§ 912 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimmt Folgendes: Der Eigentümer eines Grundstücks muss die Überbauung nur dulden, wenn sie ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit erfolgte. Ist die Überbauung zu dulden, muss der Nachbar den Eigentümer entschädigen. Für die Höhe der Geldrente ist die Zeit der Grenzüberschreitung maßgebend (§ 912 Abs. 2 BGB).
Somit stellt sich zunächst die Frage, ob Sie die Überbauung dulden müssen. Wie ist es zu dem Überbau gekommen? Erfolgte der Überbau vorsätzlich (absichtlich) oder grob fahrlässig, können Sie vom Nachbarn die Entfernung des Gebäudes und die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen.
Grobe Fahrlässigkeit nimmt die Rechtsprechung an, wenn der Überbauer (oder sein Architekt) den Grenzverlauf vorher nicht zuverlässig ermittelt hat. Ebenso wäre es grob fahrlässig, wenn Hinweise auf den Grenzverlauf nicht beachtet werden, etwa durch eine Bepflanzung an der Grenze.
Kann man dem Nachbarn dagegen nur leichte Fahrlässigkeit vorwerfen, müssen Sie den Überbau dulden. In diesem Fall können Sie eine Geldrente fordern, die Ihren Nutzungsverlust ausgleicht. Die Höhe richtet sich nach dem Verkehrswert Ihres überbauten Grundstückes, wobei die konkrete Bebauungsmöglichkeit durch den Nachbarn zu berücksichtigen ist. Nach § 913 BGB ist die Rente jährlich im Voraus zu entrichten.
Mit was für einem Gebäude wurde Ihre Fläche überbaut und wie sind Sie beeinträchtigt? Denkbar wäre Folgendes: Hat der Nachbar Ihre Fläche mit einem Wohnhaus oder Wirtschaftsgebäude überbaut, könnte man die Verkehrswerte für Bauland bzw. für Hofstellen in Ihrer Gegend heranziehen. Im zweiten Schritt könnte man für die Berechnung einen Erbbauzins (etwa 4 bis 6 % des Verkehrswertes) heranziehen. Daraus ergäbe sich ein jährlicher Pachtpreis pro Quadratmeter.
Beispiel: Wohnbauland (erschlossen) kostet in Ihrer Gemeinde 120 €/m2. 5 % davon wären 6 €/m2 und Jahr. Angenommen, von den 1500 m2 überbauter Fläche wären 500 m2 mit Wohnhaus plus Garten überbaut, dann wäre das ein Betrag von 3.000 €/Jahr, den der Nachbar ausgleichen müsste. Dazu käme noch ein Betrag für die restlichen 1.000 m2. Sie könnten diese Beträge als Verhandlungsgrundlage mit dem Nachbarn nutzen.
Sie können die Geldrente auch für die unverjährte Zeit fordern. Die Verjährung berechnet sich ab dem Entstehen des Anspruchs und Ihrer Kenntnisnahme von der Überbauung. Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre. Da Sie erst jetzt von der Überbauung erfahren haben, können Sie rückwirkend ab Beginn der Überbauung, höchstens aber für die letzten zehn Jahre, die Rente verlangen.
(Folge 46-2021)