Impfen oder nicht?

Im Frühsommer dieses Jahres beherrschte die Neue Grippe die Schlagzeilen. Doch schnell zeigte sich, dass die Infektion nicht so bedrohlich verläuft wie befürchtet, und die Aufregung ließ nach. Nichts desto trotz geht von dem Virus eine Gefährdung aus. Experten befürchten, dass mit Beginn der Grippesaison die Verläufe schwerer werden und mit Toten zu rechnen ist. Deshalb hat die Pharmaindustrie seit Bekanntwerden des neue Virus A (H1N1) fieberhaft an einem Impfstoff gearbeitet. Nun ist er da und soll allen Impfwilligen in Deutschland zur Verfügung stehen. In der vergangenen Woche hat die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Empfehlung zur Schutzimpfung gegen die Neue Grippe veröffentlicht. Aber heißt das nun, dass sich jeder impfen lassen sollte?

Impfstoff wenig untersucht

Die Impfempfehlung der STIKO sind sehr vorsichtig und teils vage formuliert. Das Problem ist offenbar, dass der Impfstoff in relativ kurzer Zeit entwickelt und in großer Menge bereitgestellt werden musste. Klinische Untersuchungen dieses Impfstoffes und Erfahrungen mit möglichen Folgeerscheinungen nach einer Impfung liegen kaum vor. Dennoch hält die Kommission die Impfung zum jetzigen Zeitpunkt für sinnvoll. In der Begründung heißt es: „Die STIKO muss somit auf Grundlage aller derzeit verfügbaren Daten und Analogieschlüsse eine allgemeine Nutzen-Risiko-Bewertung bezüglich einer Impfempfehlung vornehmen und eine Impfempfehlung aussprechen“. Die begrenzte Datenlage ließe sich kurzfristig nicht verbessern. Weiter erklärt die STIKO: „Die Impfempfehlung erst dann zu erstellen, wenn das neue Virus sich im Herbst und Winter 2009/2010 bereits ausgebreitet hat bzw. wenn klinische Studien aus noch größeren Kollektiven vorliegen, ist nicht vertretbar.“ Die Kommission weist jedoch eindrücklich darauf hin, dass die Empfehlung fortlaufend überprüft und gegebenenfalls geändert werde.

Zeitliche Staffelung

Nicht für alle Personengruppen ist die Impfung gleichermaßen sinnvoll. Gesunde Menschen stecken eine Infektion nach bisherigen Erfahrungen recht gut weg. Jedoch führt die STIKO Daten aus den USA, Kanada und Australien an, die gezeigt hätten, dass Personen mit chronischen Grunderkrankungen sowie Schwangere und Wöchnerinnen bei einer Erkrankung ein mehrfach erhöhtes Risiko für einen schweren bzw. tödlichen Krankheitsverlauf hätten. Auf diese Grundlage kommt die Kommission zu einer zeitliche Abstufung bei der Impfung. Folgende Indikationsgruppen sollten sofort geimpft werden, wenn der Impfstoff zur Verfügung steht:

  1. Beschäftigte in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege mit Kontakt zu Patienten oder infektiösem Material;
  2. Personen ab einem Alter von sechs Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens, zum Beispiel chronische Krankheiten der Atmungsorgane, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, chronische Herz-Kreislaufkrankheiten;
  3. Schwangere, vorzugsweise ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel, und Wöchnerinnen.

Da die Krankheit bisher in der Regel milde verläuft, fragen sich viele, warum sie sich überhaupt impfen lassen sollten. Salz in die Mühlen der Impfbefürworter streuten die ersten Todesfälle in Deutschland, die mit der sogenannten Schweinegrippe in Verbindung gebracht wurden. So starb in Essen eine 36-jährige Frau, die mit dem Virus H1N1 infiziert war. Bei ihr handelte es sich allerdings um eine Risikopatientin, die stark übergewichtig war und unter Diabetes litt. Neben dem neuen Virus stellten die Ärzte mehrere antibiotikaresistente Bakterien fest. In der vergangenen Woche starb ein fünfjähriger Junge, der sich mit der Neue Grippe infiziert hatte. Auch hier lag bereits eine schwere Erkrankung vor.

