Stolz zeigt Tom Coerwinkel seinen Kuhstall, den sein Vater und er erst vor einigen Jahren gebaut haben. Sofort fällt auf, dass die 120 Kühe hier frische Luft, viel Platz und wohltuende Ruhe genießen. Nur das Zischen der beiden Melkroboter ist zu hören. Auf dem Futtertisch liegt die frische Mischration, dessen Hauptbestandteile Gras und Mais der 29-jährige Landwirt aus Millingen aan de Rijn komplett auf den eigenen Flächen produziert – gedüngt mit Gülle und Mist seiner Kühe und Freilandhühner. „Das ist doch die Kreislaufwirtschaft, die wir wollen, oder nicht?“, fragt er.
Betrieb in Gefahr
Je länger er über die aktuelle Situation nachdenkt, desto mehr wandelt sich der Stolz in seinem Gesicht in Ratlosigkeit. Aufgrund der Nähe zu Naturschutzgebieten am Rhein soll er nach den aktuellen Plänen der Regierung 58 bis 59 % seiner Tiere abgeben. „Das ist Wahnsinn“, meint er. „Meine Tierzahl passt genau zu der Fläche die ich bewirtschafte, außerdem sind 50 meiner 85 ha Grünland, das dem Menschen nur durch Veredelung zugänglich wird.“
Coerwinkel sagt, er könne den Wunsch der Regierung, die Ammoniak-Emissionen zu mindern, grundsätzlich verstehen, ärgert sich aber über die fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten für Landwirte: „Würde mein Nachbar alle Tiere abgeben und ich weiter machen, hätten wir den Viehbestand hier schon mehr als halbiert.“ Das werde aber nicht berücksichtigt. Stattdessen müsse jeder Einzelbetrieb in der Region seinen Bestand um fast 60 % reduzieren, erzählt der 29-jährige. „Mit der Betriebsgröße, die mir dann noch bliebe, verdiene ich aber nicht genug, dann kann ich gleich aufhören.“
Innovationen zählen scheinbar nicht
Die niederländischen Landwirte sind schon lange nicht nur gute Unternehmer, sondern auch sehr innovativ, meint Coerwinkel. Das liege nicht zuletzt an den strengen Vorschriften, mit denen sie sich schon lange auseinander setzen müssen: „Wir gehen so effizient mit unseren Nährstoffen um, wie kaum jemand anderes“, sagt er.
Auf seinem Betrieb kann er nicht nur 100 % seiner Gülle- und Mistmenge auf eigenen Flächen nutzen, sondern bringt diese auch direkt in den Boden – per Schlitzgerät im Grünland und Strip-till vor Mais – und damit nahezu emissionsfrei aus. Dennoch sieht er weiteres Potenzial, um die Emissionen auf seinem Betrieb zu senken – etwa über die Installation geschlossener Güllekeller und Luftwäscher an seinen Ställen. Doch auch mit diesen Maßnahmen habe er keine Chance, der Abstockung zu entgehen, erzählt er: „Unsere Innovationen werden nicht berücksichtigt. Es geht nur um das Verringern von Tierzahlen.“
Hinter der Grenze ist vieles anders
Der Blick über die Grenze zu NRW, die direkt an seinem Betrieb liegt, wirft bei ihm noch mehr Fragen auf: „Wenn ich sehe, dass das Gülle ausbringen per Breitverteiler wenige Meter weiter in NRW noch bis 2025 erlaubt ist – also 30 Jahre länger als bei uns – kann ich kaum glauben, dass ausgerechnet hier so stark nachgeregelt wird.“ Schließlich sollten doch für beide EU-Staaten gleiche Regeln gelten.
Ein deuscher Nachbar von Coerwinkel baue zudem aktuell einen neuen Kuhstall – fast genau so nah am Rhein wie Coerwinkels Betrieb. „Das ist einfach Wahnsinn“, kann sich der Landwirt nur wiederholen.
„Ein Interview? Das ist mir zu heikel!“
Die Debatte um Tierhaltung in den Niederlanden beschäftigt nicht nur unsere Nachbarn. Auch in NRW ist das Thema sehr präsent – wie die „Solidaritäts-Demos“ deutscher Landwirte zeigen. Nicht zuletzt, weil die Sorge vor einer ähnlichen Entwicklung in Deutschland groß ist.
Doch trotz aller öffentlichen Diskussion gestaltete sich die Suche nach einem Interview-Partner schwieriger als gedacht. Gerade aus besonders von den Restriktionen getroffenen Landwirten hagelte es Absagen. „Meine Familie und ich mussten schon die Hälfte unserer Kühe abgeben. Wir haben gegen den niederländischen Staat geklagt und befinden uns aktuell noch im Rechtsstreit. Solange das der Fall ist, möchten wir keine Interviews führen“, berichtete ein Landwirt.
Auch der Frust, die Trauer und die reine Existenzangst waren Gründe, aus denen verschiedene, besonders betroffene Landwirte nicht über das für sie sehr emotionale Thema sprechen konnten oder wollten.
Wie geht es weiter?
Trotz der aktuellen Entwicklung ist der junge Landwirt aber davon überzeugt, dass er seinen Betrieb in 30 bis 40 Jahren noch an einen Nachfolger übergeben kann. „Ich bin einfach zu 100 % Bauer, deshalb werde ich alles dafür tun, jetzt zu den Landwirten zu gehören, die das überstehen“, sagt er.
Wie das gelingen soll? Zunächst hofft Coerwinkel auf ein Einlenken der Politik. Auch er hat bereits an mehreren Demonstrationen teilgenommen und ist davon überzeugt, dass die Landwirte die Politik noch davon überzeugen können, „dass die Produktion von Lebensmitteln in den Niederlanden deutlich umweltverträglicher ist, als Importe.“ Ist das nicht der Fall, „werden die Politiker spätestens wenn Lebensmittel für viele unbezahlbar werden, weil es hier kaum noch Landwirte gibt, merken, dass es ohne uns nicht geht.“
Für die Zwischenzeit sei es für ihn auch denkbar, einen Betrieb in Deutschland zu pachten oder zu kaufen. Für ihn steht jedenfalls fest, dass er weiter Kühe und Hühner halten möchte, auch um eine umweltverträgliche Kreislaufwirtschaft zu erhalten und zu optimieren: „Landwirtschaft und Tiere sind meine Leidenschaft.“
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