Dienstagnachmittag 14.30 Uhr: In der Tagesbetreuung von Christel Winkelhorst herrscht wieder reges Treiben. Sechs Tagesgäste im Alter zwischen 75 und 94 Jahren haben ihre Mittagsruhe beendet. Während Mitarbeiterin Gitta Gausmann-Ruschhaupt mit Gesprächen und Spielen für Unterhaltung und Tagesstruktur sorgt, berichtet Christel Winkelhorst uns über ihr Unternehmenskonzept. Seit 2015 betreibt die 52-Jährige eine ambulante- und Tagesbetreuung für Senioren auf dem Lande in Wadersloh-Liesborn.
Neue berufliche Perspektive
Mit der Betreuung von erkrankten und älteren Menschen kennt sich die gelernte Bäckereifachverkäuferin aus. Seit 21 Jahren hat sie die Betreuung ihrer Schwester übernommen, die infolge eines Schädelhirntraumas nicht mehr für sich sorgen kann. „Zuletzt habe ich 17 Jahre lang meine an Demenz erkrankte Schwiegermutter gepflegt und betreut“, erzählt Christel Winkelhorst. Aus dieser persönlichen Erfahrung habe sie externe Betreuungsangebote schätzen gelernt. Pflegenden die Möglichkeit zu einer ‚Auszeit von der Pflege‘ zu geben, sei so wichtig.
„Nach dem Tode meiner Schwiegermutter habe ich mich entschlossen, diese Aufgabe zu meiner neuen beruflichen Perspektive zu machen“, berichtet die Landfrau. Sie bildet sich zur Betreuungsassistentin weiter und beantragt 2014 die Zulassung für niedrigschwellige Hilfe- und Betreuungsangebote. „Seitdem bin ich in der ambulanten Betreuung in den Gemeinden Wadersloh und Lippetal tätig“, erzählt sie.
Zu Beginn habe sie betreuungsbedürftige ältere Menschen in ihren eigenen Räumlichkeiten aufgesucht und stundenweise betreut. Im Juni 2015 habe sie ihr Angebot erweitert und zusätzlich eine Tagesbetreuung auf dem ehemaligen landwirtschaftlichen Betrieb ihres Mannes eröffnet. Dem Kreis Warendorf musste sie für die Zulassung ihres niederschwelligen Betreuungsangebots ein Konzept vorlegen. Bei der Erstellung hat Ehemann Reinhold Winkelhorst – Landwirt, Altenpfleger und derzeit Heimleiter einer stationären Pflegeeinrichtung – sie tatkräftig unterstützt.
Wohnung umfunktioniert
Die ehemalige 120 m² große rollstuhlgerechte Wohnung der Schwiegereltern mit einem 3000 m² großen Gartenanteil war ideal für ihr Vorhaben. Baulich musste nicht viel geändert werden: „Wir haben zur Terrasse bodentiefe Fenster eingebaut, neue Bodenbeläge verlegt, die Küche etwas geändert und Renovierungsarbeiten vorgenommen“, sagt Christel Winkelhorst. Zur Erdgeschosswohnung gehörten bereits eine Küche, ein Wirtschaftsraum, ein großes Wohn-Esszimmer, zwei Bäder und ein Zimmer, das zu einem separaten Ruheraum mit Pflegebett und Sesseln umfunktioniert wurde.
Ihr Betreuungsangebot richtet sich an ältere Menschen und an Menschen mit demenzieller Erkrankung. Pflegeleistungen übernimmt sie nicht. Somit darf sie etwa kein Insulin spritzen oder Wunden versorgen. Dafür müsste dann der jeweilige Pflegedienst kommen.
Finanzierung
- Alle Gäste in der Begegnungsstätte „Betreuung auf dem Lande“ haben einen Pflegegrad zwischen 1 und 4.
- Für eine ganztägige Betreuung zahlen sie derzeit 55 € zuzüglich 16,50 € Verpflegung und pro Fahrt je nach Entfernung 6 bzw. 7 €.
- Von der Pflegekasse können auf Antrag jeweils 125 € Entlastungsleistung für die Finanzierung des Betreuungsangebots in Anspruch genommen werden.
- Ab Pflegegrad 2 besteht außerdem die Möglichkeit, die Betreuung über die Verhinderungspflege zu finanzieren.
- Wird die Kurzzeitpflege nicht in Anspruch genommen, können bis zu 50 % dieses Betrags – maximal 806 € – für die Verhinderungspflege und somit auch die Betreuungsleistungen in Anspruch genommen werden.
- Darüber hinaus können bis zu 40 % des ambulanten Pflegeleistungsbudgets für das Betreuungsangebot verwendet werden.
„Oberstes Ziel ist es, sowohl den Angehörigen als auch den Senioren eine Möglichkeit zu bieten, soziale Kontakte zu erleben“, erklärt Christel Winkelhorst. Angehörige erhalten dadurch stundenweise Zeit für sich und werden entlastet.
