Wochenblatt-Leserin Lea B. in V. fragt: Seit einiger Zeit fällt mir auf, dass die Verpackungsgrößen immer kleiner werden. Das ist doch eine versteckte Preiserhöhung. Ist es juristisch möglich, einfach die Verpackungsgrößen stillschweigend zu verringern? Und das mitten in der Inflation.
Prof. Dr. Hartmut Walz, Hochschule Ludwigshafen am Rhein, antwortet: Wovon Sie sprechen, nennt man „Shrinkflation“ – ein Kunstwort, aus dem englischen Begriff „to shrink“ (schrumpfen) und dem Wort Inflation.
Shrinkflation: Bezeichnet, dass Anbieter nicht die Preise von Gütern erhöhen, sondern bei konstanten Preisen die Produktmengen bzw. Packungsgrößen reduzieren. So verschlechtert sich das Preis-Leistungs-Verhältnis.
Gerade bei Produkten des täglichen Bedarfs, bei denen unsere Nachfrage starr ist, funktioniert diese Vorgehensweise gut und bleibt häufig unbemerkt. Wenn beispielsweise Toilettenpapierrollen statt 415 Blatt nur noch 375 Blatt enthalten, wird der Käufer das kaum bemerken und vor allem nicht weniger verbrauchen. Jedoch beträgt die Preissteigerung mehr als 10 %.
Geschrumpfte Packungsgrößen rechtlich zulässig
Mogelverpackungen: Auf der Suche nach Beispielen für die Verkleinerung von Verpackungen ohne Preisreduktion für deutsche Verbraucher wurde ich auf der Seite der Verbraucherzentrale Hamburg (VZ) fündig. Sie bietet eine fast schon skurril-lustige „Mogelverpackungsliste“. Um bei Hygienepapier zu bleiben: Beim feuchten Toilettenpapier „Happy End“ (Anbieter wird nicht genannt) in der Duftnote „Kamille“ wurde die Packungsgröße bei unverändertem Preis von 1,25 € von 60 auf nur noch 50 Tücher reduziert, woraus die VZ Hamburg eine Preissteigerung von 20 % errechnet. Besonders ist, dass die Testkäufer das geschrumpfte Produkt bereits im Februar 2021 entdeckt haben, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Europäische Zentralbank (EZB) noch über eine zu geringe Inflationsrate klagte.
Rechtlich zulässig: Womit wir auch bei Ihrer Frage der rechtlichen Zulässigkeit von geschrumpften Packungsgrößen wären. Meiner Einschätzung nach begann die Shrinkflation in Deutschland bereits im Jahr 2009. Während deutsche Verbraucher bis zu diesem Zeitpunkt durch die sogenannte „Fertigpackungsverordnung“ bei den meisten Produkten gegen eine versteckte Verkleinerung von Packungsgrößen geschützt waren, führte die EU-bedingte Liberalisierung seit 1. April 2009 dazu, dass die Verpackungsgröße aller Produkte mit Ausnahme von Wein, Sekt und Spirituosen von den Anbietern völlig frei gewählt und verändert werden darf.
Geschrumpfte Verpackungen sind also rechtlich absolut zulässig. Milch darf in Tetrapacks von 0,9 Liter verkauft werden und ein Müsliriegel darf von 150 auf 130 g „abnehmen“. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Shrinkflation in Deutschland gerade seit Jahresbeginn 2022 zugenommen habe, liegt dies vielleicht auch daran, dass wir alle derzeit stärker auf Preiserhöhungen achten und vielen von uns das Geld gerade knapp wird.
So können Sie gegenhalten: Abgesehen von wenigen Ausnahmen und Automatenverkäufen müssen die Preise im Einzelhandel neben der Angabe pro Verpackungseinheit stets auch pro Standardmengeneinheit, also zum Beispiel 1 kg oder 1 l angegeben werden. Wenn Sie sich angewöhnen, immer vor allem auf die Standardmengenpreise zu achten, fallen Sie nicht mehr auf all die Mogelverpackungstricks herein.
Weitere Beispiele: Das wahre Problem geht weit über die reine Produktwelt hinaus. So werden zum Beispiel bei Dienstleistungen, im Rahmen der Digitalisierung aber auch sonstiger „Verbesserungen“ immer mehr Prozessschritte oder Aktivitäten auf uns Kunden überwälzt, ohne dass wir von Preissenkungen profitieren bzw. angemessen an den Kostenersparnissen beteiligt würden. Beispiel ist die bediente Selbstbedienung in den Baumärkten.
www.vzhh.de/mogelpackungslist
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(Folge 28-2022)