Ständiges Unwohlsein und Übelkeit – mit diesen Beschwerden sucht Gustav E. seinen Arzt auf. Der diagnostiziert bei dem damals 46-jährigen Landwirt aus dem Landkreis Kassel Zystennieren. Als sein Sohn Thore sich etwa im gleichen Alter ärztlich durchchecken lässt, stellt man auch bei ihm diese Nierenerkrankung fest.
Zystennieren sind erblich und bislang unheilbar. In den Niere bilden sich flüssigkeitsgefüllte Kammern, sogenannte Zysten. Diese schränken die Nieren in ihrer Filterfunktion zunehmend ein. Am Ende steht ein lebensbedrohliches Nierenversagen. Einzig – mithilfe einer Dialyse ist es möglich, über viele Jahre mit der Erkrankung zu leben. Um langfristig zu überleben, braucht es aber meist einer Nierentransplantation. Beides hat Vater Gustav E. schon hinter sich.
Als bei Gustav E. die Erkrankung 1986 festgestellt wird, bleiben ihm noch etwa zwei Jahre, bis er schließlich dialysepflichtig ist. Fortan fährt er dreimal die Woche ins Dialysezentrum nach Hann. Münden. Arbeitsfähig ist er an den Tagen nicht mehr. Mit 53 Jahren erleidet er noch ein Hirnanorysma und liegt sieben Wochen im Koma. Er wird weiterhin dialysiert und überlebt. Doch das Blutwäscheverfahren belastet ihn zunehmend. Auch aus medizinischen Gründen wird eine Nierentransplantation nun dringlicher.
Er lebt schon 24 Jahre mit Spenderniere
Weil es nicht genügend Spenderorgane gibt, steht er auf der Warteliste der Eurotransplant für eine Spenderniere. Die Stiftung Eurotransplant organisiert die Zuteilung von Spenderorganen in den acht europäischen Mitgliedsländern Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien.
Nach sechseinhalb Jahren Dialyse kann Gustav E. hoffen. Es wird ein Spenderorgan gefunden und dem 55-Jährigen transplantiert. Seitdem nimmt derder heute 79-Jährige viele Medikamente, unter anderem um eine Abstoßungsreaktion zu unterbinden. Damit geht es ihm verhältnismäßig gut. Und das bereits seit 24 Jahren.
Reform des Transplantationsgesetzes soll helfen
Sohn Thore erwartet nun das gleiche Schicksal wie seinem Vater. Seit Juni 2018 ist auch er dialysepflichtig. Seit geraumer Zeit ist auch er bei Eurotransplant gemeldet und wartet auf eine Spenderniere. Durchschnittlich wird er etwa sechs bis sieben Jahre auf ein Organ warten müssen. Denn es gibt nicht genügend Spenderorgane.
Ende Oktober standen laut Eurotransplant mit ihm 10 803 Menschen auf der Warteliste für eine Niere, allein 7227 aus Deutschland. Bis Ende Oktober wurden über Eurotransplant 812 Menschen in Deutschland vermittelt, die nach ihrem Hirntod für eine Nierenspende zur Verfügung standen. Von nur 670 Spendern konnten dann tatsächlich 1289 Spendernieren transplantiert werden. Eindeutig zu wenig, um allen schwer nierenkranken Menschen zu helfen.
Warum in Deutschland verhältnismäßig wenige Organe transplantiert werden, dafür gibt es viele Gründe. Eine entscheidende Rolle dabei spielen Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden. Sie konnten mit der Organspende bislang nur Verluste machen, weil die Pauschalen dafür nicht kostendeckend waren. Das soll sich mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetztes (TPG), das seit April 2019 in Kraft getreten ist, ändern. Es sieht beispielsweise vor, dass Transplantationsbeauftragte in den Entnahmekrankenhäusern mehr Zeit und Befugnisse erhalten und die Kliniken dafür besser vergütet werden.
Außerdem gibt es deutschlandweit zu wenig Spenderorgane. Politisch hat diese Situation eine parteiübergreifende Diskussion um den Organspendeausweis entfacht. Bislang gibt es die Einwilligungsregelung. Organe dürfen danach in Deutschland nur entnommen werden, wenn der Verstorbene hirntot ist und sein Einverständnis dazu beispielsweise in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung gegeben hat.
Widerspruchslösung entfacht politische Debatte
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und weitere Abgeordnete schlagen jetzt eine Widerspruchslösung vor, nach der jeder ab 18 Jahren automatisch zum Organspender wird, wenn er nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Der Widerspruch soll in einem bundesweiten Register dokumentiert und jederzeit vom Betroffenen selbst bearbeitet und auch gelöscht werden können. Außerdem sollen auch jene Menschen in diesem Register vermerkt werden, die Organe spenden. Im Zweifel sollen Angehörige über die Organspende entscheiden, wenn sie glaubhaft machen können, dass der Betroffene kein Spender sein wollte.
Kritiker bemängeln unter anderem, dass die Widerspruchslösung ein Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen darstellt. Befürworter hoffen dadurch die Zahl der Menschen zu erhöhen, die sich für eine Organspende entscheiden. So auch die Familie von Gustav und Thore E.
Beschäftigen Sie sich mit dem Thema Organspende
Aus eigener Betroffenheit engagiert sich die Familie seit vielen Jahren in der Gemeinnützigen Interessengemeinschaft Organspende e. V. (GIOS) in Hofgeismar. Sie halten es für zumutbar ist, dass sich jeder Erwachsene über das Thema informiert und eine Entscheidung für sich zu trifft.
"Kommt die Widerspruchslösung, muss man sich mit dem Thema zwangsläufig befassen“, findet Thore E. Und jedem bleibt nach wie vor die Entscheidungsfreiheit keine Organe zu spenden oder auch nur bestimmte Organe oder Gewebe. Diese Entscheidung aber den Angehörigen zu überlassen, ohne sich vorher darüber geäußert zu haben, sei oft dramatisch.
Voraussichtlich Mitte Januar 2020 soll im Bundestag über den Entwurf zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz entschieden werden.
Weitere Infos
Wer sich näher mit dem Thema Organspende befassen möchte, der kann sich beispielsweise informieren unter:
- https://www.organspende-info.de;
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/organspende.html;
- https://www.kirche-und-leben.de/artikel/was-sie-ueber-organspende-wissen-muessen;
- https://www.organspende-aufklaerung.de/
Den ausführlichen Beitrag lesen Sie auf den Gesundheitsseiten im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben in Folge 49 vom 05. Dezemeber 2019.
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