Es stimmt nicht, dass sich durch den Kalkanstrich des Stammes die Blüte von Obstbäumen hinauszögern lässt. Man kann damit nur verhindern, dass es im Winter bei kaltem, sonnigem Wetter zu Frostschäden an den Stämmen selbst kommt. Denn bei solchen Wetterlagen ist die dunkle Baumrinde – besonders dann, wenn auch noch Schnee liegt – starken Temperaturschwankungen ausgesetzt: Auf der Südseite eines Stammes ist die Temperatur dann wesentlich höher als auf der Nordseite. Dadurch können so starke Spannungen auftreten, dass die Rinde aufreißt. Durch den weißen Kalk werden die Sonnenstrahlen reflektiert, sodass sie die Rinde nicht so stark erwärmen. Auf die Blüte im Frühjahr hat dies jedoch keinen Einfluss.
Meist handelt es sich bei Spätfrösten um Strahlungsfröste. Sie entstehen nach dem Einströmen polarer Luftmassen, wenn sich in wolkenlosen und windstillen Nächten die Luft durch ungehinderte Ausstrahlung von Wärme in den Weltraum unter 0 °C abkühlt. Ein ungünstiger Standort kann dann Blütenfrostschäden begünstigen. Da kalte Luft schwerer ist als warme, bleibt sie auf ebenen Flächen am Boden liegen oder sie fließt wie Wasser zur tiefsten Stelle im Gelände. Schon ein Niveauunterschied von 20 bis 30 cm genügt, um einen Kaltluftsee entstehen zu lassen. Auch wenn sich in einer Hanglage die kalte Luft an einem Hindernis, etwa einer Hecke oder einer Mauer staut, kann es dort zu wesentlich tieferen Temperaturen kommen als auf freiem Gelände, wo die Kaltluft abfließen kann.
Während im Erwerbsobstbau die Blüten mithilfe der Frostschutzberegnung bis zu Temperaturen von –6 bis –7 °C geschützt werden können, ist dies für eine Streuobstwiese viel zu aufwendig und zu teuer. Eventuell können Sie jedoch die Wärmespeicherfähigkeit des Bodens nutzen. Denn die am Tag vom Boden aufgenommene Wärme wird in der Nacht wieder abgestrahlt. Am besten wird Wärme von festem, offenem Boden gespeichert und auch wieder abgegeben. Gras oder anderer Bewuchs bilden eine Isolierschicht, die die Wärmenachlieferung aus dem Boden behindert. Zwischen bedeckten Flächen und offenem Boden können bei Strahlungsfrösten Temperaturunterschiede von mehreren °C auftreten. Daher sollte man den Boden unter Obstbäumen während des Frühjahrs möglichst frei von Bewuchs oder Bedeckung halten, wenn man regelmäßig Probleme mit Spätfrösten hat. Wenn dies nicht möglich ist, dann sollte der Grasbewuchs auf Ihrer Streuobstwiese während der Zeit der Spätfrostgefahr zumindest so kurz wie möglich gehalten werden, um seine isolierende Wirkung zu vermindern.
Eventuell können Sie auch durch das Umveredeln einiger Äste auf den einzelnen Bäumen mit später oder früher blühenden Sorten die Blühdauer Ihrer Obstbäume ausdehnen, sodass sich zum Zeitpunkt der Spätfröste nicht alle Blüten an allen Bäumen in der empfindlichsten Blühphase befinden.
(Folge 49-2020)