Gerd (Namen von der Redaktion geändert) wollte es einmal ausprobieren. Immerhin hatte er viel über die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis gehört. „Über Freunde, die öfter mal nach Holland fahren, habe ich mir einfach fünf, sechs Gramm besorgt“, erzählt der dreifache Familienvater. Dabei wollte der 61-Jährigen nie einen Rausch erleben. Er wollte lediglich die chronischen Schmerzen in seiner Schulter, bei denen keine herkömmliche Arznei wirkte, loswerden. Dass es bei Hanf, oder im Volksmund auch Cannabis, verschiedene Sorten gibt, war ihm nicht bekannt. Demnach wusste er auch nicht, dass er bei seiner „Bestellung“ etwas genauer hätte hinschauen müssen.
Lieber Keks als Tüte
Rauchen wollte Gerd das Gras (siehe Kasten „Was ist was?“) nicht. „Als Nichtraucher kam das für mich nicht in Frage“, erzählt Gerd. Kurzerhand bat er seine Frau Brigitte, Kekse aus dem Marihuana, also den getrockneten Pflanzenteilen der weiblichen Hanfpflanze, zu backen. Im Internet informierten sie sich, wie sie vorgehen musste, damit die Inhaltsstoffe ihre Wirkung entfalten. Dort las Brigitte, dass ein notwendiger Verarbeitungsschritt sei, das Gras in Butter auszulassen, um „Cannabutter“ herzustellen. Hanf enthält mehr als 60 verschiedene Cannabinoide. Sie sind alkohol- und fettlöslich. Viele von ihnen liegen jedoch in inaktiver Form vor. Sie müssen zunächst decarboxyliert werden. Das geschieht wenn die getrockneten Pflanzenteile erhitzt werden. Erst danach entfalten einige von ihnen ihre psychoaktive Wirkung. So werden aus THCA und CBDA, zwei der wichtigsten Inhaltsstoffe des Hanfes, die wirksamen Stoffe THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol). THC wirkt psychoaktiv und ruft Rauschzustände hervor. CBD hingegen, so lassen zumindest Studien vermuten, soll ein Wundermittel gegen Stress, Schmerzen, aber auch Spastiken und Krebs sein.
Obwohl die Studienlage nicht eindeutig ist, dürfen Mediziner seit 2017 Hanf(-produkte) verschreiben. Während in den ersten Jahren dafür sämtlicher Hanf aus dem Ausland importiert werden musste, gibt es seit 2021 drei Unternehmen in Deutschland, die selbst Cannabis anbauen und verarbeiten dürfen – hinter dicken Stahlbetonwänden, unter „sterilen“ Bedingungen.
Was ist was?
Marihuana (Gras, Weed, Pot): Getrocknete Pflanzenteile – meist Blüten – der weiblichen Hanfpflanze. Der THC-Gehalt liegt meist zwischen 7 und 11 %, bei manchen Treibhauszüchtungen auch bei 20 % und mehr.
Haschisch (Hasch, Shit, Dope, Piece): Das zu braunen, harten Platten gepresstes Harz der weiblichen Hanfblüten enthält üblicherweise zwischen 11 und 19 % THC – maximal 30 %.
Haschisch-Öl (Haschöl, THC-Öl): Das dickflüssige Extrakt aus dem Harz weist mit teils über 70 % THC die höchste Konzentration auf .
Rausch nach Rezept
Doch Gerd hatte kein Rezept, das er bei seiner Krankenkasse hätte einreichen können. Er hatte nur das Keksrezept, das seine Frau im Internet gefunden hatte. Auch die teils widersprüchliche Beurteilung des Cannabis als Medizin störte ihn nicht. Gerd freute sich auf den Selbstversuch.
Ein paar Tage nachdem er das Gras erhalten hatte stand seine Frau, vom süßlichen Geruch umnebelt, am Herd und ließ das Marihuana in Butter aus. „Sie war ziemlich entspannt und gut gelaunt“, erzählt der Landwirt mit einem Augenzwinkern. Auch Brigitte merkte die Veränderung und entschied, die Kekse doch erst am nächsten Tag zu backen.
