Apothekerkammer reagiert auf Zytoskandal

Dem Panschen vorbeugen

Seit dem Bottroper Skandal um verfälschte Krebsmittel sind viele Patienten verunsichert. Mit einer Selbstverpflichtungserklärung wollen die beiden Apothekerkammern in NRW Vertrauen zurückgewinnen. Ob das reicht?

Martin Porwoll ist der Mann, der Mut und Zivilcourage bewiesen hat. 2016 zeigte er seinen damaligen Chef, den Bottroper Apotheker Peter S., bei der Polizei an. Dieser muss sich zurzeit vor Gericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, über viele Jahre bei der Herstellung von Krebsmitteln gepanscht zu haben. Statt der im Rezept ärztlich verordneten Mengen soll er weniger der teuren Wirkstoffe in den Medikamenten zur Chemotherapie und Antikörperinfusion verwandt haben. Auf diese Weise sollen in sechs Bundesländern mehrere Tausend Krebspatienten deutlich niedriger dosierte Krebsmittel erhalten haben.

Mitarbeiter zeigt an

Als kaufmännischer Leiter der Alten Apotheke war Martin Porwoll seinem Chef auf die Schliche gekommen. „Ich hatte eine mora­lische Handlungsverpflichtung“, berichtete der 46-jährige Volkswirt vergangene Woche bei den „Münsteraner Gesundheitsgesprächen“ der Apothekerkammer Westfalen- Lippe. Er stellte gegenüber, was an Wirkstoffen eingekauft und was abgegeben wurde. Das sei jedoch nicht so einfach, denn die Rezeptverordnungen seien einem Inhaber heilig und nur schwer einzusehen.

Mit Unterstützung einer Kollegin gelang es ihm, das kriminelle Verhalten seines Ex-Chefs aufzudecken. Der steht nun vor dem Landgericht in Essen. Vorgeworfen werden ihm Betrug und Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz im Zeitraum zwischen 2012 und 2016. Vorheriges Handeln gilt als verjährt. Der Betrugsschaden für die Krankenkassen soll sich auf etwa 56 Mio. € belaufen.

Was aber noch viel schlimmer wiegen dürfte, sind die gesundheitlichen Konsequenzen für sein Handeln, die vor allem betroffene Krebspatienten zu tragen haben. Ihnen droht womöglich ein schlechterer Krankheitsverlauf als Patienten, die ihre Medikamente aus anderen Apotheken bezogen haben. Dies geht aus einer internen Patienten-Auswertung der AOK- Rheinland hervor, wie das Recherchezentrum Correctiv.Ruhr berichtete. Einen eindeutigen Zusammenhang nachzuweisen, das steht dagegen auf einem anderen Stück Papier.

Recht auf Information

Weil ein halbes Jahr nach der Verhaftung des Apothekers nur ein Bruchteil der Patienten wusste, dass sie betroffen waren, ging Martin Porwoll an die Öffentlichkeit. „Betroffene haben ein Recht da­rauf, Rechtsmittel ergreifen zu können“, begründet er sein Vorgehen als Whistleblower, zu Deutsch Hinweisgeber. Noch immer wüssten nicht alle betroffenen Krebspatienten Bescheid, dass sie min­derdosierte Arzneien erhalten haben.

Seither beschäftigt das Thema Behörden und Politik. Es geht beispielsweise darum, Kontrollen zu verschärfen, wie etwa die unangemeldete Entnahme von Proben, damit ein solch kriminelles Verhalten erschwert wird.

Auch die beiden Apothekerkammern in NRW ziehen aus dem Bottroper Zyto-Skandal Konsequenzen.

Verpflichtende Erklärung

Auf der Expertentagung vergangene Woche in Münster wurden dazu verschiedene Vorschläge gemacht. So könnte beispielsweise eine dokumentierte Probe der jeweiligen Rezeptur für einen gewissen Zeitraum zurückgestellt werden müssen, hieß es. Gute Idee, aber wenig praktikabel. Weil das Rezept meist aus unterschiedlichen Wirkstoffen bestehe, für die keine definierte Haltbarkeit vorliege, sei das Ergebnis wenig aussagekräftig. Überdies existierten auch nicht für alle Arzneistoffe klare Analyseverfahren, informierte Gabriele Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. In der Diskussion wurde klar: Es gibt keine einfache Lösung.

Den Beitrag, den die Apothekerkammern leisten werden, stellte Dr. Andreas Walter, Hauptgeschäftsführer der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, vor. Demnach sollen alle Apotheker, die in NRW Krebsmedikamente mischen, eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnen. Darin verpflichten sie sich,

  • jederzeit im Vieraugenprin­zip Zytostatikalösungen herzustellen;
  • dem verordnenden Arzt eine Durchschrift der Herstellungsdokumentation zur Verfügung zu stellen, damit diese in die Patientenakte aufgenommen werden kann;
  • auf Nachfrage jederzeit einen transparenten und plausiblen Überblick über die bezogenen und verwendeten Ausgangsstoffe und deren Dokumentation geben zu können.

Diese Selbstverpflichtungserklärung soll auf der Homepage der Apothekerkammer für Ärzte einsehbar sein. Auch der Amtsapotheker erhalte davon Kenntnis.


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