Aus einem ehemaligen Landsitz für Jäger wird ein Zuhause für sieben junge Stadt-Menschen. Aus ihnen werden Landkinder – und aus Dreien sogar Gärtnerinnen und Gärtner. Begonnen hat alles mit dem Kulturgut Wintrup. Das sandsteinfarbene Landhaus steht mitten im hügeligen Grün der Steinheimer Boerde im Kreis Höxter. „Wir hatten schon länger Lust auf dem Land zu leben“, sagt Lea Eisele, die nun seit vier Jahren mit ihrem Freund Max Dettling und fünf weiteren Mitbewohnern im Kulturgut wohnt.
„Unseren Umzug ins Grün verdanken wir trotzdem eher einem Zufall“, schmunzelt die 32-Jährige. Im Internet stolperte Max über eine Immobilienanzeige des Grafen Metternich, dem das Haus gehört. Bei der Besichtigung verliebten sich Lea und Max in die alten Gemäuer, den vielen Platz und die Ruhe. Sie waren sich einig: Wir ziehen auf´s Land! „Den Grafen zu überzeugen, dass wir es ernst meinen und nicht im nächsten Jahr wieder ausziehen, war nicht einfach“, erzählt Lea. Entgegen der Erwartungen des Grafen schreckte die Abgeschiedenheit die jungen Menschen nicht ab. Die WG blieb, wenn auch mit wechselnder Belegschaft. Mehr noch – die „Mitbewohnies“, wie sie sich nennen, renovierten das Landhaus, schliffen die Dielen ab, bauten eine neue Küche und legten dort, wo früher Unkraut wucherte, einen Garten an: Der Startschuss für Selbstversorgung und Gemüse-Abo-Kisten.
Marsstation im Garten
Im frisch vom Unkraut befreiten Garten des 4000 m2-großen Grundstücks errichtete die WG zunächst ein Gewächshaus: Den Geodom. „Durch die transparente Kuppel wirkt der Dom ein wenig wie eine Marsstation“, lacht Lea „Unsere ländlichen Nachbarn haben am Anfang skeptisch auf uns geschaut.“ Im Dom wagten sich die ehemaligen Stadtkinder erstmals an den Anbau von Obst und Gemüse – und waren begeistert. Das Gärtnern machte Lea, Max und ihrer Mitbewohnerin Antonella so viel Spaß, dass sie gemeinsam nach einer Möglichkeit suchten, wie diese Arbeit zum Beruf werden könnten.
Bei ihren Recherchen stießen sie auf das Konzept des Market Gardenings. Hierbei wird auf wenig Platz möglichst viel verschiedenes Gemüse angebaut. Das passte gut zur Idee des Trios. Und so pachteten sie ein Stück Ackerland am anderen Ende des Dorfes, vergruben sich in Literatur und schauten Videos zum Gemüseanbau. Außerdem besuchten sie andere Betreiber von Market Garden. „Wir haben gute Tipps erhalten und gesehen, dass das Konzept funktionieren kann“, erzählt Max.
Wenig Platz, viel Gemüse – Market Gardening
Das Konzept des Market Gardenings (zu dt. Marktgarten) ist Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich entstanden. Die Idee: Möglichst viel unterschiedliches Gemüse auf möglichst wenig Platz anbauen. Konkret heißt das auf 0,5 bis maximal 1 ha Acker. Das Gemüse vermarkten die Gärtner direkt im Umkreis von wenigen Kilometern. Im Idealfall hat jedes Dorf einen Market Gardener.
Die Beete sind mit 75 bis 80 cm Breite vergleichsweise schmal. So können die Pflanzen mit kleinen Handmaschinen versorgt werden. Auf großes Gerät und pflügen wird verzichtet. Die Erde wird lediglich minimal belüftet. So soll mehr Humus erhalten werden.
