Im Durchschnitt verkaufen private Anleger Gewinneraktien zu häufig und zu früh, während sie Aktien im Verlust zu häufig und zu lange die Treue halten. Die negative Folge ist, dass die so handelnden Anleger allmählich die Verliereraktien im Depot ansammeln – keine gute Strategie! Daher: Verkaufen Sie grundsätzlich keine Gewinneraktien – von den unten erläuterten Ausnahmen abgesehen– wenn Sie das Geld nicht wirklich benötigen, sondern nur wieder in andere Aktien anlegen würden. Denn in einer Crash-Situation fallen die neu erworbenen Aktien ebenso wie die verkauften Gewinneraktien. Und die Statistik widerspricht klar dem Bauchgefühl, dass Gewinneraktien gefährdeter gegenüber zukünftigen Verlusten sind als Verliereraktien. Es kann genauso gut sein, dass die Gewinneraktien noch lange positiv weiterlaufen wie ein Blick auf Amazon, Google, Facebook, Microsoft, aber auch Siemens, Münchner Rück, Vonovia und andere zeigt. Nun zu den wenigen Ausnahmen, in denen Sie Gewinneraktien verkaufen sollten:
Erstens: Sie wollen sich aus dem Aktienengagement auf Dauer verabschieden oder dies zumindest dauerhaft verringern. Hierfür könnten Gründe aus Ihrer Privatsphäre ausschlaggebend sein, wie etwa Alter, Hauskauf, Übernahme oder Vergrößerung Ihres Betriebs. In dieser Situation ist es gut, wenn Sie Aktien mit Gewinn veräußern können. Bedenken Sie im Fall der Verkleinerung des Depots jedoch, ob Sie nicht auch gleichzeitig Verliereraktien abstoßen, da Sie hierdurch sofort Gewinne und Verluste verrechnen und den Abzug der Kapitalabschlagsteuer (25 % plus Solidaritätszuschlag plus Kirchensteuer) vermeiden oder zumindest verringern können. Legaler Steuertrick: Sie könnten sogar Ihre Verliereraktien einen Tag später wieder zurückkaufen, wenn Sie von der langfristigen Entwicklung überzeugt sind. Die Steuerersparnis gehört Ihnen trotzdem.
Zweitens: Eine oder mehrere Aktien oder auch ETFs (kurz für: Exchange Traded Funds, börsengehandelte Fonds) haben sich im Verhältnis zum restlichen Depot weit überdurchschnittlich gut entwickelt und damit einen zu hohen Anteil erreicht. Beispiel: Während Sie beim Aufbau Ihres Portfolios darauf achteten, dass kein Wert 10 % des Gesamtvolumens überschritt, haben nun zwei Gewinneraktien diese Schwelle mit 16 % und 19 % klar überschritten. Natürlich können diese Gewinner noch weiter zulegen – das weiß keiner. Jedoch ist es unter dem Gesichtspunkt eines vorsichtigen Risikomanagements klug und vorausschauend, diese Schwergewichte wie einen schnell wachsenden Strauch „zurückzustutzen“. Im Beispiel bedeutet das einen Teilverkauf, sodass die beiden Gewinneraktien wieder auf oder dicht unter 10 % Portfolioanteil kommen.
Drittens: Der dritte Fall sollte eine ganz seltene Ausnahme sein. Er liegt nur dann vor, wenn Sie sich subjektiv sicher fühlen, dass eine Aktie völlig irrational überbewertet wird und eine Marktanomalie vorliegt. Bitte seien Sie an diesem Punkt bescheiden und glauben Sie nicht, dass ein Einzelner im Normalfall schlauer als der gesamte Markt ist. Zwar kann es sein, dass Sie zu Recht den Super-Gewinner verkaufen, es kann ebenso sein, dass es gute und fortbestehende Gründe für den hohen Kursgewinn gab, die Sie nicht kennen. Und dass Ihnen später weitere Kursgewinne entgehen, weil Sie verkauft haben. Ein guter Kompromiss könnte sein, nur die Hälfte der Gewinneraktie zu verkaufen – dann haben Sie Ihr Risiko reduziert und sind trotzdem noch mit dabei. Ganz egal was passiert, werden Sie ein Gewinner sein. Entweder mit der verkauften Hälfte oder mit der nicht verkauften Hälfte. Das nenne ich die Strategie des geringsten Bedauerns.
(Folge 51-2020)