Die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz unterliegt in der Zeit vom 1. Oktober 2022 bis 31. März 2024 dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 %. Das Bundesministerium der Finanzen hat die Finanzverwaltung mit Schreiben vom 25. Oktober 2022 angewiesen, den ermäßigten Steuersatz für Erdgas und Biogas auch bei einer Lieferung per Tankwagen anzuwenden, wenn dies der Wärmeerzeugung dient. Das Bayrische Landesamt für Steuern hat mit Verfügung vom 3. März 2023 klargestellt, dass die gesetzliche Voraussetzung „über das Erdgasnetz“ auch bei der Lieferung von Biogas über eine Leitung erfüllt ist, mithin der ermäßigte USt-Satz Anwendung findet.
Was gilt in NRW?
Anfragen bei NRW-Finanzämtern führten zu unterschiedlichen Auslegungen. Die Nachfrage beim BMF ergab, dass sämtliche (Roh-)Biogaslieferungen an Betreiber von BHKW derzeit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Das Ministerium der Finanzen NRW bestätigte diese Auffassung, indem es mitteilte, dass die Lieferung von Gas über alternative Transportwege an ein BHKW insgesamt dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegt. Angeblich, heißt es aus Fachkreisen, liegt eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte innerdienstliche Bundesanweisung vor. Das wäre jedoch ein Unding: Gesetze und Verwaltungsanweisungen können nur befolgt werden, wenn sie öffentlich sind. Daher ist Biogaslieferanten zu empfehlen, mit ihren Steuerberatern bzw. Buchstellen die Abrechnung, ggf. die Berichtigung abzustimmen. Es besteht große Unsicherheit für die Praxis.
Praxishinweis: Rechtssicherheit nur durch Gesetzesänderung
Die Auffassung der Verwaltung sowohl in den Verfügungen des Bundes- und des Landes Bayern folgt nicht dem Umsatzsteuergesetz. Nach dem Wortlaut des Gesetzes greift der ermäßigte Umsatzsteuersatz in den Monaten Oktober 2022 bis März 2023 für die Lieferung von „Gas über das Erdgasnetz“. Der Begriff „das Erdgasnetz“ dürfte nach Ansicht von Steuerexperten weder die Lieferung per Tankwagen noch die Lieferung von Rohbiogas umfassen, da dieses ohne Aufbereitung nicht über das Erdgasnetz geliefert wird. Unstreitig greift der ermäßigte Umsatzsteuersatz im o. g. Begünstigungszeitraum für die Lieferung von aufbereitetem Biogas über das Erdgasnetz.
Auch wenn die Bundesverfügung die Finanzverwaltungen aller Bundesländer und die umfassendere bayrische Verfügung darüber hinaus die bayrische Verwaltung bindet, bleibt die Reaktion der Gerichte abzuwarten. Diese sind nur an das Gesetz gebunden.
Bundeseinheitliche Verfügung fehlt
Im Besteuerungs- und Einspruchsverfahren können Gaslieferanten sich unmittelbar auf die o. g. Verwaltungsanweisungen ihres Bundeslandes berufen. Eine weitergehende bundeseinheitliche Verfügung, nach der sämtliche Gaslieferungen an BHKW-Betreiber dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen, ist nicht bekannt. Die Mitteilung des BMF an die Redaktion bindet weder Finanzverwaltung noch Gerichte. Darauf weisen Fachexperten für Steuerrecht hin. Klagen gegen den Gesetzeswortlaut lassen nur auf geringe Erfolgschancen hoffen.
Hinweise für Biogaslieferanten
Biogaslieferanten müssen gut abwägen, welchen Umsatzsteuersatz sie berechnen. Weisen sie zu wenig Umsatzsteuer aus, haften sie für die Differenz. Wenn sie diese beim Abnehmer nicht eintreiben können, bleiben sie auf Nachzahlungen sitzen. Weisen sie zu viel Umsatzsteuern aus, schulden sie diese Mehrsteuer während der Abnehmer diese nicht als Vorsteuer in Abzug bringen kann. Der Abnehmer kann auf Vorsteuerrückzahlungen sitzen bleiben und muss abwägen, wieviel Umsatzsteuer er zahlt. Daneben bestehen Zinsrisiken aus Steuernach- oder -rückzahlungen z. B. nach Betriebsprüfungen.
Für den Monat Oktober 2022 gewährt das o. g. BMF-Schreiben eine Nichtbeanstandungsregelung. Für die weiteren Monate fehlt diese für die Praxis wünschenswerte Nichtbeanstandungsregelung. Da sich Umsatzsteuer und Vorsteuer auf dieser Handelsstufe systemkonform ausgleichen, besteht laut Steuerexperten für den Fiskus faktisch kein Ausfallrisiko.
Die Verbände sind gefordert, Klarheit zu verlangen, um eine bundeseinheitliche Anwendung des Umsatzsteuergesetzes sicher zu stellen. Sowohl § 85 AO als auch Art 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verlangen eine Anwendung der Gesetze. Darauf weisen Steuerexperten hin. Eine zeitliche Ausdehnung der Nichtbeanstandungsregelung oder eine bundeseinheitliche Verwaltungsanweisung helfen im Besteuerungsverfahren.
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