu viel. Der übermäßige Anteil an schnell verfügbaren Kohlenhydraten in Form von Zucker und Weißmehl lässt den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen. Dadurch kommt es zu Schäden an Nerven, Arterien und Augen. Der hohe Gehalt an tierischen Fetten in Buttercreme und Sahne fördert die Entstehung von Arteriosklerose und damit Schlaganfall und Herzinfarkt. Bewegungsmangel kommt bei den Kaffeekränzchen dazu. Auch Udo Jürgens ahnte: Typ-2-Diabetes verkürzt die Lebenserwartung.
Abnehmen kann Diabetes verschwinden lassen
Eine Änderung des Lebensstils hätte den vier Damen wohl ein längeres Leben beschert. Eine Studie ergab, dass eine Gewichtsreduktion um 15 kg bei 85 % der Teilnehmer den Diabetes zum Verschwinden brachte. Wenn 5 bis 10 kg Übergewicht abgebaut werden konnten, normalisierte sich der Blutzuckerspiegel bei jedem Dritten. Nach einem Jahr benötigte die Hälfte der Teilnehmer keine Antidiabetika mehr. Diese Zahlen zeigen, warum eine Lebensstil-Änderung das A und O bei der Therapie von Diabetes Typ 2 ist.
Metformin als Ergänzung
Wenn sich damit der Blutzuckerspiegel nicht ausreichend senken lässt, ist Metformin das Mittel der ersten Wahl. Die genannten Basismaßnahmen sind dabei auf jeden Fall beizubehalten.
Metformin senkt das Risiko für Diabetes-Folgeschäden am Herz-Kreislaufsystem. Außerdem unterstützt es bei der Gewichtsreduktion. Darin unterscheidet es sich von einigen anderen oralen Antidiabetika, die das Gewicht unerwünscht erhöhen. Metformin kann bei Bedarf mit anderen Antidiabetika oder Insulin kombiniert werden.
Wie Metformin bei Diabetes wirkt, ist trotz seiner langen Geschichte (siehe Kasten) nicht abschließend erforscht. Der Wirkstoff hat verschiedene Ziele im Stoffwechsel und in den Organen. Allein in der Leber, wo es die Neubildung von Glukose hemmt, beeinflusst es rund 250 verschiedene Enzyme und andere Proteine. Damit gelangt weniger Zucker ins Blut.
Außerdem verbessert es das Ansprechen der Zellen auf Insulin. In der Blutbahn treffen Insulin aus der Bauchspeicheldrüse und Glukose aus Nahrung und Leber aufeinander. Insulin sorgt dafür, dass die Glukose in die Zellen von Muskeln und Organen gelangt und sie mit Energie versorgt. Beim Typ-2-Diabetiker sind die Rezeptoren der Zellen quasi blind für das Insulin, sie öffnen nicht die Tür für die Glukose. Mediziner sprechen von Insulinresistenz. Die Glukose bleibt in der Blutbahn, sodass der Blutzuckerspiegel zu hoch ist.
Wirkstoff mit Startschwierigkeiten
Vor über 100 Jahren entdeckten Forscher in der Heilpflanze Geißraute (Galega officinalis) eine blutzuckersenkende Gruppe von Wirkstoffen, die Guanidine, zu der auch Metformin gehört. Versuche, die Wirkstoffe synthetisch nachzubauen, scheiterten, da die meisten Substanzen sich als zu toxisch erwiesen. In der Folgezeit stand zunehmend mehr Insulin für die Diabetestherapie zur Verfügung, sodass die Guanidine in Vergessenheit gerieten.
1940 kam das Guanidin Proguanil auf den Markt – als Antimalariamittel mit blutzuckersenkenden Nebenwirkungen. Auch Metformin wurde für den Einsatz gegen Malaria geprüft, dann aber gegen Grippe zugelassen. Erst 1956 legten französische Mediziner den Grundstein für die sichere Anwendung von Metformin gegen Diabetes.
So wirkt Metformin im Darm
Forschungen zeigen, dass bei Diabetikern die Darmflora weniger vielfältig ist. Vor allem Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren wie Butter- oder Propionsäure bilden, fehlen. Das scheint die Blutzuckerstörung zu verstärken. Metformin hat vermutlich einen gewissen Effekt darauf. Es fördert die Produzenten der kurzkettigen Fettsäuren.
Leider fördert es auch die Vermehrung von E.coli-Bakterien, was zu Verdauungsbeschwerden führen kann. Mögliche Folgen sind Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Um diese Nebenwirkungen zu minimieren, wird die Dosis über zwei Wochen schleichend angepasst. Außerdem werden die Tabletten zur Mahlzeit oder direkt vor dem Schlafengehen eingenommen.
Bei Austrocknung durch Durchfall oder Erbrechen kann es in seltenen Fällen zu einer Übersäuerung, auch Lactatacidose genannt, kommen. Dann wird der Arzt das Mittel absetzen. Gleiches gilt bei schweren Infekten oder vor bestimmten Narkoseverfahren.
Ungeeignet ist Metformin bei stark eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion, Alkoholmissbrauch sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit. Vorsicht ist geboten bei gleichzeitigem Alkoholkonsum und der Einnahme von entwässernden oder entzündungshemmenden Mitteln. Hier muss der Nierenstoffwechsel ärztlich überwacht werden.
Weitere Einsatzgebiete in der Diskussion
Über die Wirkung bei Diabetes hinaus gibt es Hinweise, dass Metformin weitere Fähigkeiten hat. Es soll die Nebenwirkungen von Cortison abschwächen, als Anti-Aging-Mittel wirken, beim Rauchstopp helfen oder das Krebsrisiko senken. Bei Covid-19 schützt es vielleicht vor einem schweren Verlauf. Aber diese Einsatzgebiete sind noch zu wenig erforscht.
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