Neun Monate lang hat Barbara Heying aus Heek, Kreis Borken, ihren jetzt zehn Monate alten Sohn Johann voll gestillt. Einfach war das nicht immer. „Ohne Unterstützung hätte ich nicht durchgehalten“, sagt sie. Am Anfang klappte das Stillen nicht gut. Johann war zu früh geboren und recht schwach. Deshalb pumpte die junge Mutter die Milch ab und gab sie ihm mit der Flasche. Immer wieder aber versuchte sie auch ihren Sohn anzulegen.
Nach und nach klappte das immer besser. Aber die ersten acht Wochen waren sehr schwierig. „Es gab oft Situationen, in denen ich aufhören wollte“, sagt die 31-Jährige. In diesen Momenten hat sie ihre Hebamme Beate Weuler angerufen und bei ihr Hilfe und Unterstützung gefunden. Heute ist sie froh, dass sie durchgehalten hat. Als Kinderintensivschwester, aber auch als Mutter weiß sie, wie wichtig Stillen für das Kind ist.
Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Nachdem eine internationalen Untersuchung festgestellt hat, dass Deutschland moderat stillfreundlich ist, hat sie die Nationale Stillstrategie beschlossen. Ziel ist, die Rahmenbedingungen für das Stillen zu verbessern.
Ziele der Nationalen Stillstrategie
Das Bundeskabinett hat im Juli die Nationale Stillstrategie beschlossen. Hauptziel der Strategie ist es, die Stillfreundlichkeit in Deutschland zu verbessern und die Stillmotivation zu erhöhen. Besonders werden dabei jene Frauen in den Blick genommen, die bislang eher seltener oder kürzer stillen. Außerdem sollen die Rahmenbedingungen für das Stillen in allen Lebensbereichen verbessert werden. Auch die Akzeptanz in der Öffentlichkeit für das Stillen soll durch die Strategie gesteigert werden.
Geplante Maßnahmen sind beispielsweise:
- Es wird eine einheitliche S3-Leitlinie zum Thema Stilldauer und Intervention zur Stillförderung erarbeitet. Für Eltern und Familien wird eine laienverständliche Version entwickelt.
- Die Vermittlung von Stillwissen in der Aus- und Weiterbildung von Medizinern soll ausgebaut werden.
- Es wird ein Leitfaden entwickelt, mit dem sich Kommunen als „stillfreundliche Kommunen“ etablieren können.
- Durch Still- und Familiencafés soll Stillpraxis erlebt und gelebt und die Vernetzung von Müttern gefördert werden.
- Betriebe werden angeregt stillfördernde Maßnahmen umzusetzen.
Vorteile für Mutter und Kind
Die Vorteile des Stillens liegen auf der Hand: „Die Inhaltsstoffe der Muttermilch sind immer auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt“, sagt Hebamme Beate Weuler aus Heek. Muttermilch löscht den Durst und liefert dem Säugling alle Nährstoffe, die er braucht.
Die Nationale Stillstrategie nennt weitere Vorteile: Gestillte Kinder
- erleiden seltener einen plötzlichen Kindstod,
- erkranken seltener an Durchfall- und Atemwegserkrankungen,
- haben ein geringeres Risiko, übergewichtig zu werden, und
- entwickeln seltener eine Diabetes mellitus Typ II-Erkrankung,
als nicht gestillte Kinder. Darüber hinaus ist Muttermilch keimfrei, enthält viele Abwehrstoffe und kostet nichts.
Auch die Mutter hat einen gesundheitlichen Nutzen durch das Stillen. Nach der Geburt fördert es die Rückbildung, erklärt die Hebamme. Langfristig erkranken Mütter, die gestillt haben, seltener an Diabetes. Außerdem gibt es Hinweise, dass Stillen das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs reduziert.
Stillen fördert die psychische und kognitive Reife
Stillen ist aber viel mehr als Ernährung. Dabei baut sich das Urvertrauen des Kindes auf. Beim Kind und bei der Mutter wird das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet. Stillen fördert die psychische und kognitive Reife des Kindes. „Stillkinder sind ehrgeiziger, denn sie müssen mehr für ihr Essen tun“, erklärt Beate Weuler.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, sechs Monate lang ausschließlich zu stillen. Mindestens sollten es vier Monate sein. Aus der Praxis weiß die Hebamme, dass das nicht alle Frauen schaffen oder möchten. Sie sagt deshalb: „Jedes Stillen ist wertvoll.“ Wenn sich eine Frau komplett dagegen entscheidet, sollte sie das Kind zumindest nach der Geburt einmal anlegen, rät die 52-Jährige. Denn die Vormilch, die das Kind dabei bekommt, enthält besonders viele wichtige Abwehrstoffe.
Junge Eltern brauchen Unterstützung
Ob und wie lange eine Frau stillt, hängt von vielen Faktoren ab. Eine Rolle spielt dabei, wie die Frau beim Stillen unterstützt wird. Eine gute Anleitung im Krankenhaus ist wünschenswert. Doch so manches Mal fehlt dem Klinikpersonal die Qualifikation oder schlicht die Zeit dafür, weiß Beate Weuler.
Doch selbst wenn es zunächst klappt, hören viele Frauen früh wieder auf. Oft fehlt ihnen die nötige Unterstützung. Barbara Heying weiß aus ihrer Erfahrung, dass jede Mutter eine Person braucht, die sie durch die komplette Stillzeit begleitet. Leider haben heute viele Schwangere und junge Mütter Schwierigkeiten, überhaupt eine Hebamme zu finden.
Manchmal scheitert das Stillen auch an der mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung. „Nur wenige Frauen trauen sich, in der Öffentlichkeit zu stillen“, stellt Beate Weuler fest. Auch fehle es an Räumlichkeiten, in die sie sich zum Stillen zurückziehen können.
Prominente Frauen als Vorbilder erwünscht
Hier setzt die Nationale Stillstrategie an. Deutschland soll stillfreundlicher und die Stillmotivation soll erhöht werden. Wichtig ist dabei ein niedrigschwelliges Angebot. Denn je geringer der Bildungsstatus, desto niedriger die Stillquote, sagt Beate Weuler. „Ich würde mir Vorbilder aus der Öffentlichkeit wünschen, also prominente Frauen, die für das Stillen werben“, sagt die Hebamme.
Sie selbst setzt sich gerade dafür ein, die Gemeinde Heek zu einer stillfreundlichen Kommune zu machen. Dafür hat eine Apotheke bereits einen Stillraum mit Wickeltisch eingerichtet. Ein weiterer Stillraum im Rathaus soll demnächst fertiggestellt werden.