Zu Beginn der Corona-Pandemie sind Pflegekräfte noch beklatscht worden. Geändert hat das an der Arbeitsbelastung der rund 1,2 Mio. Pflegefachkräfte in Deutschland nichts. Es gibt viele Baustellen im Pflegesystem. Kritisiert werden neben dem Fachkräftemangel insbesondere die Rahmenbedingungen in der Pflege. Es fehlt an klaren Personalschlüsseln und einem Mitspracherecht in Entscheidergremien.
Was es dazu braucht, ist eine mitgliederstarke und eigenverantwortliche Interessensvertretung in der Pflege. Zwar gibt es deutschlandweit mehr als 30 Interessensverbände im Bereich der Pflege. Darin sind aber nur rund 10 % der Pflegekräfte organisiert. Die mitgliederstärkste Interessensvertretung hat keine 30 000 Mitglieder. Bedeutenden Einfluss nehmen die meist ehrenamtlich geführten Organisationen damit nicht. Anscheinend fühlen sich viele Pflegefachkräfte durch die bestehenden Verbandsstrukturen auch nicht ausreichend repräsentiert. Das soll sich künftig ändern, wenn Ende Oktober Pflegefachkräfte in NRW eine Pflegekammer wählen.
Mehr Mitspracherecht durch Pflegekammer NRW
„Mit rund 210 000 Pflegefachpersonen werden wir die mitgliederstärkste Heilberufskammer Deutschlands werden“, sagt Ludger Risse vom Errichtungsausschuss Pflegekammer NRW. Seit knapp zwei Monaten sind Vertreter und Vertreterinnen des Ausschusses und er in Einrichtungen der Pflege in ganz NRW unterwegs. Hier informieren sie das Pflegefachpersonal, also examinierte Fachkräfte aus der Kranken- und Altenpflege, über die zukünftigen Aufgaben einer Pflegekammer und bereiten sie auf die Wahl vor.
{{::tip::standard::Möchten Sie sich weiter informieren, finden Sie unter folgenden Internetadressen weitere Fakten:
www.pflegekammer-nrw.de
www.mags.nrw/pflegekammer
www.wochenblatt.com/heilberufsgesetz::}}
Die Pflegekammer NRW ist mit Rechten und Pflichten bestückt. Vorgesehen ist eine umfassende Beteiligung der Pflegekammer in den einschlägigen landesweiten Gremien, wie etwa dem Landesausschuss für Krankenhausplanung oder der Landesgesundheitskonferenz. Letztere gibt Empfehlungen an die Landesregierung.
„Die Pflegekammer wird bei allen die Pflege betreffenden Neuerungen mitarbeiten und auf alle pflegepolitischen Entwicklungen Einfluss nehmen können“, sagt Ludger Risse. Sie kann damit Gesetze und Initiativen unterstützen, die beispielsweise für bessere Rahmenbedingungen und Personalschlüssel sorgen. Die Basis dafür liefert das Heilberufsgesetz, in das die Pflegekammer auf Augenhöhe mit anderen Heilberufen wie der Ärztekammer integriert sein wird. Gleichzeitig sind die öffentlichen Stellen verpflichtet, die Pflegekammer zu hören und mit ihr zusammenzuarbeiten, erklärt der Pflegeexperte.
Pflegekammer NRW wird Bildung selbst regeln
Die zukünftige Pflegekammer NRW wird außerdem Standards für die Berufsausübung festlegen und überwachen sowie Fort- und Weiterbildungsangebote entwickeln. „Es ist wichtig, laufend neue Erkenntnisse aus der Pflegewissenschaft in die Praxis zu bekommen“, sagt Niklas Wiechert, Pflegedirektor am St. Josef-Stift Senden-horst. Es könne nicht sein, dass Pflegefachkräfte über mehrere Jahrzehnte nicht an Fortbildungen teilnehmen.
Ein Blick über die Landesgrenze
Seit 2016 ist die Pflegekammer Rheinland-Pfalz etabliert. Sie vertritt momentan etwa 43 000 Pflegefachpersonen in beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Fragestellungen. Pflegekammern gab es auch schon in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Allerdings haben sich beide wieder aufgelöst. Die Einrichtung der Landespflegekammer in Niedersachsen beispielsweise ist unter anderem gescheitert, weil Pflegekräfte eine Zwangsmitgliedschaft nicht akzeptierten. Zankapfel in Schleswig-Holstein waren ebenfalls die Pflichtmitgliedschaft und damit einhergehende an der Einkommenshöhe gestaffelte Pflichtbeiträge. Gegner der Pflegeberufekammer kritisierten außerdem die geringe Möglichkeit der Einflussnahme auf politische Reformen und dass die Pflegekammer keine Tarifverhandlungen führen könne. Auch fehlte es in beiden Bundesländern an einer entsprechend hohen Anschubfinanzierung durch die Landesregierung.
Alles in allem wird die Errichtung der Pflegekammer NRW das Mitspracherecht von Pflegefachkräften stärken. Langfristig dürfte sich das auch auf eine bessere ambulante sowie stationäre pflegerische Versorgung der Patienten auswirken. Am 31. Oktober wählen die Pflegefachkräfte erst einmal ihre künftigen Vertreter und Vertreterinnen der Kammerversammlung. Bis sich die Kammer konstituiert hat, wird es wohl Anfang nächsten Jahres werden.
Schritte zur Gründung der Pflegekammer NRW
- Die Pflegekammer NRW ist dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (MAGS) zugeordnet. In einer durch die Landesregierung beauftragten repräsentativen Befragung Ende 2018 hatten sich 79 % der Pflegenden für die Errichtung einer Pflegekammer ausgesprochen.
- Seit Juli 2020 ist das Gesetz zur Errichtung der Pflegekammer NRW in Kraft. Grundlage dafür ist das Heilberufsgesetz des Landes.
- Seit September 2020 ist ein Errichtungsausschuss damit beauftragt, die Pflegekammer aufzubauen. Dem ehrenamtlichen Gremium gehören 38 Mitglieder an.
- Eine Kammer ist dem Gemeinwohl und dem öffentlichen Interesse verpflichtet. Kammern mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft müssen legitime Gemeinwohlbelange verfolgen wie etwa die Sicherung der Qualität der Berufsausübung.
- Alle Pflegefachkräfte in einem steuerpflichtigen Arbeitsverhältnis in der Pflege sind zur Mitgliedschaft verpflichtet.
- In NRW ist die Mitgliedschaft für alle Mitglieder bis Mitte 2023 beitragsfrei gestellt. Laut Empfehlung des Errichtungsausschusses soll der maximale Kammerbeitrag 5 € monatlich betragen. Für Teilzeitbeschäftigte, berentete Personen und in Härtefällen soll es Vergünstigungen und Befreiungen geben. Über die Beitragsordnung werden dann die noch zu wählenden Mitglieder der Kammerversammlung beraten und entscheiden.
- Die Landesregierung unterstützt die Pflegekammer mit einer Anschubfinanzierung bis Ende Juli 2027 in Höhe von derzeit 5 Mio. €.
- Am 31. Oktober 2022 findet die Kammerwahl statt.
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