An diesem Mittwochmorgen herrscht reges Treiben im „Bewegungsparadies“ von Andrea Ventker. Zwölf Frauen in Sportmontur haben sich zur wöchentlichen Wirbelsäulengymnastik eingefunden. Krankengymnastin Andrea Ventker startet die Stunde wie immer mit Aufwärmübungen. Dazu braucht es weder Geräte noch Utensilien. Andrea Ventker macht vor, alle anderen machen mit: Zehenspitzengang, Hampelmann und Überkreuzbewegungen gehören diesmal dazu. So kommt der Kreislauf in Gang und „frau“ ganz schön ins Schwitzen.
Stallgebäude umgenutzt
„Wir turnen heute das erste Mal wieder in der Halle“, berichtet Andrea Ventker aus Emsdetten. Wetterbedingt finden die Kurse seit Mitte Oktober wieder im Innenraum statt – selbstverständlich Corona-konform mit ausreichend Abstand zueinander und nur für Geimpfte und Genesene.
Die Örtlichkeit ist dabei etwas ungewöhnlich. Sie befindet sich in der Bauerschaft Hollingen in einem zur Turnhalle umgebauten ehemaligen Stallgebäude. Äußerlich ist dem Gebäude nicht anzusehen, dass sich hinter der Klinkerfassade eine Turnhalle verbirgt.
„Vor 20 Jahren mussten wir überlegen, wie und ob es betrieblich weitergehen soll“, erzählt die Landfrau. Ehemann Martin war bereits außerlandwirtschaftlich beschäftigt. Sie habe zu der Zeit schon Kurse für Eltern-Kind-Turnen und Wirbelsäulengymnastik in einer Familienbildungsstätte angeboten, später auch auf dem Balken des Wohngebäudes. Doch das sei auch aufgrund von baulichen Vorschriften, wie etwa einem Fluchtweg, nicht mehr zulässig gewesen.
Betrieblich hätten sie in die Schweinemast investieren wollen und ließen sich beraten. „800 Mastschweine wären Hobby, sagte man uns damals“, berichtet Andrea Ventker. „Für mich war das kein Hobby“, sagt die Landfrau.
Das Ehepaar verabschiedete sich von der Idee. Stattdessen beantragten sie die Umnutzung des ehemaligen Sauenstalls mit damals zwölf Anbindeplätzen und 24 Sauen im Laufstall.
Die Umnutzung zur Bewegungshalle für das Eltern-Kind-Turnen und die Wirbelsäulengymnastik war an einige Vorgaben gebunden. „Wir durften an dem Gebäude nichts verändern. Die sechs Fenster mussten so bleiben, eines davon wurde zum Fluchtweg ausgebaut. Aber auch im Gebäude durften wir die Deckenhöhe nicht ändern und bestehende Pfeiler nicht entfernen“, berichtet Andrea Ventker.
Im Oktober 2000 begann der Umbau. Es wurde eine Fußbodenheizung eingebaut und in der etwa 90 m2 großen Sporthalle Laminat verlegt. Außerdem mussten zwei Umkleideräume, ein WC und ein kleiner Geräteraum errichtet werden. „Mein Vater war Maurer und konnte uns dabei gut unterstützen. Trotzdem hat uns die Investition rund 120 000 DM gekostet“, berichtet die 55-Jährige.
Sieben Monate später konnte die ausgebildete Krankengymnastin dann mit den ersten acht Mutter-Kind-Turn- und sieben Wirbelsäulengymnastik-Kursen in dem früheren Stall beginnen. Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser ersten Stunden sind noch heute in ihren Kursen. Denn ihre Kurse sind beliebt und ihr Angebot hat sich schnell herumgesprochen.
„Ich glaube, ich hätte Rückenprobleme, wenn ich hier nicht regelmäßig aktiv mitmachen würde“, sagt Krankenschwester Elisabeth Becker aus Emsdetten.
Vor allem die Dehn- und Kräftigungsübungen sind sehr effektiv. Sie dienen der Vorbeugung und Therapie von Rückenbeschwerden, kräftigen die Muskulatur und verbessern die Beweglichkeit und Koordination. Zur Abwechslung beim Training setzt Andrea Ventker stets unterschiedliche Materialien ein wie Thera-Bänder, Schwingstäbe, Trampoline, Pilates-Kissen und Ringe, Turnstäbe, Gewichte, Stühle, Handtücher und vieles mehr. An diesem Mittwoch kommen große bunte Pezzibälle zum Einsatz.
Individuell begleitet
„Die Männer und Frauen, die an den Sportkursen teilnehmen, sind derzeit zwischen 26 und 91 Jahre alt“, berichtet Andrea Ventker. Wer bestimmte Bewegungen nicht ausüben kann, der muss das auch nicht. Josefa Laumann beispielsweise kann aufgrund von Handgelenksarthrose und einer Knieverletzung diese Gelenke nicht so stark belasten. „Ich fühle mich deshalb aber nicht beeinträchtigt. Ich bekomme immer Ausgleichübungen gezeigt und kann dann trotzdem mitmachen“, sagt die 68-Jährige.
Und auch Monika Griese weiß das zu schätzen. Aufgrund einer operativen Versteifung im unteren Lendenwirbelbereich sei sie weniger beweglich, muss aber die Muskulatur oberhalb der Versteifung kräftigen und trainieren. „Für mich ist der Kurs nicht nur präventiv, sondern auch therapeutisch gut“, sagt die 61-Jährige.
Präventionskurse für den Rücken
Neben den fortlaufenden Kursen für Wirbelsäulengymnastik bietet Andrea Ventker seit vielen Jahren auch Präventionskurse für den Rückenbereich an. Gesetzliche Krankenversicherungen sind verpflichtet, die Gesundheit ihrer Versicherten zu fördern. Dieser Verpflichtung kommen sie nach, indem sie ihren Versicherten anerkannte Präventionskurse aus den Bereichen Bewegung, Ernährung, Entspannung und Stressbewältigung anbieten.
Präventionskurse nach § 20 SGB V, die dem Qualitätsanspruch der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP) entsprechen, zertifiziert und von Krankenkassen anerkannt sind, werden von den Versicherungen bezuschusst. „Die meisten Krankenkassen erstatten maximal zweimal pro Jahr 75 bis 100 % der Kursgebühren zurück“, erklärt die Kursleiterin. Sie selbst hat sich zertifizieren lassen, um diese Präventionskurse anbieten zu dürfen. Alle zwei Jahre muss sie diese Qualifikation durch weitere Nachweise und Fortbildungen kostenpflichtig verlängern lassen.
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