Wochenblatt-Leserin Ingrid F. in T. fragt: Was ist rechtlich gesehen bei der Auswilderung zu beachten, wenn ein Rehkitze mit der Flasche aufgezogen wurde, beispielsweise weil die Ricke bei der Kollision mit einem Pkw gestorben ist? Ist diese überhaupt erlaubt und wo ist dann eine Genehmigung einzuholen?
Birgit Kaiser de Garcia vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW informiert: Da es sich bei Rehen um Wild handelt, ist vor einer sogenannten Aneignung immer die jagdausübungsberechtigte Person zu informieren. Diese Person ist in der Regel über Wildunfälle in der Umgebung informiert und weiß somit, ob eine führende Ricke zu Tode kam oder ob es sich gar nicht um ein verwaistes Rehkitz handelt, weil er Ricke und Kitz bereits regelmäßig beobachtet hat und weiß, wo sich die Ricke aufhält.
Rehkitz hat Duckreflex
Insgesamt ist es leider so, dass Rehkitze häufig zu früh „gerettet“ werden, weil Privatpersonen glauben, das Kitz sei verlassen zurückgeblieben, wobei es lediglich vom Muttertier abgelegt wurde und dort auf deren Rückkehr wartet. Durch eine Art „Duckreflex“ warten die Rehkitze und flüchten nicht, wenn sich Gefahr, zum Beispiel ein Mensch, nähert. Sie verharren an Ort und Stelle. Dies wird häufig als Hilfsbedürftigkeit fehlinterpretiert.
Aufzuchtstationen haben Sachkunde
Für eine Aufzucht von Rehkitzen ist laut Tierschutzgesetz (§ 2) Sachkunde erforderlich. Diese ist bei den meisten Privatpersonen nicht gegeben. Deshalb ist es sinnvoll, eine Aufzuchtstation hinzuzuziehen. Liegt keine Sachkunde vor, ist die Aufzucht nicht erlaubt.
Ziel der Aufzucht und Haltung von Rehkitzen muss die Wiederauswilderung sein. Auch dies ist im Tierschutzgesetz verankert: Hilfsbedürftige Wildtiere dürfen nur vorübergehend zur Aufzucht/Behandlung von sachkundigen Stellen aufgenommen werden. Abgesehen von der rechtlichen Situation birgt die Aufzucht von Rehkitzen einige Tücken:
Männliche Rehkitze müssen umgehend (innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Fund) in eine Gruppe von Rehen/Rehkitzen integriert und somit sozialisiert werden – ansonsten droht bei Eintritt der Geschlechtsreife ein gesteigertes Aggressionsverhalten gegenüber dem Menschen. Dies hat zur Folge, dass solche Tiere nicht wieder ausgewildert werden können.
Auch weibliche Rehkitze sollten sozialisiert aufwachsen. Es ist jedoch in diesem Fall möglich, auch einzelne Tiere erfolgreich wieder auszuwildern.
Auswilderung am besten in der Gruppe
Eine Wiederauswilderung sollte als „Soft Release“ stattfinden, das heißt, die Tiere werden zunächst in einem Gatter gehalten und gefüttert. Das Gatter wird zu gegebener Zeit geöffnet und die Tiere können aus- und einlaufen, wie es ihnen beliebt. Dadurch können sie im Gatter noch Futter aufnehmen oder darin Schutz finden.
Eine Wiederauswilderung in der Gruppe ist für alle Tiere angenehmer, da die Gruppe ihnen Sicherheit bietet und der normalen Sozialstruktur entspricht. Ein Einzeltier muss sich erst einer fremden Gruppe anschließen, was unter Umständen schwierig sein kann.
(Folge 15-2022)