Ob Knochenbrüche, Blinddarmentzündung, Schlaganfall oder Brustkrebs – im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke bekommt jeder Patient eine gute medizinische Versorgung nach den geltenden Standards der Medizin. Was dieses Krankenhaus ausmacht, ist das gewisse Extra. Auf dem Therapieplan stehen unter Umständen auch Wickel, plastisches Gestalten oder Misteltherapie. Als anthroposophisches Krankenhaus steht hier der Mensch im Mittelpunkt, nicht die Krankheit.
Ganzheitlicher Ansatz
„Der Mensch ist mehr als sein physischer Körper und seine Gene“, erklärt Prof. Längler, leitender Arzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Mit diesem „mehr“ beschäftige sich die anthroposophische Medizin. „Sie baut auf dem naturwissenschaftlichen Verständnis von Krankheit auf, erweitert um eine seelische und spirituelle Dimension“, versucht der Mediziner die Grundzüge der anthroposophischen Medizin zu erklären. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur den Körper des Patienten, sondern den Menschen in allen Dimensionen betrachtet.
Was bedeutet das im praktischen Klinikalltag? Die ehrliche Antwort: Manchmal gar nichts. Gerade bei einem kurzen Krankenhausaufenthalt kann es durchaus sein, dass der Patient nichts von der anthroposophischen Ausrichtung des Krankenhauses bemerkt.
Je nach Krankheitsbild und individuellen Umständen erhalten Patienten aber vor allem bei längerem Aufenthalt die Möglichkeit, die besonderen Therapieangebote des Hauses zu nutzen. Dazu gehören zum Beispiel Wickel und Auflagen, rhythmische Massagen, verschiedene Formen der Kunsttherapie oder die Misteltherapie, die häufig bei Krebserkrankungen zum Einsatz kommt.
In welchem Ausmaß solche Therapieformen angewandt werden, hängt auch vom behandelnden Arzt ab. Zwar sind alle Ärzte am Gemeinschaftskrankenhaus der anthroposophischen Medizin zugewandt. „Aber nicht alle Mediziner hier sind Hardcore-Anthroposophen“, sagt Prof. Längler. Und selbstverständlich wird keinem Patienten etwas aufgezwungen. „Niemand muss hier Globuli nehmen“, betont er.
Der Patient entscheidet
Dennoch ist das anthroposophische Menschenbild das, was dieses Haus zu etwas Besonderem macht. „Wir fragen den Patienten ,Wer bist du‘“, erklärt Prof. Längler. Es gehe nicht nur darum, welche Krankheit er hat. Um ihm helfen zu können, müsse der Arzt wissen, wer der Mensch ist, der diese Krankheit hat.
Das erfordert mehr Zeit für ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch. Die Zeit würde aber später eingespart, weil zum Beispiel schneller eine passende Therapie für den Patienten gefunden werde, erklärt der Arzt. Der Patient solle selbst über die Optionen seiner Therapie entscheiden und werde in diesen Entscheidungen unterstützt. Das führe zu einer guten Therapietreue und verbessere die Chancen auf einen Therapieerfolg. Wissenschaftlich belegen kann Prof. Längler das jedoch nicht.
Keine zusätzlichen Kosten für die Patienten
Mehr Zeit für Gespräche, erweiterte Angebote – stellt sich die Frage, wie das finanziert wird. Das Gemeinschaftskrankenhaus ist eine gemeinnützige GmbH, Mehrheitsgesellschafter ist eine Stiftung. Obwohl die Krankenkassen für das zusätzliche Angebot kein Extrageld zahlen, werden den Patienten die Kosten dafür nicht in Rechnung gestellt. „Wir müssen mit den gleichen Mitteln auskommen wie andere Häuser“, sagt Prof. Längler. Wie das geht? „Wir investieren in Sinnvolles“, so seine Begrün-dung. Soll heißen: Das Haus legt keinen Wert auf unnötigen Luxus, sondern konzentriert sich auf das Kerngeschäft, die Patientenversorgung.
Anthroposophische Medizin ist umstritten
Die anthroposophische Medizin ist eine integrative Medizin. Sie fußt auf drei Säulen:
- die naturwissenschaftliche, konventionelle Medizin,
- ein ganzheitliches Natur- und Menschenverständnis,
- geisteswissenschaftliche Erkenntnisse über Seele und Sein des Menschen.
Anthroposophische Medizin ist keine Alternativmedizin, sondern sie ergänzt die herkömmliche Medizin. Sie erfasst den Menschen in seiner Gesamtpersönlichkeit. Dazu gehören Körperbau und Körpersprache, Bewegungsfluss, Art des Händedrucks, Schlafverhalten, Wärme- und Kälteempfinden, Atmung oder körperliche Rhythmen. Solche charakteristischen Besonderheiten eines Menschen werden in die Therapie einbezogen.
Die anthroposophische Medizin ist umstritten. Sie hat in Deutschland den Status einer „besonderen Therapieausrichtung“. Für die Zulassung anthroposophischer Arzneimittel ist deshalb ein Wirksamkeitsnachweis nicht zwingend erforderlich.
Ausgangsstoffe für anthroposophischen Arzneimittel sind Mineralien, wie Quarz, Schwefel oder Kalk, Pflanzen, wie Arnika oder Kamille, sowie Metalle, zum Beispiel Gold, Silber, Eisen oder Zinn. Auch tierische Ausgangsstoffe kommen zum Einsatz, beispielsweise Insektengifte oder gereinigte Organextrakte von Säugetieren. Die meisten Ausgangsstoffe werden homöopathisch potenziert eingesetzt.
Weitere Besonderheiten der anthroposophischen Medizin sind eine besonders zugewandte Pflege sowie verschiedene Formen der Kunsttherapie, physikalische Therapie und Heileurythmie. Die Heileurythmie ist eine Form der Bewegungstherapie. Dabei geht es darum, innere Vorgänge in äußerer Bewegung darzustellen. Sprache, Gebärden und Musik werden in speziell gestaltete Bewegung umgesetzt.
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