Patient als Versuchsobjekt

Impfgegner sehen in der groß angelegten Impfkampagne einen „Großversuch an der deutschen Bevölkerung“. Die unabhängige Zeitschrift „Gute Pillen – schlechte Pillen“ kritisiert, dass der Impfstoff ein neues Wirkverstärkergemisch enthält. Dieser Wirkverstärker, auch „Adjuvans“ genannt, ist erforderlich, denn es steht nur eine geringe Menge der für die Wirkung erforderlichen Virus-Antigene zur Verfügung, erklärt die Zeitschrift. Nebenwirkungen können zum Beispiel Schwellungen und Schmerzen im Injektionsbereich, Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost sein. Zudem enthält der Impfstoff ein quecksilberhaltiges Konservierungsmittel. Dieses sei, so „Gute Pillen – schlechte Pillen“, auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation aus modernen Impfstoffen längst verbannt worden.


Einige niedergelassenen Ärzte sehen die großangelegte Impfaktion ebenfalls kritisch. „Ich bin zunächst zurückhaltend, was eine flächendeckende Impfung angeht“, erklärt Dr. Klaus Reinhardt aus Bielefeld, Facharzt für Allgemeinmedizin und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Zwar hält er es für richtig, dass ein Impfstoff gegen den neuen Erreger entwickelt wurde. „Aber diese Feldzugmentalität ist absurd“, meint der Mediziner mit Blick auf eine geplante Massenimpfung. Seiner Meinung nach wurde der Impfstoff sehr schnell entwickelt und die Nebenwirkungen bisher zu wenig untersucht. Deshalb möchte er vorerst niemandem zu einer Impfung gegen die Neue Grippe raten. „Ich werde aber impfen, wenn der Patient das wünscht“, erklärte er.

Land NRW haftet

Wie die Impfung praktisch ablaufen soll, steht noch nicht fest. Dazu muss das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW noch Stellung nehmen. Sobald das Ministerium eine Impfempfehlung ausspricht, bestehen Regressansprüche gegen das Land, wenn es zu einem Impfschaden kommen sollte, machte der Pressereferent des Ministeriums, Stefan Pohlkamp, deutlich.
Unklar ist auch noch, wie häufig geimpft werden soll. Für den Influenza-Impfstoff Pandemrix® der Firma GlaxoSmithKline, der hier zum Einsatz kommen soll, gaben das Paul-Ehrlich-Institut und das Robert-Koch-Institut eine vorläufige Dosierungsempfehlung. Sie sieht vor, dass Kinder von sechs Monaten bis neun Jahren zwei Impfungen mit jeweils einer halben Dosis erhalten. Personen von 10 bis 60 Jahren sollen einmal und Erwachsene über 60 Jahre zweimal geimpft werden. Der Abstand zwischen zwei Impfungen soll mindestens drei Wochen und höchstens sechs Monate betragen. Ob sich das Land NRW an diesen Empfehlungen orientieren wird, steht zur Zeit noch nicht fest.


Wie die Impfungen vor Ort ablaufen, regeln die Gesundheitsämter der Kreise. Es haben sich bereits viele Hausärzte bereit erklärt, in ihren Praxen zu impfen. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen sollen sich voraussichtlich durch den Betriebsarzt impfen lassen. Die Impfung ist für den Patienten kostenlos. Mit dem Beginn der Impfung ist laut Pohlkamp etwa am 26. Oktober, vielleicht aber auch erst eine Woche später, zu rechnen. Wer sich impfen lassen möchte, sollte sich an seinen Hausarzt oder an das zuständige Gesundheitsamt wenden. Wul