Auf gar keinen Fall sollten Sie jetzt in Torschlusspanik verfallen und einen Neuvertrag einer kapitalbildenden Lebens- oder Rentenversicherung unterschreiben. Das, was Sie in Ihrer Frage schildern, höre ich in diesen Tagen unzählige Male. Es ist ein tiefer Griff in die Trickkiste der Vertriebstechniken der Versicherungsvermittler, der gleich mehrere Manipulationstechniken gleichzeitig anwendet.
Erstens wird Ihnen eine nur kurzfristige Gelegenheit suggeriert, Zeitdruck aufgebaut und der Kontrasteffekt (0,9 % p. a. ist doch besser als 0,25 % p. a.) genutzt. Dabei wird jedoch etwas für Sie höchst Unvorteilhaftes mit etwas noch Unvorteilhafterem verglichen. Bereits die letzte Senkung der Garantiezinsen zum Ende des Jahres 2016 wurde von den Versicherungsvertrieben als „einmalige Gelegenheit“ genutzt und führte dazu, dass heute viele Menschen auf verlustbringenden Verträgen sitzen. Denn der Garantiezins – egal ob 1,25 % oder 0,9 % oder 0,25 % – bezieht sich nur auf die Sparleistung des Vertrags und keineswegs auf Ihre Beitragszahlung. Bezahlen Sie beispielsweise 100 € monatlich auf den Vertrag ein, so werden zunächst davon Vertriebskosten, Verwaltungskosten, zusätzliche fixe Verwaltungskosten, gegebenenfalls Risikokosten und je nach Vertragstyp noch weitere Kostenarten abgezogen. Nur das, was übrig bleibt – Fachausdruck „Sparanteil“ – wird für Sie angelegt und mit dem Garantiezins vergütet. Ob das nun 80 der 100 € oder ein wenig mehr oder sogar weniger sind, muss der Versicherer Ihnen nicht sagen – Betriebsgeheimnis! Rechnen Sie mal nach, wie viele Jahre Ihr Geld sich verzinsen muss, bis Sie nur wieder auf die 100 € kommen ... Aus diesem Grund hätte ich Ihnen auch schon klar von einer kapitalbildenden Lebens- oder Rentenversicherung mit 1,25 % Garantiezins abgeraten, da die Unterschiede in der Unvorteilhaftigkeit solcher Verträge kaum etwas mit der Höhe der Garantieverzinsung zu tun haben. Und falls Sie noch nicht ganz überzeugt sind, sollten Sie sich die durchschnittliche Inflationsrate in Erinnerung rufen, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs dicht unter 3 % und seit der Euro-Einführung bei knapp 2 % liegt.
Kurz gesagt: Wenn man Wunder ausschließt, werden Sie mit solchen Verträgen die Kaufkraft Ihrer Ersparnisse nicht erhalten können, sondern werden „mit Sicherheit arm“.
Tipp: Falls Sie in den vergangenen Tagen doch schon einen solchen Vertrag abgeschlossen haben, empfehle ich Ihnen unbedingt, die 30-tägige Widerrufsfrist zu nutzen, um sich aus einem Vertrag zu befreien, bei dem aus Ihrem Geld „garantiert weniger“ wird.
Ein generelles Widerrufsrecht von zwei Wochen besteht ohnehin nach § 8 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) bei allen Versicherungsverträgen – also z. B. auch der Kfz-Versicherung oder einer Privathaftpflicht. Noch besser ist der Verbraucherschutz bei Lebens- und Rentenversicherungen. Hier gilt der § 152 VVG, der 30 Tage Widerrufsfrist vorsieht. Es ist lediglich Schriftform nötig, sonstige formale Bedingungen sind nicht erforderlich. Für die Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung – also Einwurfeinschreiben mit Datum. Die Frist beginnt mit Übergabe der vollständigen Vertragsunterlagen (Versicherungsschein, allgemeine Bedingungen, formgerechte Widerrufsbelehrung). S
elbst wenn ein Widerruf nicht mehr möglich ist und der Erstbeitrag oder zwei, drei Monatszahlungen verloren sind, würde ich die Beitragszahlung einstellen.
Übrigens haben einige Versicherer schon angekündigt, ab 2021 neue Vertragstypen anzubieten, die nicht einmal eine Nullverzinsung, das heißt Beitragsgarantie beinhalten. Obwohl ich von Garantien bei langfristigen Spar- oder Vorsorgeverträgen ohnehin nichts halte, rate ich auch von diesen Varianten strikt ab. Und damit befinde ich mich in völliger Übereinstimmung mit Verbraucherschützern und anderen neutralen Experten. Denn – Garantie hin oder her – in diesen Verträgen stecken einfach zu viele Kosten.
(Folge 50-2020)
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