Der Leidensdruck ist Milena Topp nicht anzusehen. Was sie über ihre Krankengeschichte erzählt, will auf den ersten Blick so gar nicht zu ihrer positiven, fast fröhlichen Art passen. Doch das Fentanyl-Schmerzpflaster am Dekolleté lässt erahnen: Diese junge Frau kämpft permanent mit starken Schmerzen. Milena Topp hat Endometriose. Bei dieser gynäkologischen Erkrankung bildet sich Gebärmutterschleimhaut ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle.
Die Krankheit verläuft individuell ganz unterschiedlich. Es gibt Frauen, bei denen die Endometriose keine Beschwerden auslöst. Sie fällt oft erst auf, weil die Frauen trotz Kinderwunsch nicht schwanger werden. Anderen, wie Milena Topp aus Werl im Kreis Soest, kostet sie vor allem Lebensqualität.
Schmerzmittel lindern bei Endometriose kaum
Erste Anzeichen der Erkrankung machen sich bei der jungen Frau in der Pubertät bemerkbar. Mit Beginn ihrer ersten Regelblutung im Alter von 13 Jahren begleiten sie starke Bauchschmerzen während der Periode. Hinzu kommen im Laufe der Jahre starke Blutungen, die bis zu zwei Wochen anhalten.„In der Schule habe ich mich oft von meinen Eltern abholen lassen müssen. Ich wurde auch schon mal ohnmächtig vor Schmerzen“, schildert die heute 26-Jährige.
Mit 15 Jahren sei sie das erste Mal beim Frauenarzt gewesen – der Akne und Pille wegen. Sie schildert ihrem damaligen Gynäkologen auch ihre Beschwerden, sei aber nicht ernst genommen worden. „Seine Antwort war, ich solle mich nicht so anstellen, da müsse jede Frau durch. Nach der Pubertät könne sich das vielleicht ändern“, erzählt Melina Topp. „So habe ich mich einfach damit abgefunden, dass das bei mir halt so ist.“ Fortan versucht sie die Schmerzen während ihrer Periode mit Wärmeflasche und rezeptfreien Schmerzmitteln wie Paracetamol und Ibuprofen zu überwinden. Gegen Bauchkrämpfe habe sie Butylscopolamin eingenommen, gegen Übelkeit Dimenhydrinat.
Das sind die zentralen Kennzeichen
Endometriose ist durch Schmerzen und/oder Sterilität gekennzeichnet. Häufige Beschwerden sind:
- Bauch- und Rückenschmerzen vor und während der Periode, die in die Beine ausstrahlen können;
- starke und unregelmäßige Monatsblutungen;
- Schmerzen beim und nach dem Geschlechtsverkehr;
- Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen, beim Stuhlgang oder Wasserlassen;
- zyklische Blutungen aus Blase oder Darm;
- Unfruchtbarkeit.
Zusätzlich können Erschöpfung und Müdigkeit auftreten. Betroffene erkranken vermehrt an Allergien und anderen Autoimmunerkrankungen und sind infektanfälliger während ihrer Periode.
Wegen diffuser Unterleib- und Rückenschmerzen wird sie immer wieder bei verschiedenen Gynäkologen vorstellig. Tatsächlich folgen zur weiteren Abklärung auch Einweisungen ins Krankenhaus. Es werden Bauch- und Darmspiegelungen vorgenommen, aber auch gynäkologische und Ultraschall-Untersuchungen, doch ohne auffälligen Befund, wie Milena Topp berichtet. Die Schmerzen bleiben. Die behandelnde Gynäkologin fährt härtere Geschütze auf, verschreibt ihr schließlich Tilidin, ein verschreibungspflichtiges, synthetisches Opioid. Damit kann Milena Topp den Schmerzspitzen ihre Intensität nehmen. Völlig schmerzfrei ist sie nicht.
Endometriose hat Einfluss auf Berufswahl
Zu diesem Zeitpunkt hat die Erkrankung ihr Privat- und Seelenleben bereits stark in Mitleidenschaft gezogen. Schmerzbedingt muss sie Freizeitaktivitäten im Freundeskreis oft kurzfristig absagen. Auch in der Schule fällt sie immer wieder aus. Eine Ausbildung im täglichen Achtstunden-Betrieb traut sie sich unter diesen Umständen nicht zu. Sie absolviert eine schulische Ausbildung zur Kinderpflegerin und wagt in 2015 ihre Wunschausbildung zur Krankenschwester in München. „Doch die musste ich abbrechen. Ich war zu oft krank“, erklärt Milena Topp.
Sie ist verzweifelt, kehrt nach Hause zurück. Notfallmäßig wird sie in die Klinik eingeliefert. „Da habe ich erstmals Druck gemacht und eine Bauchspiegelung eingefordert“, berichtet sie. Bei einer Laparoskopie, wie die Bauchspiegelung genannt wird, können Gewebeproben entnommen und histologisch untersucht werden.
