Landwirte und Branchenvertreter hatten etliche Sorgen: Milcherzeuger könnten die Kapazitäten auf den Betrieben für die Bullenkälber nicht schaffen – weder die Stallplätze noch den Arbeitsaufwand. Denn seit Jahresbeginn bleiben Bullenkälber 28 statt wie bisher 14 Tage auf den Betrieben. Das schreibt die Änderung der Tierschutztransportverordnung vor.
Kälbermäster befürchteten, dass der Gesundheitszustand der Tiere bei späterer Ankunft und mit höherem Alter schlechter sei. Außerdem nahmen sie an, dass aufgrund der verschiedenen Fütterungsweisen der Kälber die Eingewöhnung in die Kälbermast schwerfallen würde. Händler sahen steigende Transportkosten und noch größere Varianz in den Tierqualitäten voraus.
Doch was sind nun die ersten Erfahrungen mit den älteren Bullenkälbern in der Praxis? Haben sich die Befürchtungen bewahrheitet? Wir haben uns umgehört.
Milchviehhalter: Gruppeniglus und Einsatz von gesextem Sperma
Gerold Böggering hält gemeinsam mit seiner Familie 220 Milchkühe plus Nachzucht in Bocholt im Kreis Borken. Auch er muss die Bullenkälber seit Januar 28 Tage behalten. Seine Lösung: zwei weitere neue Gruppeniglus. In diesen stehen die Kälber ab einem Alter von zwei Wochen zu siebt in Gruppen. „Dafür haben wir pro Stück rund 6000 € gezahlt“, erklärt der Milchviehhalter.
Wichtig ist ihm: „Wir versorgen alle Kälber gleich, egal ob männlich oder weiblich.“ Das bedeutet, Böggering tränkt alle Kälber mit Vollmilch ad libitum. „Die Kälber trinken in der Spitze 9 l angesäuerte Vollmilch. Außerdem bekommen sie eine Kraftfutter-Stroh-Mischung und Heu zur freien Aufnahme.“ Trinkwasser ist selbstverständlich.
„Die Kosten sind enorm. Finanziell ist das Ganze reiner Irrsinn“, sagt der Landwirt. „Wir bekommen in der Vermarktung momentan 120 bis 130 € für die Bullenkälber.“ Vom Gesundheitszustand kann er keinen Unterschied bei den Tieren erkennen. „Auch die 14 Tage alten Kälber waren gesund.“
Seit Jahresbeginn setzt Böggering außerdem mehr männlich gesextes Sperma von Weiß-Blauen Belgier-Bullen ein. „Das ist zwar teurer, aber für Kreuzungskälber gibt es im Gegensatz zu den Schwarzbunten einen fairen Preis“, so seine Erfahrung. Bei den Färsen arbeitet der Milchviehhalter seit Jahren mit gesext weiblichem Sperma.
Auch WLV-Milchreferentin Anna Althoff weiß, dass Milchviehbetriebe zwar Praxislösungen gefunden haben, die Mehrkosten für die längere Aufzucht aber nicht entlohnt werden. Für Althoff stellen längere Zwischenkalbezeiten sowie vermehrter Einsatz von gesextem Sperma Möglichkeiten dar, um mit der Problematik umzugehen.
Kälbermäster zufrieden: Kälber sind schwerer und robuster
„Im Nachhinein macht das höhere Transportalter für uns Sinn: Die Kälber sind schwerer, robuster und gesünder, wenn sie auf unseren Höfen ankommen“, lobt Michael Beneke, Kälbermäster aus Vechta. Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Kälbermäster machte bisher gute Erfahrungen mit den älteren Kälbern. „Das Antränken an der Schale funktioniert gut.“
Allerdings beobachtet er eine extreme Varianz in den Kälberqualitäten. Für die Kälbermäster ist vor allem das Gewicht entscheidend. „Die Bullenkälber sollten mit 28 Tagen mindestens 65 kg wiegen“, erklärt Beneke. Zwischen den verschiedenen Kälbern liegen momentan bis zu 25 kg.
Klar ist dem Mäster, dass die Milchviehhalter für die älteren Kälber mehr Geld bräuchten. „Wir zahlen momentan etwa 40 € mehr als vorher.“ Er könnte sich aber vorstellen, dass der Markt sich noch weiter einpendelt, zugunsten der Milcherzeuger. Denn Kälber sind knapp.
Auch Theresa Averbeck, Geschäftsführerin der Kontrollgemeinschaft Deutsches Kalbfleisch, resümiert: „Unsere Erfahrungen sind besser als gedacht.“ Sie machte aber deutlich: „Zwischen den besser und schlechter versorgten Kälbern liegen um die 100 € Preisunterschied.“
Gewicht definiert Kälberqualität
Paul Berghuis, Kälberhändler aus Ibbenbüren, Kreis Steinfurt, hat gute Erfahrungen mit den älteren Kälbern. „Die Tiere sind stabiler, agiler und flotter unterwegs.“ Er betont jedoch, dass die Tiere nicht gesünder sind. „Gesund waren die Kälber auch mit 14 Tagen.“
Außerdem gehen die Qualitäten extrem weit auseinander und entsprechend auch die Preise. „Mittlere Kälber wiegen jetzt rund 65 kg, schwerer ist klasse“, so Berghuis. Er bezahlt die Tiere nach Gewichtsstaffeln.
Auch die Notierungen der Landwirtschaftskammer NRW wurden entsprechend nach drei Gewichtsklassen angepasst. „Das Gewicht der Kälber ist entscheidend. Darüber wird die Qualität definiert“, betont Dr. Frank Greshake von der Kammer.
Er schätzt, dass 28 Tage alte Bullenkälber jetzt rund 40 € mehr am Markt kosten, Kreuzungen rund 50 €. „Aber das ist noch nicht in Stein gemeißelt, die Bezahlung muss sich noch weiter finden“, so Greshake. Insgesamt seien die älteren Kälber aber nicht so schwer wie erwartet.
Auch die Niederländer scheinen zufrieden mit den älteren Kälbern, berichtet Berghuis. Dort gibt es Überlegungen, das Transportalter ebenfalls anzuheben.
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