In der Ernte fährt der Bauer die Früchte seiner Arbeit ein. Eigentlich eine erfüllende Arbeit – wenn alles gut läuft. Die Praxis sieht oft anders aus. Ernte bedeutet für viele Landwirte, Erntehelfer und Lohnunternehmer Stress. Wie gefährlich ist das? Was ist zu tun, damit der Stress nicht krank macht? Darüber haben wir mit Regina Eichinger-Schönberger gesprochen. Sie leitet bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) Stressmanagement-Seminare.
Ist Stress grundsätzlich immer schlecht?
Gar nicht! Wir brauchen ein gewisses Maß an Anspannung, um voranzukommen. Es ist entscheidend, dass wir im Gleichgewicht bleiben. Dazu müssen wir dem Stress einen Gegenpol in Form von Entspannung setzen. Alle Lebensfunktionen, wie die Atmung oder der Blutkreislauf, funktionieren über Anspannung und Entspannung. Dieses Prinzip können wir auf unser Leben übertragen. Für Zeiten der Anspannung müssen wir uns ebenso entscheiden wie für Zeiten der Entspannung.
Wie erkenne ich, dass der Stress zu viel wird?
Zu viel ist es spätestens dann, wenn der Körper Signale sendet. Das können Rückenschmerzen, Bluthochdruck, schnelle Herzfrequenz, veränderte Blutzuckerwerte, Kopfschmerzen, Migräneanfälle oder Kurzatmigkeit sein. Stress macht sich auch am Verhalten bemerkbar. Die Bewegungen werden fahrig, die Fehler nehmen zu. Die Person wird unachtsam oder ist morgens trotz vermeintlich gutem Schlaf nicht energiegeladen. Es kommt auch vor, dass jemand abends nicht einschlafen kann oder die Schlafqualität leidet. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Anspannung zu viel war und ich nicht mehr in den Zustand der Entspannung komme.
Wie häufig sind Pausen nötig und wie sollten diese aussehen?
Neben dem, was gesetzlich geregelt ist: Sie sollten zu Zeiten, in denen Sie noch gut Energie haben, eine Pause einplanen. Dann kommen Sie auch mit einer kürzeren Pause zurecht. Warten Sie, bis Sie die Erschöpfung deutlich spüren, ist es eigentlich zu spät.
Die Pause sollte einen Gegensatz bilden zu dem, was jemand sonst macht. Wer auf dem Trecker sitzt, sollte also absteigen, ein paar Schritte gehen und Dehnübungen machen. Wer extrem körperlich gearbeitet hat, sollte sich erst einmal hinsetzen.
Zu den Mahlzeiten sollte eine größere Pause anstehen. Am besten lassen dann alle die Arbeit ruhen. Sonst könnten die Mitarbeiter beim Essen hektisch werden, weil andere weiterarbeiten. Eine gemeinsame Pause ist außerdem ein hoher Motivator für die ganze Gruppe. Mit Abstand sollte das auch in Corona-Zeiten möglich sein.
Wie gelingt es, in Arbeitsspitzen lange wach und konzentriert zu bleiben?
Auch hier gilt: Die Pause ist der Garant dafür, dass ich leistungsfähig bleibe. Es hilft niemandem, wenn jemand versucht, Zeiteinbußen auszugleichen, in der Hektik aber einen Unfall verursacht. Die Schäden, die durch solche Unfälle entstehen, sind in der Regel bedeutender als das, was man vermeintlich an Zeit und an Ernte gewinnen könnte. Eine vorausschauende Entscheidung ist es, sich einzugestehen, dass man sich nicht mehr konzentrieren kann.
Anstelle von Energie-Drinks, Cola und Schokolade ist ein gutes Essen eine gute Basis, zum Beispiel Obst, Gemüse oder ein ordentliches Brot. Außerdem braucht der Körper regelmäßige Schlafzeiten.
Wie lange darf ein Arbeitstag maximal dauern?
Für Arbeitnehmer gibt es Regelungen, aber so ist die Frage ja nicht gemeint. Wie lange jemand arbeiten kann, hängt von seiner Grundkonstitution ab. Ein gesunder Mensch kann ein oder zwei Tage lang zwölf Stunden arbeiten – aber nicht durchgehend mit gleicher Leistungsstärke. Das meinen zwar viele. Wenn sie aber ihre Arbeitsergebnisse betrachten würden, dann würden sie sich wundern, wie oft sie sich mit der Methode um den Erfolg bringen. Manche Maschinendefekte haben damit zu tun, dass man das Gerät in der Fahrigkeit falsch bedient hat.
Wie schafft es der Landwirt, nach der Arbeit abzuschalten und gut zu schlafen?
Je klüger man die Pausen macht, desto leichter tut man sich abends mit dem Einschlafen. Gut sind außerdem eine warme Dusche und eine leichte Mahlzeit. Drehen Sie vielleicht noch eine kleine Runde über den Hof oder setzen Sie sich 20 Minuten in den Garten. Sprechen Sie am Abend darüber, was am Tag alles funktioniert hat. Das sorgt für ein gutes Gefühl, und damit schläft es sich leichter ein.
Wie lässt sich vermeiden, dass nach dem Erntestress direkt die nächste Stressphase kommt?
Wichtig sind Rituale, mit denen die Zeit der Ernte und damit die Zeit der Anspannung beendet wird. Das kann ein Helferfest oder auch nur ein Umtrunk mit allen Beteiligten sein. Gut ist auch ein Sonntagsausflug mit der Familie oder der Besuch eines Dorffestes.
Wie lässt sich Stress in der Ernte vorbeugend vermeiden?
Der Landwirt sollte alle, die an der Ernte beteiligt sind, rechtzeitig über die anstehenden Arbeiten informieren. Mitarbeiter sollten eventuell noch zu den Abläufen geschult werden. Wenn alle Bescheid wissen, dann greifen die Zahnräder auch gut ineinander.
Gerade wenn die Ernte sich über einen langen Zeitraum hinzieht, sollte man Teilschritte einplanen und hinter jeden Teilschritt einen Haken setzen.