Hygiene wird heute großgeschrieben. Geduscht wird täglich, die Toilette soll möglichst steril sein und unsere Lebensmittel sind so sauber wie nie. Bakterien haben es schwer, an uns heranzukommen. Vor 100 Jahren sah die Welt noch anders aus. Ein Vollbad gönnten sich die Menschen einmal pro Woche und auf dem Bauernhof gab es Rohmilch, die nicht vorher abgekocht wurde. Das Immunsystem unserer Vorfahren hatte viel zu tun. Entsprechend gut war es trainiert.
100 Billionen Mikroben
Keine Frage: Hygiene ist in vielen Bereichen wichtig. Zu viel Hygiene kann aber schaden. Bakterien sind in erster Line nützliche Begleiter des Menschen. „Etwa 100 Billionen Mikroben bewohnen unseren Körper“, sagt Dr. Dr. Susanne Hinze, Ärztin und Homöopathin aus Bad Oeynhausen. Sie besiedeln den Darm, alle Schleimhäute und die Haut. Etwa 1000 verschiedene Arten gibt es. „Die meisten davon sind nützlich“, erklärt die Medizinerin. Nur etwa 200 Arten können krank machen.
Die Bakterien im Darm, die in der Gesamtheit als Mikrobiota bezeichnet werden, übernehmen verschiedene Aufgaben: Sie entwickeln und aktivieren das Immunsystem, sind an der Aufspaltung von Proteinen beteiligt und machen Nährstoffe für den Körper verfügbar. Außerdem bilden sie wichtige Vitamine und Hormone und ernähren die Darmzellen.
Der Darm entscheidet, was in den Körper kommt
Eine weitere Aufgabe kommt dem Darm als Körperbarriere zu (siehe Kasten). Hier entscheidet sich, welche Bestandteile des Darminhalts in den Körper aufgenommen und welche ausgeschieden werden. Wenn diese Barrierefunktion gestört ist, hat das weitreichende Folgen für den gesamten Organismus, denn 80 % der Immunzellen befinden sich im Darm.
Barrierefunktion des Darms
Eine wichtige Aufgabe des Darms ist die Barrierefunktion. Dafür verfügt das Organ über eine Schutzebene aus vier Schichten:
Darmmikrobiota: Die hier angesiedelten Bakterien verhindern, dass sich Krankheitserreger im Darm ausbreiten.
Schleimschicht: Sie stellt eine mechanische Barriere dar, die Fremdstoffe nur schwer passieren können. Der Schleim enthält Abwehrstoffe, die vor Krankheitserregern schützen.
Darmschleimhaut: Das sind die eigentlichen Darmzellen.
Darm-assoziiertes Immunsystem: Die Immunzellen sind an der Abwehr von Schadstoffen und Keimen beteiligt.
Bei Störungen kann es im Magen-Darm-Trakt zum Reizdarmsyndrom, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Darmkrebs kommen. Möglich sind auch Beeinträchtigungen anderer Organe mit Folgen wie Asthma, Allergien, Autoimmunerkrankungen, Neurodermitis oder Harnwegsinfekten. Auch neurologische sowie psychische Erkrankungen haben ihren Ursprung möglicherweise im Darm, sagt die Homöopathin.
Antibiotikum als Störfaktor
Magen-Darm-Infekte, ungesunde Ernährung, Stress oder bestimmte Umweltfaktoren wirken sich ungünstig auf die Mikrobiota aus. Diese Faktoren führen zum Beispiel dazu, dass sich die Bakterienvielfalt insgesamt reduziert, der Anteil an nützlichen Bakterien abnimmt oder sich mehr krankmachende Keime ansiedeln. Besonders gravierend wirken sich Antibiotika auf die Mikrobiota aus. Die Zahl schützender Milchsäurebildner nimmt ab, gleichzeitig nimmt die Zahl krankmachender Keime zu. Häufig führt das zu Durchfällen. Langfristig kann eine antibiotische Therapie die Mikrobiota und die Darmschleimhaut nachhaltig schädigen.
Deshalb sollten Antibiotika nur im Notfall eingenommen werden, rät die Medizinerin. Viele Infekte lassen sich auf andere Weise behandeln. Die Ärztin macht das am Beispiel eines Harnwegsinfekts deutlich. Bei Frauen liegt die Ursache für die Beschwerden häufig in einer Veränderung der Vaginalflora. Möglicherweise haben sich hier vermehrt krankmachende Keime angesiedelt oder der pH-Wert ist zu hoch. Die Homöopathin setzt nach durchgeführter Diagnostik passende Aromaöle lokal ein, zum Beispiel Thymian thymol, Lemongras oder Teebaumöl.
Prä- und Probiotika
Wie es um die Darmflora bestellt ist, kann jeder über die Ernährung mit beeinflussen. Günstig wirken sich Präbiotika aus. Dazu zählen zum Beispiel ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, das die Vielfalt der Darmflora erhöht.
Ebenfalls gut für den Darm sind Probiotika. Dabei handelt es sich um lebende, vermehrungsfähige, nützliche Bakterien. Probiotika werden in der Regel als Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Häufig enthalten sie Milchsäurebakterien, die das Gleichgewicht des Darm-Ökosystems wiederherstellen. Susanne Hinze empfiehlt Patienten, die ein Antibiotikum einnehmen, den Darm ab dem ersten Tag der Einnahme mithilfe von Probiotika zu schützen.
5 kg Zusatzstoffe pro Jahr
Jeder Bundesbürger nimmt im Durchschnitt pro Jahr 5 kg an zugelassenen Zusatzstoffen über die Ernährung auf. Allein in Brot und Backwaren gibt es mehr als 100 verschiedene Zusatzstoffe. Rund 900 naturidentische Aromastoffe kommen in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz. Zusätzlich wirken chemische Substanzen beispielsweise in Form von Medikamenten, Kosmetika, Putz- oder Desinfektionsmitteln auf den Körper ein. All diese Stoffe können die Barrierefunktion des Darms beeinflussen.
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