Und tatsächlich: Bei der Untersuchung Anfang 2016 werden die Mediziner fündig. „Mir wurden mehrere Endometrioseherde aus der Gebärmutter und dem Bauchraum entfernt. Endlich hatte ich eine Diagnose“, erzählt Milena Topp. Sie erhält daraufhin eine Hormontherapie. Diese soll die Aktivität der Endometrioseherde unterdrücken. „Für mich war das Thema damit eigentlich abgeharkt“. Milena Topp ist guter Dinge. Sie beginnt im April eine Ausbildung zur Altenpflegerin, lernt einen neuen Partner kennen.
Endometriose nimmt chronischen Verlauf
Doch die Endometriose ist nicht besiegt, wie sie denkt. „Ich bekam wieder extrem starke Blutungen und bin vor Schmerzen immer wieder mal umgekippt“, berichtet sie. Ende 2016 landet sie abermals notfallmäßig in der Klinik. „Und es wurden wieder Endometrioseherde gefunden, diesmal im kleinen Becken zwischen Vagina und Rektum. Herde, die immer wieder kommen können“, erzählt sie.
{{::tip::standard::Die Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. bietet kostenlose und unabhängige Beratung, Infomaterial und Kontaktadressen von zertifizierten Endometriose-Kliniken und Experten sowie Selbsthilfegruppen. Näheres dazu über www.regelschmerzen-info.de::}}
Die darauf folgenden Jahre sind geprägt von Krankenhausaufenthalten – entweder zur Kontrolle oder um sich wieder Endometrioseherde entfernen zu lassen. Inzwischen sucht sie jedoch zertifizierte Endometriosekliniken auf, die sich auf die Diagnostik und Therapie der Erkrankung spezialisiert haben „2017 hat man eine Adenomyose festgestellt“, schildert sie. Bei dieser Form der Endometriose ist die Gebärmutterwand betroffen und eine operative Therapie oft schwierig.
Milena Topp ist verzweifelt. Die Unterbauchschmerzen treten schon lange nicht mehr zyklusbedingt auf, sondern sind chronisch. „Mal fühlt es sich an, als wenn jemand mit dem Messer von unten in den Bauch sticht. Ein anderes Mal ist es, als wenn im Unterleib etwas zerreißt. Oft ziehen die Schmerzen dabei in meine rechte Leiste“, beschriebt sie die Beschwerden. Bereits die Berührung der Bauchdecke sei schmerzhaft. „Ich hatte kein Liebesleben, weil alles weh tat.“ Krankheitsbedingt fällt sie beruflich immer wieder aus. Ihre Pflegeausbildung wird noch in der Probezeit beendet. Viele Freundschaften, auch die zu ihrem damaligen Freund, sind zerbrochen. Geblieben ist ihr ein sehr kleiner, aber enger Freundeskreis und ihre Eltern, die sie unterstützen, wo es nur geht.
Multimodale Schmerztherapie bei Endometriose
Milena Topp bleibt taff. Mit Unterstützung der Endometriose Vereinigung Deutschland e.V. gründet sie zusammen mit einer weiteren erkrankten Frau die Selbsthilfegruppe Endolinge in Soest. Hier können sich Betroffene informieren, austauschen und auch Lebenspartner finden hier Hilfestellung.
Im Juni 2020 beginnt sie eine Schmerztherapie im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin. Dort sei sie auch ein halbes Jahr später an weiteren Endometrioseherden operiert worden. Der behandelnde Arzt sei sehr einfühlsam und offen mit ihr umgegangen: „Ich solle mir keine Hoffnungen machen, dass es dauerhaft besser wird und ich nach den Eingriffen keine Schmerzen mehr haben werde.“ Die Worte sind hart, aber Milena Topp ist dankbar für diese realistische Einschätzung, wie sie sagt.
Schmerztherapeutisch wird sie hier eingestellt. Gegen die chronischen Schmerzen erhält sie unter anderem Schmerzpflaster mit der morphinartig wirkenden Substanz Fentanyl, das sie alle zwei bis drei Tage wechselt sowie Cannabisprodukte, die ihr vor allem gegen die Übelkeit helfen. Psychisch gestärkt kehrt sie nach Hause zurück.
Wie es mit der Endometriose weitergeht
Doch ein Ende der operativen Eingriffe ist nicht in Sicht. Im neuen Jahr steht ein weiterer Krankenhausaufenthalt in einer zertifizierten Endometrioseklinik an. „Scheinbar sind durch die Endometriose zwei Nerven im Beckenbereich stark in Mitleidenschaft gezogen. Das soll abgeklärt werden“, sagt Milena Topp. Große Hoffnung setzt sie auch auf eine mehrwöchige multimodale Schmerztherapie, die sie dort erhalten soll. Derzeit ist sie auch auf der Suche nach professioneller psychologischer Unterstützung.
Doch es gibt auch positives zu berichten. Sie hat eine Teilzeitanstellung bei einer Arbeitgeberin gefunden, die viel Verständnis für ihre Situation aufbringt. Und seit kurzen ist sie frisch verliebt.
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