Tags darauf zog dann endlich der Duft frisch gebackener Plätzchen durch das Mehrgenerationenhaus. Selbst Oma Anni kam von ihm angelockt in der Küche vorbei. „Sie wollte schon von den Keksen probieren“, erzählt Gerd, „aber meine Frau hat es ihr strikt verboten – natürlich ohne ihr zu verraten, dass es sich um Haschkekse handelte.“ Etwas beleidigt zog die Seniorin von dannen. Doch Brigitte war zufrieden mit ihrer Entscheidung: Denn sie fühlte sich immer noch etwas merkwürdig. Gerd hielt es trotzdem nicht davon ab, einen halben Keks zu probieren. „Er schmeckte etwas nach Gras“, erinnert er sich an die kleinen runden, etwas grünlich scheinenden Kekse. Dann wartete er auf die Wirkung. Nach einer halben Stunde konnte er noch immer keine Veränderung feststellen. Dabei ist die verzögerte Wirkung der psychoaktiven Stoffe gerade bei oraler Aufnahme durchaus normal. Die Cannabisprävention NRW erklärt, dass „die berauschende Wirkung verzögert nach 30 Minuten bis 1,5 Stunden beobachtet“ wird. Erst nach zwei bis drei Stunden erreiche sie ihren maximalen Effekt. Wer Cannabis rauche oder inhaliere, der könne bereits nach wenigen Sekunden bis Minuten die berauschende Wirkung erleben. Auch das Maximum stelle sich bei dieser Form des Konsums deutlich früher, nach 20 bis 30 Minuten ein, so die Landesfachstelle Prävention der Suchtkooperation NRW.
Berauscht im Auto
Gerd wusste von all dem nichts und ging davon aus, dass das Marihuana bei ihm einfach nicht wirkte. Er stieg ins Auto, um zu einem Freund zu fahren. Unterwegs merkte er dann doch, wie ihm komisch wurde. „Da fing das Zeug auf einmal an zu wirken“, sagt Gerd, „doch anders als beabsichtigt“. Denn die Schmerzen in der Schulter blieben, nur erlebte er einen Rausch. Gerd hatte also Gras erwischt, das einen hohen THC-Gehalt gehabt haben musste.
Das Cannabis, das auf den Schwarzmärkten der deutschen Straßen verkauft wird, entspricht keiner Norm. Es unterliegt keiner offiziellen Kontrolle der Inhaltsstoffe. Lediglich die Züchtung gibt einen Hinweis darauf, welche Cannabinoide in welchem Umfang enthalten sind. Schließlich ist es hierzulande ein Schwarzmarkt. Würde Cannabis legal erzeugt und in offiziell zugelassenen Läden verkauft, wie aktuell diskutiert, dann wäre eindeutig geregelt, welches Mittel wie viel berauschende Wirkung hätte. Das ist zumindest die Wunschvorstellung des Deutschen Hanfverbandes, die die Legalisierung klar befürwortet.
Eldorado mit „Hintertür-Problem“
Viele Kiffer blicken neidisch in die Niederlande. Die Zustände dort wirken auf manch einen wie ein Eldorado. Schließlich können Volljährige ganz offiziell Cannabis kaufen und konsumieren. Doch auch in unserem Nachbarland gibt es keine klaren Regelungen – zumindest nicht den Anbau betreffend. Das dort offiziell verkaufte Marihuana und Haschisch stammte bis 2020 komplett aus unkontrolliertem, meist privaten Anbau. Anders als häufig vermutet, ist Cannabis in unserem Nachbarland nämlich nicht legal. Es ist lediglich entkriminalisiert. Das heißt konkret: Der Besitz von bis zu fünf Gramm ist straffrei. Und auch der Verkauf ist es – aber nur, solang er in lizensierten Geschäften, den sogenannten Coffeshops erfolgt. Anderweitiger Handel ist illegal. Das führt zur „Backdoor“-Problematik für die Betreiber der Shops. Sie dürfen zwar Cannabis-Blüten und Haschisch an Kunden verkaufen, sie aber nicht in größeren Mengen einkaufen. Sie müssen es förmlich an der Hintertür, aufdem Schwarzmarkt, erwerben. Auch ist ihnen der Eigenanbau für den Verkauf untersagt.
