Barfuß und mit oberhalb der Knie abgeschnittener Jeans wartet Knud Knudsen am Fährhafen auf uns. Der Wind pfeift novemberlich. Knud begrüßt uns mit wehendem grauen Haar und einem Lächeln: „Willkommen auf Pellworm!“
Um die halbe Erde gelaufen
Die kleine Insel mit etwa 1200 Einwohnern an der Nordseeküste ist der Geburtsort und das Zuhause des 68-Jährigen. Hier hat er die meiste Zeit seines Lebens verbracht – mit Ausnahme natürlich des Wattwegs zwischen Pellworm und der Hallig Süderoog: seinem Arbeitsweg. Knud Knudsen ist nämlich der einzige Wattpostbote Deutschlands. Seit nunmehr 21 Jahren läuft der Insulaner mindestens zweimal in der Woche zur Hallig und bringt Familie Spreer-Wree ihre Post. Jeder Botengang bedeutet etwa 13 km durch Priele, Schlick und Schlamm. „Wenn ich die Kilometer zusammenzähle, bin ich schon einmal halb um die Erde gelaufen“, erzählt Knud.
Eigentlich ist er gelernter Wasserbau-Meister und hat diesen Beruf auch viele Jahre lang ausgeübt. Als er jedoch vor über 20 Jahren die Stellenanzeige für den Nebenjob als Wattpostboten entdeckte, wusste er: Das will ich auch machen. „Es gab neben mir auch einige andere Bewerber für den Posten“, erinnert sich Knud, „wichtig war es vor allem, körperlich fit genug zu sein, um auch bei Wind und Wetter laufen zu können.“ Fit genug war Knud – und so schloss er vor mehr als zwei Jahrzehnten einen Transportvertrag mit der Post ab. Als Subunternehmer erhält er seitdem für jeden Botengang eine Pauschale.
Barfuß durchs Watt
„Als normaler Postbote würde ich niemals arbeiten wollen“, überlegt Knud, „aber das hier ist einfach etwas Besonderes.“ Deshalb läuft er die Wege nach all der Zeit immer noch gern, egal bei welchem Wetter. „Bis in den November rein bringe ich die Post barfuß und in kurzer Hose“, sagt Knud, „momentan hat das Wasser noch acht Grad, das macht mir nichts.“ Wenn es noch kälter wird, greift er aber auch zu Wattstiefeln und -hose.
Ansonsten hat der Postbote wenig dabei: einen beleuchteten Kompass für die Übersicht, sein Handy für Notfälle und natürlich einen wasserfesten Rucksack mit den Briefen. Ab und an bringt Knud auch mal ein Paket von Pellworm zur Hallig. „Ich nehme alles mit was in meinen Rucksack passt“, erklärt der Wattpostbote, „und natürlich nehme ich auch Briefe mit zurück.“
Für einen einzigen Brief
Dabei ist Knud völlig egal, ob er für einen oder zehn Briefe läuft. „Ich mache meine Arbeit gern und Bewegung ist schließlich gesund“, sagt er schmunzelnd.
Für eine Strecke braucht Knud etwa anderthalb Stunden. Meist bleibt er dann noch eine Weile bei den Spreer-Wrees. Die beiden fünf- und zweijährigen Töchter der Familie freuen sich immer schon auf ihn. Vor allem im Winter kommen nur wenige Menschen zur Hallig. „Im Sommer nehme ich häufiger Besucher und Besucherinnen mit rüber nach Süderoog“, erzählt Knud. „Außerdem nehme ich Touristen mit, die mit mir eine Wattwanderung machen.“ Dann läuft er seine Route auch drei- oder viermal in der Woche. „Es macht mir großen Spaß, immer neue Menschen zu treffen und ihnen die Nordsee ein Stück näherzubringen“, sagt Knud lächelnd, „genauso gerne wandere ich aber auch allein.“
Egal ob mit oder ohne Begleitung – nach spätestens anderthalb Stunden Aufenthalt muss Knud von der Hallig zurück: Das Wasser kommt.
Den Sturm vor Augen
„Meine Arbeitszeit macht die Natur“, sagt er. „Vor allem im Winter bin ich deshalb natürlich auch oft im Dunkeln unterwegs.“ Angst habe der Pellwormer nicht. „Respekt ja, aber ich passe ja auf“, ist er überzeugt.
In all den Jahren sei Knud nicht ein einziges Mal in einen Sturm geraten. Wenn es richtig ungemütlich aussieht, geht er gar nicht erst los. Dafür hat Knud, der in seinem Leben nur wenige Jahre auf dem Festland verbracht hat, ein feines Gespür. Lediglich einmal sei er zu spät von der Hallig zurückgelaufen und hatte wieder umdrehen müssen, weil das Wasser kam, erzählt er. „Das war ein Sonderfall, weil ich noch schnell jemanden zurück nach Pellworm bringen wollte. Normal weiß ich ja, wann das Wasser kommt“, sagt er lächelnd.
Bis es nicht mehr geht
Dass Knud so viele Kilometer läuft, sieht man vor allem an seinen schlanken, durchtrainierten Beinen. „Ich bin sehr selten krank“, sagt er. „Wenn das so bleibt, würde ich die 30 Dienstjahre gerne noch vollmachen.“ Für Familie Spreer-Wree würde das bedeuten, weiterhin bei jedem Wetter Post und Besuch zu bekommen. Für Knud hießen das noch mindestens 12 .168 Dienstkilometer durchs Watt – ganz nah seiner Heimat: dem Meer.
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