Als hätte sie es geahnt, hat Silvie Brokmann die Weichen in die richtige Richtung bereits gestellt, bevor sie von ihrem Prädiabetes überhaupt wusste. Vor etwa einem Jahr setzte sie sich zum Ziel, ihr Gewicht zu reduzieren. Dafür meldete sie sich bei einem Ernährungsprogramm unter ärztlicher Kontrolle an. Bei der Eingangsuntersuchung stellt ihr Arzt fest, dass ihre Blutzuckerwerte auffällig hoch waren. Noch kein Diabetes, aber nicht weit davon entfernt. Das reichte, um bei der 60-Jährigen aus Minden alle Alarmglocken schrillen zu lassen. Schließlich litt sie bereits an diversen Beschwerden, wie Arthrose, Schlafapnoe und verschiedenen Allergien. „Das reichte mir eigentlich“, sagt sie. Sie nahm sich vor: Diabetes soll nicht dazu kommen.
Vorstufe zum Diabetes
Als Prädiabetes wird eine Vorstufe des Diabetes bezeichnet. Er kann einen Typ-2-Diabetes ankündigen und ihm Jahre vorausgehen. Studien zeigen, dass ein unbehandelter Prädiabetes bei 37 % der Betroffenen innerhalb von vier Jahren zu einem manifesten Diabetes führt. Innerhalb von zehn Jahren steigt das Risiko auf bis zu 50 %.
Nach Hochrechnungen des Robert Koch Instituts haben 20,8 % der Deutschen eine prädiabetische Stoffwechsellage, das entspricht etwa 13,1 Mio. Menschen. Viele wissen nicht davon. Das ist gefährlich, denn schon in dieser Phase können Folgeschäden durch den erhöhten Blutzuckerspiegel auftreten. Die gute Nachricht: Prädiabetes ist reversibel.
Folgen des Prädiabetes
Einige Begleiterscheinungen, die mit einer Diabeteserkrankung einhergehen, sind schon bei Prädiabetes festzustellen. Beispielsweise finden sich bei Patienten mit Prädiabetes deutlich mehr Ablagerungen, so genannte Plaques, in den Gefäßen. Auch das Herz kann durch die erhöhten Blutzuckerwerte geschädigt werden. Das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko ist erhöht. Deshalb ist unter Umständen die Untersuchung durch einen Kardiologen anzuraten.
Experten gehen davon aus, dass auch bereits Schäden an Augen, Nieren und Nerven auftreten können. Bei Männern mit Prädiabetes wurde zudem ein um das Dreifache erhöhtes Risiko für erektile Dysfunktion festgestellt.
Wer hat ein erhöhtes Diabetesrisiko?
Menschen, die ein erhöhtes Diabetesrisiko haben, sollten ihre Blutzuckerwerte regelmäßig überprüfen lassen, rät Dr. Meinolf Behrens, Diabetologe am Diabeteszentrum Minden. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen:
- Genetische und epigenetische Faktoren: Menschen, deren Eltern an Diabetes leiden, haben ein sechsfach erhöhtes Diabetesrisiko.
- Übergewicht: Etwa die Hälfte aller Patienten mit Diabetes mellitus ist fettleibig mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m2, die meisten sind übergewichtig mit einem BMI über 25 kg/m2. Vor allem das Bauchfett spielt eine große Rolle. Das Fettgewebe kann zu einer chronischen unterschwelligen Entzündung führen, die eine Insulinresistenz fördert.
- Bewegungsmangel: Ein überwiegend sitzender Lebensstil ist einer der Hauptgründe, warum sich Diabetes entwickelt.
Daneben spielen einige weitere Faktoren eine Rolle. Beispielsweise steigt das Diabetesrisiko ab einem Alter von 45 Jahren. Frauen, die während einer Schwangerschaft an Gestationsdiabetes erkrankt waren, sollten besonders achtgeben. Sie entwickeln fast doppelt so häufig einen Diabetes wie andere Frauen. Deshalb sollten sie sich regelmäßig, am besten jährlich, einem Diabetes-Screening unterziehen. Ein erhöhtes Diabetesrisiko haben auch Frauen, die am Polyzystische Ovarialsyndrom (PCO) leiden. Diese Erkrankung geht mit Zysten an den Eierstöcken und Unfruchtbarkeit einher. Darüber hinaus steigt das Risiko für Diabetes durch übermäßigen Alkoholkonsum und Rauchen.
Mit einfachen Selbsttests das Risiko überprüfen
Personen mit einem erhöhten Risiko rät Dr. Behrens, regelmäßig selbst einen Risiko-Check durchzuführen. Dafür gibt es zwei gute Screening-Verfahren:
- Den Test FINDRISK bietet die Deutsche Diabetes Stiftung auf ihrer Internetseite an. Nur acht Fragen müssen beantwortet werden, um eine Einschätzung des Diabetesrisikos zu bekommen.
- Ähnlich aufgebaut ist der Deutsche Diabetes Risikotest des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Dieser Test ist nach Einschätzung von Dr. Behrens etwas besser auf die Bedingungen in Deutschland ausgerichtet.
Solche kostenlosen Tests sollten Menschen mit Prädiabetes sowie Personen mit familiärer Vorbelastung oder mit Übergewicht einmal im Jahr durchführen. Dr. Meinolf Behrens empfiehlt ihn darüber hinaus aber jedem ab 35 Jahren.
