Bodenleben

Die neue Humustheorie

... und was Landwirte daraus für ihre Böden und ihre Bewirtschaftungs­sys­teme ableiten können, um so die Humusgehalte ihrer Böden zu stabilisieren.

Neue Forschungsergebnisse stellen unser bisheriges Verständnis vom Humus grundlegend infrage. Die Vorstellung, dass es sich beim Humus um abbauresistente Substanzen handele, weicht allmählich der Gewissheit, dass Humus einem kontinuierlichen Abbau unterliegt. Nur in Bodenaggregaten und sogenannten Ton-Humus-Komplexen wird organische Substanz vor mikrobiellem Abbau geschützt. Der sich abzeichnende Paradigmenwechsel verändert auch den Pflanzenbau.

Großer Kohlenstoffspeicher

Der Diskurs zum Thema Humus wird von der hypothetischen Möglichkeit des Humusaufbaus als effektive Klimaschutzmaßnahme dominiert. Der Gedanke ist durchaus naheliegend: Die Böden der Welt speichern im Humus etwa zwei- bis dreimal so viel Kohlenstoff wie die gesamte Atmosphäre in Form von CO2 enthält. Bereits kleine Steigerungen der Humusgehalte könnten der Atmosphäre folglich klimarelevante Mengen CO2 entziehen.

In ihrer praktischen Umsetzung erweist sich die bestechende Idee jedoch als deutlich komplexer. Zum einen, weil durch den Klimawandel bedingte, höhere Bodentemperaturen den Humusabbau beschleunigen. Zum anderen, weil viele der Humusneubildung zugrunde liegenden Prozesse noch nicht vollständig verstanden sind. Dabei ist die Steigerung, zumindest aber der Erhalt der Bodenhumusgehalte, ureigenstes Interesse der Landwirtschaft, denn der Humusgehalt bestimmt maßgeblich und auf vielschichtige Weise die Fruchtbarkeit eines Standortes.

Klassische Humustheorie

Humus ist definiert als die Gesamtheit aller in und auf dem Boden befindlichen, abgestorbenen, pflanzlichen und tierischen Streustoffe und deren organischen Umwandlungsprodukte. Der leicht zersetzbare Teil des Humus, der dem mikrobiellen Abbau unterliegt, wird klassischerweise als Nährhumus bezeichnet. Der stabile Teil, der durch mikrobielle Ab- und Umbauprozesse entsteht, die sogenannten Huminstoffe, bildet dagegen den Dauerhumus.

Während der Nährhumus, der typischerweise etwa 10 bis 20 % der organischen Bodensubstanz ausmacht, maßgeblich das Bodenleben ernährt und Nährstoffe nachliefert, ist der Dauerhumus mit rund 80 bis 90 % der organischen Bodensubstanz für die Aggregatbildung und damit ein stabiles Bodengefüge entscheidend und verbessert außerdem die Wasser- und Nährstoffspeicherfähigkeit des Bodens. Nach der klassischen Humustheorie trägt leicht zersetzbare ­organische Substanz mit engem C:N-Verhältnis und niedrigen Ligningehalten zum Nährhumus bei. Im Gegensatz dazu fördert schwer zersetzbare organische Substanz mit weitem C:N-Verhältnis oder ­hohen Ligningehalten die Bildung von Dauerhumus.

Bereits auf das ausgehende 18. Jahrhundert zurückgehende Untersuchungen der im Dauerhumus enthaltenen Huminstoffe haben den Grundstein für die bis heute überdauernde Vorstellung verschiedener Huminstoffgruppen gelegt. Basierend auf einer Extraktion mittels hoch konzentrierter Natronlauge wurden die Humin-stoffe anhand ihrer Löslichkeit in Huminsäuren, Fulvosäuren und Humine unterteilt, ohne dass es je gelungen wäre, diese chemisch eindeutig zu charakterisieren.

Huminstoffe werden allgemein als ein Gemisch verschiedenster, hochmolekularer, in der Regel polycyclischer und stark vernetzter organischer Substanzen beschrieben. Zu ihrer Entstehung gibt es zwei Theorien: Ursprünglich ging man davon aus, dass diese Moleküle während der Zersetzung organischen Materials durch die Mikroorganismen des Bodens neu gebildet würden (Humifizierung). Aus thermodynamischer Sicht war diese Theorie wenig überzeugend, da der aktive Aufbau komplexer Moleküle energieaufwendig ist. Es war nicht ersichtlich, warum die organische Substanz nicht komplett verstoffwechselt wurde.

Diese Unstimmigkeit versuchte man durch eine zweite Theorie aufzulösen: Die Huminstoffe würden nicht aktiv gebildet, sondern es handele sich dabei um eine Anreicherung all jener Verbindungen, die während der Zersetzung organischen...