Kaum ein Begriff wird derzeit so häufig zitiert, wie jener der Nutztierstrategie der sogenannten Borchert-Kommission. Die heimische Nutztierhaltung steht in vielen Bereichen massiv in der Kritik. Eine Weiterentwicklung der Haltungssysteme unter Tierwohlgesichtspunkten ist dringend nötig, sonst drohen weitere Verschärfungen über das Ordnungsrecht – die jüngst in Kraft getretene Novelle der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung lässt „grüßen“. Tierwohlverbesserungen durch veränderte Haltungs- und Produktionsverfahren kosten jedoch viel Geld, welches die Landwirte mit ihren Erzeugnissen am Markt unter den derzeitigen Wettbewerbsverhältnissen in der Regel nicht erlösen.
Tierwohl kostet viel Geld
Um dieses Dilemma zu überwinden, setzt die Borchert-Kommission auf eine zielorientierte, staatliche Förderpolitik: Letztlich müsse die Tierhaltung in Deutschland in die Lage versetzt werden, den fachlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen an den Tier- und Umweltschutz zu entsprechen und trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben. Und wenn die Verbraucher die Anstrengungen der Landwirte beim Einkaufen an der Ladentheke nicht ausreichend honorieren, muss die Finanzierung halt anderweitig abgesichert werden, so der Grundgedanke der vom Agrarministerium in Berlin (BMEL) eingesetzten Expertenrunde. Unter der Leitung von Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert haben rund 30 Fachleute aus verschiedenen Sparten der Branche, aber auch aus dem Bereich des Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutzes, dazu konkrete Umsetzungsschritte erarbeitet.
Drei-Stufen-System
Dreh- und Angelpunkt ist die Etablierung einer zunächst freiwilligen, staatlichen Tierwohlkennzeichnung, die später auf EU-Ebene obligatorisch werden soll. Die Kennzeichnung erlaubt eine Differenzierung der Erzeugnisse aus verschiedenen Tierwohl-Stufen. Gestartet werden soll mit der Schweinehaltung, für die es bereits definierte Haltungskriterien gibt. Anschließend folgen Geflügel, Verarbeitungseier, Rindfleisch und Milch. Die Weiterentwicklung der Tierhaltung soll sich an den drei Stufen der geplanten BMEL-Tierwohlkennzeichnung, bzw. an den Stufen 2 bis 4 der Haltungsform-Kennzeichnung des Lebensmitteleinzelhandels orientieren:
Stufe 1 bedeutet in Anlehnung an bestehende Systeme wie der Initiative Tierwohl (ITW) unter anderem mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterialien, aber auch eine Anhebung der Mindestsäugezeit bei Sauen auf 25 Tage.
Stufe 2 steht für verbesserte Ställe mit zusätzlichem Platz, strukturierten, teilweise planbefestigten Buchten und verschiedenen Klimazonen – möglichst mit Kontakt zu Außenklima. Bei Neubauten ist der Außenklimakontakt sogar obligatorisch. Die Untergrenze für die Säugezeit erhöht sich auf 28 Tage.
Stufe 3 fordert als Premiumstufe deutlich mehr Platz als in den Stufen 1 und 2, Auslauf bzw. Weidehaltung (Rinder, Geflügel) sowie Mindestsäugezeiten von 35 Tagen in der Sauenhaltung. Das Niveau dieser Stufe orientiert sich weitgehend an den Haltungskriterien des Ökologischen Landbaus.
Weniger, aber teurer
Der Trend über alle Stufen hinweg ist klar: Bei höherem Platzangebot je Tier lassen sich in vorhandenen Ställen künftig weniger Tiere halten. Um die Tierzahl zu halten, müssten also neue Ställe gebaut oder bestehende Ställe erweitert werden. Das erhöht die Produktionskosten und ist vielerorts genehmigungsrechtlich schwierig. Daher stehen die Vorschläge unter dem Vorbehalt der baurechtlichen Umsetzbarkeit. Außerdem soll der Umbau der Tierhaltung durch einen langfristigen finanziellen Kostenausgleich begleitet werden.
Bis 2040 in Stufe 2
Als langfristiges Ziel empfiehlt das Kompetenznetzwerk die vollständige Überführung der deutschen Nutztierhaltung in Stufe 2. Für Stufe 3 wird ein Marktanteil von wenigstens 10 % angepeilt.
Die Umstellung auf höhere Tierwohlstufen soll zunächst freiwillig und durch Förderanreize erfolgen. Die Umstellungsgeschwindigkeit soll sich an der jeweiligen Ausgangssituation in den verschiedenen Tierarten orientieren und durch lange Übergangszeiträume flankiert werden.
