Frau Dr. Philipp-Metzen, Sie sind wissenschaftliche, gerichtliche und außergerichtliche Sachverständige und Fachgutachterin für Gerontologie, Pflege, Demenz und Gewaltprävention. Schließt eine Demenzdiagnose die eigenständige Teilnahme am mobilen Autoverkehr aus?
Nein, generell ist das nicht so. Die Fahreignung ist vielfach abhängig vom Stadium der Erkrankung. Statistisch gesehen sind Menschen mit einer beginnenden Demenz nicht häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt als Vergleichsgruppen ohne demenzielle Erkrankung. Durchschnittlich besteht in den ersten ein bis zwei Jahren einer Alzheimerdemenz noch eine Fahreignung, das heißt ein Kraftfahrzeug kann zu diesem Zeitpunkt meist noch gefahren werden.
Daher wird in den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung auch kein grundsätzliches Fahrverbot bei leichter Demenz gefordert. Im Einzelfall ist dazu jedoch immer bereits zu Beginn eine individuelle ärztliche Abklärung erforderlich. Die Fähigkeit, ein Auto sicher fahren zu können, nimmt im Verlauf einer Demenzerkrankung ab, weshalb die Abklärung regelmäßig zu wiederholen ist. Bei einer mittelschweren und schweren Demenz darf der Mensch nicht mehr ans Steuer.
Gilt diese Regelung für alle Formen einer Demenz?
Nein, eine Ausnahme macht die Frontotemporale Demenz. Menschen mit dieser Diagnose sollten das Autofahren möglichst sofort einstellen. Aufgrund ihrer Erkrankung neigen sie zu einem aggressiven und risikofreudigen Fahrstil. Sie halten sich häufiger nicht an Verkehrsregeln, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder rote Ampeln.
Was deutet auf die nachlassende Leistungsfähigkeit im Verkehr hin?
Häufig lässt das Reaktionsvermögen nach. Typisch ist dann ein auffällig langsamer und unentschlossener Fahrstil, obwohl dies die Verkehrssituation nicht erfordert. Abstraktes Denken fällt oft schon zu Beginn einer Demenz schwer. Lassen sich dann Verkehrsschilder nicht mehr deuten, werden sie auch nicht beachtet. Vor allem im Bereich von Kreuzungen können sich Demenzerkrankte schlecht orientieren. Ebenso lässt der Orientierungssinn nach und Menschen verfahren sich auf bekannten Strecken. Derartige Vorkommnisse werden meist heruntergespielt.
Auch für Demenzerkrankte selbst ist die Situation schwierig. Was können Angehörige tun ?
Angehörige sollten die Problematik möglichst früh ansprechen, ohne die erkrankte Person zu bevormunden. Motivieren Sie ihn dazu, das Auto stehen zu lassen. Vermeiden Sie Streit und Konfrontationen und verlangen Sie Ihrem demenzkranken Angehörigen nicht zu viel logisches Denken ab.
{{::tip::standard::Ist das Auto außer Sichtweite geparkt, animiert das nicht zusätzlich Auto fahren zu wollen. Setzen Sie auf Kooperation und nicht auf Zwang. Zeigen Sie alternative Fortbewegungsmöglichkeiten auf und gewöhnen Sie Ihren Angehörigen daran. So verliert das Selber-Autofahren an Bedeutung.
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Die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder eines Taxis etwa können eine Alternative sein und müssen nicht teurer sein als die Unterhaltung eines Autos. Organisieren Sie Fahrgemeinschaften mit Freunden, Nachbarn und Verwandten. Die Fahrt zum Seniorentreffen, zur Veranstaltung der Landfrauen oder Landwirte übernimmt ein Nachbar, der ja fast den gleichen Weg hat. Zur Behörde, zum Arzt oder Einkauf fährt der Enkel, der unbedingt Fahrpraxis benötigt. Und schließlich kann manche Dienstleistung auch eingekauft werden, wie beispielsweise der Lieferdienst von Getränken und Lebensmitteln ins Haus.
Was aber unternehmen, wenn sich der erkrankte Angehörige uneinsichtig zeigt?
Versuchen Sie innerhalb der Familie Einigkeit darüber zu erzielen, dass ein Fahrverbot sinnvoll ist. Sprechen Sie mit einer Sprache, ohne Ihren demenzkranken Angehörigen zu kränken. Lassen Sie sich dabei von guten Freunden und Bekannten des Angehörigen oder dem Pflegedienst unterstützen.
Der Arzt wird häufig als Autorität und Vertrauensperson anerkannt. Er kann die Fahrtüchtigkeit aus medizinischer Sicht einschätzen und Ihren Angehörigen beraten und Einfluss nehmen. Veranschaulichen Sie Ihrem Angehörigen im Guten, dass er sich selbst und andere im Straßenverkehr gefährdet und verdeutlichen das konkret anhand von Szenarien.
{{::tip::standard::Manchmal müssen, so berichten pflegende Angehörige, auch Fakten geschaffen werden. Diese sollten jedoch nicht zur Eskalation beitragen, sondern vom erkrankten Angehörigen akzeptiert werden können, ohne dass er sein „Gesicht verliert“. ::}}
Hilfreiche Erfahrungen zur Unterbrechung des täglichen Fahrens sind: Dann lässt sich beispielsweise der Autoschlüssel nicht finden. Das Garagentor geht nicht auf. Die Autobatterie wird vorübergehend abgeklemmt, das Auto springt nicht an und ein Termin in der Werkstatt ist nicht so schnell zu bekommen. Die Enkelin benötigt das Auto dringend …
Wie sieht die rechtliche Situation aus?
In jedem Fall sollte der Versicherungsschutz des demenzkranken Angehörigen geklärt werden. Denn verursacht er einen Unfall, wird die Kfz-Haftpflichtversicherung den Schaden nach vertraglichen und gesetzlichen Vorschriften regulieren. Doch Details stehen oft im Kleingedruckten. Manche Versicherung lässt sich einen Teil des Schadens vom Versicherten ersetzen.
Das sollten Sie wissen:
Auch Angehörige können haftbar gemacht werden, wenn sie im Rahmen einer Vorsorgeverfügung oder rechtlichen Betreuung die Aufsichtspflicht verletzt haben. Bei hoher Gefährdung können notfalls Angehörige auch die Überprüfung der Fahreignung ihres demenzkranken Verwandten von Amts wegen bei der Fahrerlaubnisbehörde, also der Führerscheinstelle, anmelden. Die Behörde ist verpflichtet, begründeten Hinweisen nachzugehen und eine verkehrsmedizinische Untersuchung zu fordern.
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