Ohne Laub ist es besonders gut zu erkennen: Die Krone des alten Apfelbaums ist stark verzweigt, die Äste streben nach oben. Zugleich treibt der Baum nur schwach neu aus. Zweige hängen nach unten durch die jährliche Last der Früchte, die allerdings eher klein ausfallen und oft von Pilzkrankheiten befallen sind. Ganz klar: Der Baum hat einen Schnitt nötig.
Keine leichte Aufgabe
Zunächst sollte das Ziel klar sein: Ein stabiler, gesunder Baum, der Licht in alle Astpartien bekommt. Denn so sterben die unteren Äste nicht ab und die Früchte reifen dort voll aus, wo sie sich leicht abernten lassen. Die gute Belüftung sorgt zudem für weniger Pilzbefall. Der Baum sollte sich durch Neuaustrieb verjüngen und Platz bieten, um eine Leiter anzustellen. Gleichzeitig darf er nicht zu kahl geschnitten sein, damit er genug Blattmasse hat, um seine Wurzeln zu versorgen. Keine leichte Aufgabe für einen Laien. Andreas Beesten ist Experte. Der selbstständige Obstgehölzpfleger aus Münster ist aufgewachsen auf einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb in Ostenwalde, Kreis Steinfurt. Er erklärt: Die ideale Krone hochstämmiger Obstbäume sollte sich wie ein Trichter zum Licht hin öffnen. Dafür braucht es eine schlanke Stammverlängerung sowie drei bis vier steil stehende, gleich lange Leitäste. Kräftige Seitenäste und Fruchtäste stehen flach und untergeordnet an der Stammverlängerung und den Leitästen. Nach dieser Vorgabe gilt es, denn Baum auszulichten.
Zum Weiterlesen sei die Broschüre vom Landschaftspflegeverband Aschaffenburg e.V. empfohlen: Pflanzung und Pflege von Streuobstbäumen – Naturgemäßer Obstbaumschnitt für die Praxis. Zu beziehen ist sie für 10 € unter anderem unter shop.pomologen-verein.de.
Immer von oben beginnen
Bevor es ab in die Krone geht, empfiehlt Andreas Beesten, den Baum genau zu betrachten. Wie stabil ist er? Drohen Äste abzureißen oder ganze Kronenbereiche auszubrechen? Wenn ja, sind diese zuerst einzukürzen oder abzuschneiden! Wie steht es um die Vitalität des Baumes? „Ein vitaler Altbaum sollte noch rund 20 cm neu austreiben“, erklärt Andreas Beesten. Sind die Neutriebe deutlich kürzer, sollte mehr geschnitten werden. Denn ein Naturgesetz des Baumes besagt: Je stärker der Rückschnitt, desto stärker der Austrieb. „Ich beginne mit dem Schnitt immer oben. Da muss am meisten weg und ich habe von dort einen guten Überblick. Fange ich aus Bequemlichkeit unten an, kann es passieren, dass ich dort zukünftige Seitenäste wegschneide, die sich für den Aufbau einer optimalen Krone eignen.“ Um den Baum nicht zu schwächen, sollten sehr dichte Kronen nicht auf einmal ausgelichtet werden. „Den Schnitt besser auf zwei bis drei Jahre verteilen“, rät der Experte. Generell sollte man einem alten Baum nicht zu große Wunden zufügen.
Beherzt zur Säge greifen
„Entscheiden Sie sich jeweils für einen hohen Leitast, beziehungsweise die Stammverlängerung, und schneiden Sie ihn dann frei.“ Das bedeutet, Konkurrenztriebe müssen weggeschnitten werden, die anderen Äste sind waagerecht einzukürzen. Den auserwählten Ast sollte man anschneiden, damit er kräftig austreibt. „Seien Sie entscheidungsfreudig!“, rät Andreas Beesten. „Greifen Sie lieber zur Säge und nehmen einen ganzen Ast weg als viele kleine Triebe wegzuschnibbeln.“
Generell sollten Äste dann geschnitten werden, wenn
- sie sich kreuzen; dann beide einkürzen oder ganz entfernen.
- sie sich mit mehr als zwei Trieben verzweigen.
- sie ihre Stellung in der Baumordnung verlassen, die Höhe ihres Ansatzes verlassen oder nach oben oder unten in die nächste „Etage“ eindringen.
- sie rückwärts ins Kroneninnere eindringen.
- sie seitwärts in andere Leitastbereiche eindringe.
Der Obstgehölzpfleger empfiehlt außerdem, alle Knospen, die nach innen zeigen, auszubrechen. So müssen im darauf folgenden Jahr keine Konkurrenztriebe weggeschnitten werden und die Kraft kann in die gewünschte Stammverlängerung fließen. Andreas Beesten hat zudem eine eigene Regel: „Nach spätestens zwei Stunden heißt es: Raus aus dem Baum!“ Denn erfahrungsgemäß wird es dann nicht mehr besser. „Gehen Sie lieber im nächsten Jahr noch mal ran.“