Klar ist für die Kompetenznetzwerker um Jochen Borchert aber auch, dass der gesetzliche Standard angepasst wird – und zwar bis 2030 an die Stufe 1 sowie bis 2040 an Stufe 2. Gleichwohl müsse die Förderung auch weiterhin beibehalten werden, um die dauerhaften Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Schließlich liegen die deutschen Standards nach dem skizzierten Umbau der Nutztierhaltung deutlich über EU-Niveau und insbesondere über den Vorgaben der wichtigsten Wettbewerbsländer. Der Kostenausgleich dafür muss auf jeden Fall sicher und langfristig verlässlich sein. Dafür seien rechtzeitig die notwendigen beihilferechtlichen Voraussetzungen auf EU-Ebene sowie die umwelt- und baurechtlichen Voraussetzungen in Deutschland zu schaffen, heißt es im Bericht der Kommission.
Dauerhafter Ausgleich
Alle Beteiligten wissen, dass dieser Umbau Geld kosten wird – viel Geld und das über lange Jahre. „Die anspruchsvollen Ziele lassen sich auf absehbare Zeit jedenfalls nicht allein mit marktbasierten Maßnahmen wie Tierwohl-Labeln und gezielten Verbraucherinformationen erreichen“, so die Experten. Sie wollen die Zukunft der heimischen Tierhaltung nicht dem Markt bzw. Einkaufsverhalten der Verbraucher überlassen. Vielmehr schlägt der Kompetenzkreis vor, den Erzeugern die höheren Kosten tiergerechter Haltungsverfahren mit einer Kombination aus:
Prämien zur Abdeckung der laufenden Kosten (für alle drei Stufen, allerdings in unterschiedlicher Höhe je nach Aufwand) und einer Investitionsförderung (lediglich für die Stufen 2 und 3) auszugleichen.
Allerdings sollen nur 80–90 % der Kosten ersetzt werden. Dadurch bleiben Marktmechanismen wirksam und die Preise ergeben sich weiterhin durch Angebot und Nachfrage an Erzeugnissen der unterschiedlichen Stufen, lautet die Begründung. Hier gelte es zudem, Strategien zur Markt- und Preisdifferenzierung voranzutreiben, um Wertschöpfungspotenziale auszuschöpfen.
Nichtsdestotrotz wird der Großteil der Mehrkosten über Tierwohlprämien ausgeglichen werden müssen. Die Fachleute der Kommission haben auch berechnet, wie teuer der Umbau insgesamt wird bzw. wie hoch der Ausgleich in etwa sein müsste: Konkret wurden bislang stets Sätze von 40 Cent/kg Fleisch und Fleischverarbeitungsprodukte sowie 2 Cent/kg Milch und pro Ei sowie 15 Cent/kg Käse, Butter und Milchpulver genannt.
Finanzierungsoptionen
Das würde die heimischen Verbraucher nur rund 35 € pro Kopf und Jahr kosten. Der Gesamtförderbedarf für alle Tierarten summiert sich je nach Berechnungsweise jedoch auf etwa 1,2 bis mehr als 4 Mrd. € pro Jahr. Die Machbarkeitsstudie (siehe Seite 12 dieser Ausgabe) nennt hier etwas höhere Kosten als die Borchert-Kommission, die unter anderem mit der Geschwindigkeit des Umbaus und den Kostenansätzen für die Mehrarbeit in den alternativen Haltungsstufen zusammenhängen.
Die hohen Summen über viele Jahre erklären die aktuelle politische Zurückhaltung bei der Umsetzung der Kommissionsvorschläge: Die Finanzierung des Systemwechsels in der Tierhaltung ist im Wahljahr 2021 ein brisantes Thema. Die Bundesregierung hat sich jedenfalls noch nicht eindeutig positioniert und prüft unterschiedliche Optionen. Diese sollen schließlich für die Landwirte sicher und verlässlich sein, die Verbraucher bzw. Wähler bei der Stange halten und überdies mit dem EU-Recht vereinbar sein. Mal schauen, wie die Lösung aussieht.
Serie zum Plan
Die Borchert-Pläne können zum Meilenstein in der Entwicklung der heimischen Tierhaltung werden. Es gibt allerdings noch viele offene Fragen – nicht nur zur Finanzierung, sondern auch zu den ungeklärten bau- und genehmigungsrechtlichen Aspekten. Und nicht zuletzt müssen die Landwirte wissen, was die Vorschläge im Einzelfall für das Familieneinkommen bedeuten.
Diese und weitere Punkte möchten wir in den nächsten Wochenblatt-Ausgaben weiter vertiefen, um unsere Leser fundiert zu informieren. Das Thema ist zu wichtig, um es oberflächlich zu betrachten.