Ein Kalb schleckt an Leonie Wiewers Fingern, ein anderes schnuppert an ihrer Hose – von Angst keine Spur. „Für mich ist der Hof einfach Heimat“, schwärmt die 25-Jährige. Die gelernte Landwirtin ist mit den Tieren aufgewachsen, kennt jede der 130 Kühe beim Namen. Auch für Leonies Clique, die sie schon seit der Grundschule kennt, ist völlig klar: Bei Leonie geht’s nicht ohne Landwirtschaft. Als die Freunde nach der Schulzeit in verschiedene Städte zogen und beruflich unterschiedliche Richtungen einschlugen, änderten sich auch die Einstellungen einiger Cliquen-Mitglieder zum Thema Ernährung.
Unausgesprochene Fragen
Manche von Leonies Freunden verkündeten, dass sie kein Fleisch oder gar überhaupt keine tierischen Produkte mehr verzehren wollen. Bislang hatte sie immer Unterstützung für ihr Tun erhalten, nun kamen ihr Zweifel. „Ich habe mich gefragt, ob sich zwischen uns etwas ändern würde“, erinnert sich die Landwirtin, „und ob meine Freunde jetzt noch gut finden, was ich mache.“ Außerdem geisterte die Frage in Leonies Kopf, ob ihre Arbeit nun der Elefant im Raum ist, über den keiner in der Clique mehr sprechen möchte.
Doch die Sorgen waren unberechtigt. Keiner der Freunde wollte nun mit ihr über die Richtigkeit von Tierhaltung diskutieren. Mehr noch: Das Vertrauen in Leonie war nach wie vor so groß, dass einige von ihnen beim Verzehr ihrer Produkte eine Ausnahme machen. Wenn ein Cliquen-Mitglied Geburtstag hat, kommen ihre Freunde zu ihr, um Eier zu kaufen: Dann ist sicher, dass alle den Kuchen bedenkenlos essen. „Das Vertrauen meiner Freunde ehrt mich“, sagt Leonie. „Es macht mir aber große Sorgen, dass der Landwirtschaft im Allgemeinen so viel Misstrauen entgegengebracht wird.“
Erklären und Zuhören
Um dem entgegenzuwirken, betreibt Leonie auf ihrem Instagram-Kanal Öffentlichkeitsarbeit. Sie berichtet strahlend von den Kälbergeburten, erklärt aber auch, warum das Enthornen von Jungrindern wichtig ist. Für sie muss der Dialog hauptsächlich eins sein: Ehrlich.
Auch Leonies Freunde schauen sich Fotos und Videos an und stellen Rückfragen. Dann erklärt die Landwirtin gern alles im Detail – egal wie banal die Fragen zu sein scheinen. Obwohl viel Aufklärungsbedarf besteht, will sie ihr Wissen keiner Person aufzwingen und niemanden bekehren. „Für mich ist am wichtigsten, dass sich die Menschen mit Ernährung beschäftigen“, sagt sie, „dass dabei nicht alle zur gleichen Schlussfolgerung kommen, ist völlig klar.“
Die unterschiedlichen Einstellungen empfindet Leonie sogar als Vorteil: Sie ist nah an den Ernährungstrends der Gesellschaft und lernt Beweggründe kennen. „Anders als manch anderer Landwirt tue ich diese nicht als kurzweilige Trends und Spinnerein ab“, sagt sie. Die Sorge um Tierwohl und das Klima hätten ihre Berechtigung, daher müsse man sich damit konfrontieren, auch wenn es nicht immer angenehm ist, findet sie. Daraus könne die Landwirtschaft auch einige Ideen mitnehmen. „Außerdem ist das Schwarz-Weiß-Denken nicht fair. Nicht alle vegan und vegetarisch lebenden Menschen sind Extremisten. Viele sind offen für Gespräche“, ist Leonie überzeugt.
Ihre Freunde sind dafür das beste Beispiel. In der Clique zählt die Freundschaft mehr als alle Unterschiede. „Ich bin stolz, Landwirtin zu sein. Für mich gibt es kein anderes Leben“, sagt Leonie Wiewer. Bei ihrer Kräfte zehrenden Siebentagewoche im Kuhstall kann der Rückhalt von guten Freunden nicht schaden – egal was sie essen.
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