Je weniger Probleme es mit der Beschaffung der Nahrung gibt, desto mehr Sorgen machen sich die Menschen wegen der Sicherheit der Lebensmittel. Diese einfache Wahrheit bereitet heute vielen Landwirten, ja der Landwirtschaft schlechthin Probleme. Denn Angst und Sorge sind nicht immer rational. Echte und gefühlte Risiken oder Gefahren klaffen oft weit auseinander, insbesondere wenn es um Lebensmittel geht.
Nur wenige werden das besser wissen als Andreas Hensel. Der Wissenschaftler, Professor am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), ist verantwortlich für eine Vielzahl von eben solcher Risikobewertungen, insbesondere im Zusammenhang mit Lebensmitteln. Aus seinem Haus stammten unter anderem die Papiere, die als Basis für die Wiederzulassung des Wirkstoffs Glyphosat dienten.
Dr. Google macht’s möglich...
Beim Landvolktag in Osnabrück am Dienstag erklärte Prof. Hensel unterhaltsam, aber ernsthaft , wie und warum Menschen bestimmte Gefahren und Risiken über- oder unterschätzen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kommunikation in den Medien und den sogenannten sozialen Netzwerken, aber auch der technische Fortschritt. Heute lassen sich Rückstände von potenziell gefährlichen Stoffen in viel, viel geringeren Mengen nachweisen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Früher hat man sie gar nicht gefunden, und oft sind sie heute in wesentlich niedrigeren Konzentrationen vorhanden als damals – werden aber nachgewiesen und schon allein deshalb als gefährlich angesehen.
Reale Risiken oder Gefahren werden dagegen unterschätzt, beispielsweise ernsthafte Erkrankungen, die nichts mit Lebensmitteln zu tun haben, Verkehrsunfälle oder auch Blitzschlag. Und wer sich Gedanken um angeblich krebserregendes Glyphosat macht, sollte vor allem auf Alkohol und Tabak verzichten. Deren krebserregende Wirkung ist nachgewiesen. Der größte Risikofaktor für das Auftreten einer Krebserkrankung ist allerdings das Alter...
„Wissen bedeutet nichts“, konstatierte Hensel, „die Vorstellungskraft des Menschen alles“. Ein Problem dabei ist: Die letzte Instanz der Glaubwürdigkeit gibt es nicht mehr. Die Menschen glauben, was sie im Fernsehen sehen, im Radio hören oder in Zeitungen und Zeitschriften lesen. Dabei transportieren Medien laut Hensel nicht in erster Linie Informationen, sondern Aufmerksamkeit. Und letztlich kann praktisch jedermann sich zu einem beliebigen Thema in einer Viertelstunde so viele Informationen aus dem Internet „saugen“, dass er sich zumindest als Experte fühlt. „Dr. Google macht’s möglich!“, frotzelte der Professor.
Rückstand bedeutet nicht illegal
Für die Landwirtschaft sind Diskussionen um Rückstände von Pflanzenschutzmitteln besonders problematisch. An sich, bekräftigte Prof. Hensel, sind Rückstände erstens „normal“, also unvermeidlich, und zweitens unproblematisch – solange sie in einer entsprechend niedrigen Konzentration vorliegen. Die Sicherheitsabstände vom erlaubten Rückstandshöchstgehalt bis zu dem Wert, der eine Gesundheitsgefahr darstellt, ist extrem groß. Der reine Nachweis eines Wirkstoffs in Lebensmitteln bedeutet kein Risiko, sofern die zulässigen Höchstgehalte unterschritten werden.
Viele Menschen deuten das Risiko aber anders. