Nutzpflanzenvielfalt
Grünkohl: Vom Wert der alten Sorten
Mit hohen Strünken und spärlichen Blattschöpfen sehen traditionelle Landsorten des Grünkohls eigentümlich aus. Gärtner und Biologen schätzen sie, um die Pflanzen von morgen zu züchten.
Haben Sie schon mal blühenden Grünkohl gesehen? Auf den ersten Blick erinnert er an Senf oder Raps, mit denen er verwandt ist. In den bäuerlichen Nutzgärten blieben früher in jedem Winter ein paar Grünkohlpflanzen unversehrt stehen. Sie waren die Reserve. Im nächsten Frühling kamen die Pflanzen zur Blüte und bildeten anschließend längliche, schmale Schoten. Daraus gewann man die Samen – Saatgut für den Grünkohl im nächsten Jahr. Ohne es zu merken, waren die Bauern auch Züchter. Denn sie wählten die Pflanzen aus, die blühen sollten. Das waren meist besonders große Exemplare. Sie gaben ihre Wüchsigkeit von Generation zu Generation weiter. So entstand in jedem Garten eine eigene Grünkohlsorte. Seit es kaum noch bäuerliche Nutzgärten gibt, ist dieser Kreislauf unterbrochen.
Auf der Roten Liste
Hier und da sieht man noch Grünkohl in den Gärten. Das Saatgut für die Pflanzen kommt fast immer aus gekauften Tütchen. Die Sorten sind moderne Züchtungen, die heutigen Ansprüchen genügen: kompakter, gleichmäßiger Wuchs, mildaromatische Blätter, zuweilen sogar in dekorativem Dunkelrot. Gartenliebhaber setzen sie gern zwischen die Dahlien. Dagegen krähte nach den alten Landsorten lange Zeit kein Hahn. Einige landeten sogar auf der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen.
Paten für die Palme
Doch das hat sich geändert. Heute gilt die genetische Vielfalt der traditionellen Grünkohlsorten als Schatz. Eine Art stille Reserve. Aus ihren Samen kann man jederzeit den Grünkohl anbauen, den schon Generationen zuvor gegessen haben. Und: Mit dem Saatgut lässt sich weiterzüchten. Die genetische Vielfalt der alten Sorten ist für Biologen wie ein Baukasten, in dem sie sich je nach gewünschten Eigenschaften bedienen können: Krause oder glatte Blätter, hohe oder niedrige Stängel, kräftiger oder milder Geschmack, viel Vitamin C, Widerstandskraft gegenüber Schädlingen. In Westfalen hat sich das Freilichtmuseum Detmold die Sicherung traditioneller Kulturpflanzen zur Aufgabe gemacht. Vor zehn Jahren schwärmten Forscher in die Gärten aus und brachten mehr als 200 alte Sorten nach Detmold. Darunter waren auch 14 Varianten der Lippischen Palme, einer hochwachsenden, traditionellen Grünkohlsorte. Wohin mit diesen Schätzen? Natürlich gehören sie in die Museumsgärten, um das Traditionsgemüse dort sichtbar zu machen. Noch besser aber ist es, die Pflanzen zurück in die Gärten zu bringen, entschied Landschaftsökologin Agnes Sternschulte, die das Projekt in Detmold leitet. Über Aufrufe wurden Pflanzenliebhaber und Gartenbesitzer gesucht, die bereit waren, eine Patenschaft für alte Sorten zu übernehmen, indem sie diese anbauen, jährlich Samen nehmen und das Saatgut für andere zur Verfügung stellen. So gelangten die Traditionssorten wieder neu in die Gärten.
Lippische Palme geschützt
Für eine der Grünkohlsorten erwirkte das Freilichtmuseum Detmold eine Zulassung beim Bundessortenamt als Lippische Palme. Das aufwendige und teure Zulassungsverfahren wurde vor ein paar Jahren für Zuchtprojekte vereinfacht, die von Interesse für die Erhaltung genetischer Ressourcen sind. Mit so einer Zulassung kann das Saatgut der Lippischen Palme verkauft werden. Zu erhalten ist es im Freilichtmuseum.
Die zugelassene Amateursorte stammt übrigens aus der Familie von Jan Fleischfresser. Der Landwirt baut den speziellen Grünkohl auf seinem Biobetrieb in Kalletal an und vermarktet die Lippische Palme als Konserve in Gläsern. Was einfach klingt, erfordert Handarbeit und Leidenschaft. Die hochstämmigen, unterschiedlich großen Grünkohlpflanzen lassen sich nicht maschinell ernten, sondern werden von Hand gerupft und in einer Konservenfabrik als separate Linie verarbeitet. Mehr als 40 Verkaufsstellen in Ostwestfalen bieten das eingemachte Grünkohlgemüse zum Verkauf an. Es ist bei traditionsbewussten Kunden ebenso gefragt wie bei geschmacksbewussten Käufern. Denn die Blätter der Lippischen Palme sollen besonders mild schmecken.
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