Diese Widersprüchlichkeit nahm die niederländische Regierung vor rund drei Jahren zum Anlass, ein Modellprojekt zu starten: In zehn Städten verkaufen alle dort ansässigen Coffeeshops, 79 an der Zahl, seit 2021 ausschließlich „Staats-Marihuana“ . Es stammt von behördlich überwachten Plantagen, die staalich lizensiert sind. Man wolle die Drogenkriminalität eindämmen und die Qualität der Produkte steigern, heißt es von Seiten der Verantwortlichen. Das Projekt ist zunächst auf vier Jahre angelegt.
Entspanntes Deutschland
In Deutschland will man nun einen Schritt weitergehen: Die Pläne sehen die Legalisierung von Cannabiskonsum und -anbau vor. Im April 2023 veröffentlichte die Ampelregierung ihr Eckpunktepapier zur Legalisierung von Cannabis. Noch gelten hierzulande die im Betäubungsmittelgesetz festgelegten Regeln: Jeglicher Besitz von Cannabis und Cannabisprodukten (Haschisch, Marihuana) ist illegal und somit strafbar. Wer dagegen verstößt, der muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen. Der bloße Konsum der Produkte hingegen ist nicht strafbar. Da dem Konsum in der Regel der Besitz vorausgeht, macht man sich dennoch strafbar. Die Staatsanwaltschaft kann jedoch bei geringfügigen Mengen zum Eigenverbrauch Gnade vor Recht ergehen lassen. Je nach Bundesland liegt die Grenze zwischen sechs und 15 g – und damit deutlich unter den Mengen, die im Eckpunktepapier angedacht sind (siehe Kasten „Eckpunktepapier“). Bei diesem Papier handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Gesetzesvorlage, jedoch vermittelt es dem Bundesbürger eine Idee, was in Zukunft kommen könnte. Denn der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte die deutsche Cannabiskontrollpolitik für gescheitert. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für 2021 mehr als 222 000 Rauschgiftdelikte aus, die mit Cannabis im Zusammenhang standen. Das soll die Legalisierung nun retten. Außerdem versprechen sich die Unterstützer der Legalisierung mehr Schutz für Konsumenten. Denn legal erzeugtes Cannabis wäre nicht mit gesundheitsschädlichen Mitteln gestreckt. Ein weiteres Argument ist, dass Cannabis nicht mehr der Einstieg in die Szene der „harten“ Drogen wäre, wenn es legal bezogen werden könnte.
Eckpunktepapier
Der Verkauf von Cannabis(-produkten)darf ausschließlich an Volljährige erfolgen.
Erwerb und Besitz bis zu einer Höchstmenge von 20 bis 30 g Cannabis zum Eigenkonsum sind straffrei.
Kommerzieller Anbau und Vertrieb sollen staatlich lizensiert und kontrolliert werden.
Der private Eigenanbau ist für jede volljährige Person auf drei weibliche, blühende Pflanzen begrenzt.
Erwachsene dürfen in nicht gewinnorientierten Vereinen Cannabis anbauen.
Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren sollen eingestellt werden.
Kontrolle für was?
Die Legalisierung von Cannabis verspricht also Entspannung. Entspannung für überlastete Mitarbeiter des Gerichtswesens und der Polizei, aber auch für die Konsumenten, die sich nicht mehr auf dem Schwarzmarkt ihr Gras beschaffen müssen. So zumindest die Argumentation der Befürworter. Doch auch der private Anbau wird weitere Kontrollen erfordern, um sicherzustellen, dass wirklich nur drei Pflanzen im Privatgarten wachsen und keine Minderjährigen Zugang zu den berauschenden Pflanzen haben. Die Legalisierung schafft neue Herausforderungen und Probleme. Fragt man Gerd dazu, dann sagt er nur Folgendes: „Das Gras hat mir nicht den Schmerz genommen, aber es hat dazu geführt, dass er mir egal war.“ Und vielleicht verhält es sich mit der Legalisierung des Cannabis ganz ähnlich – das Grundproblem bleibt bestehen, aber es wird uns gleichgültig?
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