Selbst gebaut
Seit 2021 vermarkten Lea, Max und Antonella ihr Gemüse über Abo-Kisten und einen kleinen Hofladen. Dazu zimmerten sie in der eigens errichteten Holzwerkstatt 100 Holzkisten, eine Theke und einen Stand für die Ware. Dann begannen sie, Abo-Kisten auszuliefern. Zunächst beschränkten sie sich auf 50 Stück in einem Umkreis von 15 km. Ihren Hofladen öffnen sie lediglich samstags vormittags. Dabei steht vor allem Antonella hinter der Theke. Außerdem übernimmt sie die Finanzen. Max kümmert sich um die Logistik und gemeinsam mit Lea ums Gärtnern, die zusätzlich die Pflanzen heranzieht.
So schafft es das Dreiergespann auf einem halben Hektar über zehn Tonnen Gemüse pro Jahr anzubauen. Von Salat und Rucola über Radieschen bis hin zu Zucchinis ist in den Abo-Kisten alles vertreten. Das Motto: Saisonal und Bio. Eine Wochen-Kiste für zwei Personen kostet derzeit 15 €, für vier Personen 25 €.
Teurer als gedacht
„Teilweise waren wir etwas blauäugig“, sagt Max „Die Erzählungen anderer Market Gardening-Betriebe haben uns geblendet.“ So kostete die Anschaffung von Sähmaschine, Anzuchtboxen und Co mehr als gedacht und auch die Vermarktung erwies sich als zäh.
Bislang ist es bei den 50 Abo-Kisten aus dem ersten Jahr geblieben, geplant waren 100 ab Jahr zwei. „Deshalb werden wir in diesem Jahr mehr Werbung machen“, sagt Lea. Am Gemüse selbst liegt es nicht, ist das Trio sicher. „Wir bekommen Rückmeldung, dass unser Gemüse das beste ist, was die Kunden und Kundinnen je gegessen haben. Die Herausforderung besteht darin, die Kisten möglichst kochbar zu machen und so an die Lebensgewohnheiten der Verbraucher anzupassen“, erklärt die Gärtnerin.
Im alten Proberaum
Solange der Gemüseverkauf nicht genug Geld abwirft, bleiben Max, Lea und Antonella zu 50 bis 75 % in ihren alten Jobs. Lea und Max brennen neben dem Gärtnern für Kultur und arbeiten gemeinsam in diesem Bereich in Paderborn. Ihre Leidenschaft zeigt sich auch im Privaten: Jedes Jahr organisieren sie auf dem Kulturgut Wintrup diverse Veranstaltungen: Konzerte, Film-Abende und Scheunen-Quiz. „Hier auf dem Land gibt es wenig Kulturangebote“, sagt Max „Wir freuen uns, dass die Dorfbewohner unsere Veranstaltungen besuchen und sich für unser Tun interessieren.“
Doch die WG-Bewohner sind damit nicht die Ersten: Laute Musik dröhnte auch schon vor 50 Jahren über die Flächen des Kulturguts. Wo heute die Küche steht, probte damals die Jazz-Rock-Band „Kraan“. „Immer noch spazieren fast jede Woche Menschen an unserm Haus vorbei und unterhalten sich über die Zeit von Kraan“, erzählt Lea. In Erinnerung an alte Zeiten gab die Band im Sommer 2021 ein Konzert auf dem Kulturgut. „Es war für sowohl für die Band als auch für uns spannend sich kennen zu lernen“, sagt Max. Nun hoffen die Neu-Wintruper, dass auch über ihr Tun und ihre Pläne geredet wird. Bald wird das Hofgemüse auf dem Nieheimer Wochenmarkt vertreten sein, neue Gemüsesorten sollen angebaut und der Hofladen um verarbeitete Produkte ergänzt werden. Das Bedarf noch einiger Arbeit.
„Generell ist das Leben auf dem Land nicht immer einfach“, sagt Max „Im Sommer nach getaner Arbeit ein Bier im Grünen zu trinken, gleicht das aber doppelt aus.“ Und Max hat Glück: Bald ist wieder Sommer.
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