Soziale Kontakte erleben
Mittlerweile kommen an vier Tagen die Woche täglich sechs ältere Menschen mit Betreuungsbedarf zu ihr in die Bauerschaft. Sie wohnen im Einzugsgebiet von etwa 8 km um Liesborn. Meist bleiben die Gäste, wie Christel Winkelhorst die Senioren nennt, ganztägig und kommen nur einmal die Woche.
Inge Heilmann ist eine von ihnen und seit Anfang an dabei. Ihr gefällt vor allem das immer wechselnde Betreuungsprogramm mit Basteln, Spielen, Singen, Kegeln und Gedächtnistraining, wie die 86-Jährige aus Liesborn erzählt. Und Dieter Rump, mit 75 Jahren an diesem Dienstag der Jüngste in der Runde, kann sogar den Vergleich zur Betreuung in einer Einrichtung mit Tagespflege ziehen: „Hier sind wir in einer kleinen Gruppe und es ist viel persönlicher.“
Christel Winkelhorst bietet von montags bis donnerstags eine ganztägige Betreuung bis 17 Uhr mit Verpflegung und Fahrdienst an. Bei der Betreuung der Gäste unterstützt sie ein Team von drei Betreuungskräften, einer Krankenschwester und einer Altenpflegerin, die auf 450-€-Basis angestellt sind.
Tagesablauf gibt Struktur
Die Gäste werden in der Regel ab 8.30 Uhr von zu Hause mit einem rollstuhlgerechten Pkw abgeholt. „Um 9 Uhr starten wir mit einem gemeinsamen Frühstück in den Tag. Um 10 Uhr bieten wir verschiedene Aktionen an“, berichtet die Landfrau. Zu den Betreuungsangeboten zählen beispielsweise Zeitung lesen, Gedächtnistraining, Bewegungsspiele, Singen, Biografiepflege, Haustiere füttern oder auch jahreszeitliche Projekte.
Ziel sei es, den Menschen bei der Strukturierung ihres Tagesablaufs zu helfen und sie dabei zu unterstützen, ihre Selbstständigkeit weitestgehend zu erhalten und zu fördern.
Ab 12.30 Uhr gibt es ein gemeinsames Mittagessen, das sich Christel Winkelhorst liefern lässt. Nach einer Mittagsruhe geht es zwischen 14.30 und 16 Uhr weiter mit verschiedenen Betreuungsangeboten. „Wir machen hier viel Biografiearbeit“, berichtet Betreuerin Gitta Gausmann-Ruschhaupt. Spiele, die aus der Vergangenheit bekannt sind oder an Vergangenes erinnern, regen zu Gesprächen an und stärken die Verbindung innerhalb der Gruppe.
Senioren, die zu Christel Winkelhorst in die Betreuung kommen möchten, sucht sie zunächst in ihrem häuslichen Umfeld auf. „So kann ich mir ein Bild davon machen, ob und wie stark kognitive Einschränkungen vorliegen und in welche Gruppe die Person passen könnte“, erzählt sie. Anschließend kommen die Gäste einmal zur Probe. „Mittlerweile habe ich eine Warteliste. Ich wünschte mir, dass es mehr solcher Angebote gibt. Die Nachfrage ist da“, sagt Christel Winkelhorst.
Es sind einige Auflagen zu erfüllen:
Bevor Christel Winkelhorst ihr Betreuungsangebot in die Tat umsetzen konnte, hat sie folgende Auflagen erfüllt:
- Weiterbildung zur Betreuungsassistentin gemäß § 87 b SGB XI (heute § 53 c),
- Antrag auf Anerkennung nach der „Verordnung über die Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag und Förderung der Weiterentwicklung der Versorgungsstruktur in Nordrhein-Westfalen“ (AnFöVO) über das elektronische Antragsverfahren PfAD.uia.
- Um das Betreuungsangebot mit der Pflegekasse abrechnen zu können, mussten sich auch die Betreuungskräfte von der zuständigen Behörde, also dem Kreis, nach der AnFöVO anerkennen lassen.
- Dem Kreis musste sie für die Zulassung ihres niederschwelligen Betreuungsangebots ein Konzept vorlegen.
- Gewerbe anmelden,
- Tätigkeit der Berufsgenossenschaft melden,
- Erste-Hilfe-Kurs absolvieren,
- Betriebshaftpflicht für Kleingewerbe abschließen,
- Rechtsschutzversicherung anpassen und erweitern,
- Anforderungen an Räumlichkeiten anpassen, wie Brandschutzauflagen erfüllen.
- Da keine pflegerische Ausbildung vorhanden war, wurde ein Kooperationsvertrag mit einer Pflegefachkraft – Reinhold Winkelhorst – abgeschlossen.
- Aus eigener Entscheidung ist sie dem Demenz-Netzwerk des Kreises Warendorf beigetreten.
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