Bei beiden Tests erhält der Testende im Anschluss Informationen, wie er sich weiter verhalten sollte. Zeigt der Test Hinweise auf ein hohes Diabetesrisiko, sollte der Betreffende auf jeden Fall seinen Hausarzt aufsuchen. Dieser wird anhand des Nüchtern-Blutzuckers, des Langzeit-Blutzuckerwerts HbA1c oder eines oralen Glukose-Toleranztests überprüfen, ob ein Prädiabetes oder sogar ein manifester Diabetes vorliegt.
Mehr Gemüse, weniger Brot
Silvie Brokmann konnte bisher einen manifesten Diabetes abwenden. Das ist ihr gelungen, weil sie ihren Lebensstil nachhaltig geändert hat. Sie isst deutlich mehr Gemüse als zuvor, ihren Brotkonsum hat sie dagegen reduziert. „Das fällt mir schwer, denn ich esse gerne Brot. Aber man gewöhnt sich daran“, sagt sie. Eine große Umstellung war für sie, nur noch drei Mahlzeiten zu essen. Obst gibt es für sie jetzt beispielsweise als Nachtisch nach dem Essen statt zwischendurch.
Großen Wert legt die Mindenerin auf die Qualität der Lebensmittel, die sie verzehrt. „Beim Einkauf drehe ich die Verpackung um und achte auf die Gehalte an Zucker, Fett und Eiweiß“, verrät sie. Besonders wichtig ist ihr der Zuckergehalt, den sie in ihrer Ernährung deutlich reduzieren möchte.
Süßigkeiten gibt es bei ihr kaum noch, auch keine gesüßten Getränke. Statt Fruchtjoghurt nimmt sie Naturjoghurt, unter den sie frische Früchte mischt. Ihr Geschmack hat sich schon so daran gewöhnt, dass Fruchtjoghurts oder Schokoriegel ihr viel zu süß sind. Hin und wieder gönnt sie sich ein Stückchen Kuchen, aber auf keinen Fall mehr.
Am Ball bleiben
Zusätzlich treibt Silvie Brokmann viel Sport. Sofern die Corona-Regeln es zulassen, macht sie im Fitnessstudio Ausdauer- und Krafttraining. Außerdem nimmt sie an einem Aqua-Fitness-Kurs teil, geht spazieren und fährt Fahrrad. Damit schafft sie es, das Gewicht zu halten. Sie hat bereits einige Kilo abgenommen. „Es muss aber noch mehr runter“, sagt sie.
Sie hat ihren Alltag so verändert, dass sie mit den Änderungen gut leben kann. Deshalb ist sie zuversichtlich, dass sie die neuen Gewohnheiten langfristig beibehalten kann. Denn sie weiß: Will sie verhindern, dass aus dem Prädiabetes ein Diabetes wird, muss sie am Ball bleiben.
Elf Tipps, damit Diabetes keine Chance hat
Durch einen gesunden Lebensstil lässt sich das Diabetes-Risiko senken. Die Deutsche Diabetes-Stiftung gibt elf Tipps, wie das im Alltag gelingen kann:
- Übergewicht reduzieren, denn ein zu hohes Körpergewicht zählt zu den wichtigsten Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes. Insbesondere die Fettleber spielt bei der Entstehung dieser Diabetesform eine wichtige Rolle.
- Täglich mindestens 30 Minuten bewegen. Das muss nicht immer Sport sein, auch körperliche Arbeit, zum Beispiel im Garten, zählt. Wichtig ist, dass man dabei leicht ins Schwitzen kommt. Am besten ist es, Ausdauer- und Muskeltraining zu kombinieren, rät Dr. Meinolf Behrens. Denn Muskulatur ist wichtig, um den Grundumsatz hoch zu halten, also auch in Ruhe möglichst viele Kalorien zu verbrennen.
- Auf die Ernährung achten. Dr. Behrens empfiehlt einen eher geringen Anteil an Kohlenhydraten, etwa 30 bis 40 % der Gesamtenergie. Außerdem sollten pflanzliche Fette bevorzugt werden. Fertiggerichte und verarbeitete Fleisch- und Wurstwaren sind eher zu meiden. Ballaststoffe helfen gegen einen gestörten Zucker- und Fettstoffwechsel und verbessern die Insulin-Wirkung. Empfohlen werden 30 g pro Tag.
- Versteckte Fette meiden. Diese finden sich zum Beispiel in Wurstwaren, einigen Käsesorten und in vielen Fertiggerichten.
- Auf Softdrinks verzichten. Limonade, Cola und Fruchtsäfte treiben den Blutzuckerspiegel in die Höhe.
- Vier bis sieben Tassen Kaffee täglich trinken. Dadurch lässt sich das Diabetes-Risiko um 25 % senken.
- Alkoholische Getränke in Maßen genießen. Frauen sollten nicht mehr als 10 g (1/8 l Wein), Männer nicht mehr als 20 g (0,5 l Bier) täglich aufnehmen.
- Nicht Rauchen. Durch einen Rauchstopp sinkt das Diabetes-Risiko um 30 bis 50 %.
- Den Blutdruck auf einem normalen Wert halten. Dadurch wird das Risiko für Folgeerkrankungen des Diabetes gesenkt.
- Ausreichend schlafen. Schlafmangel wirkt sich negativ auf die Blutzuckerwerte, die Insulinwirkung und die Insulinausschüttung aus.
- Stress vermeiden. Stresshormone treiben den Blutzuckerspiegel hoch.
Das könnte Sie auch interessieren: