Frau Selhorst, ein Schwerpunkt der Ernährungsstrategie NRW ist die Förderung einer regionalen, saisonalen und nachhaltigen Versorgung, vor allem in Kantinen. Das hört sich gut an, oder?
Grundsätzlich begrüßen wir eine Ernährungsstrategie. Wir Landfrauen arbeiten schon lange daran, die Ernährung in die Politik zu bringen, damit endlich etwas passiert. Die Regale in den Supermärkten werden immer mehr mit Fertigprodukten gefüllt und nur noch wenige Menschen können einen Rotkohl zubereiten. Vor allem muss die Alltagskompetenz gefördert werden. Die Verbraucher müssen wissen, wie sie Nahrung zubereiten und wie sie einen Haushalt führen. Das wäre die Autobahn. Stattdessen nimmt sich die Ernährungsstrategie eine Nebenstrecke vor, indem sie ihren Schwerpunkt auf die Außer-Haus-Verpflegung setzt.
Kommt die Ernährungsbildung in der Ernährungsstrategie also zu kurz?
Ernährungsbildung ist mit drin, aber nur am Rande. Im Mittelpunkt steht die Kantinenverpflegung. Kantinen haben jedoch ein gedeckeltes Budget. Wenn sie mehr regionale und saisonale Produkte einsetzen sollen, wird es teurer. Es ist zwar gut, Verbindungen zu Erzeugern zu schaffen – wie es die Ernährungsstrategie vorsieht. Aber solange nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt wird, können die Kantinen keine dieser Kontakte nutzen.
Sollte der Staat die Außer-Haus-Verpflegung stärker bezuschussen?
Es braucht mehr Wertschätzung für das Essen, und Wertschätzung drückt sich auch über den Preis aus. Ich bekomme billiges Essen nicht zu einer Topqualität, vor allem nicht mit regionalen Lebensmitteln. Wenn aber beispielsweise das Schulessen teurer wird, dann sehen wir die Gefahr, dass Familien, die das nicht leisten können, sich vom Schulessen abwenden. Dann gibt es stattdessen die kalte Pizza vom Vorabend. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung.
In welcher Weise können sich die Landfrauen in einer Ernährungsstrategie für NRW einbringen?
Es gibt immer weniger Landfrauen, die ehrenamtlich Ernährungsbildung in der Schule anbieten, diese Zeit ist vorbei. Wir können aber als Multiplikatorinnen wirken. Wir haben in Westfalen-Lippe 43 000 Landfrauen. Über unsere Bildungsprogramme können wir also in 43 000 Familien Ernährungsbildung platzieren. Die Mitglieder sind zwar keine Fachleute für Ernährung, aber sie sind interessiert daran und können als Meinungsbildner in der Gesellschaft dienen. Für diese Bildungsaufgaben innerhalb des Verbands brauchen wir zum Beispiel Bildungsreferentinnen, die Kochabende anbieten oder Informationen über klimagerechte Ernährung vermitteln. Dafür brauchen wir Unterstützung von der Politik.
Wenn Landfrauen meist ohnehin an Ernährungsthemen interessiert sind, wäre es dann nicht schlauer, in die Ernährungsbildung anderer Gruppen zu investieren?
Landfrauen haben ein großes Netzwerk und sind überdurchschnittlich engagiert, zum Beispiel in Schulpflegschaften, Kirche, Politik oder Vereinen. Dort könnten sie andere Personen mit dem Virus Ernährungskompetenz infizieren und begeistern und somit viele Menschen erreichen.
Was erwarten Sie von der Landesregierung?
Wir fordern, dass mehr in Ernährungsbildung investiert wird, sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch in der Erwachsenenbildung. Ernährungsbildung ist zwar ein Teil der Ernährungsstrategie, aber es ist überhaupt nicht ausgereift, wie das passieren kann.
Ernährungsstrategie NRW
In NRW bereitet die Koalition aus CDU und Grünen eine Ernährungsstrategie für das Bundesland vor. In einem gemeinsamen Antrag, der Ende Januar im Landtag beraten wurde, geht es sowohl um gesunde Ernährung als auch um die Förderung der heimischen Landwirtschaft. Vor allem in öffentlichen Kantinen soll der Einsatz regionaler und saisonaler Lebensmittel gefördert werden. Bis es jedoch konkrete Beschlüsse gibt, wird es voraussichtlich eine ganze Weile dauern. Vermutlich wird es auch noch einige Änderungen geben.
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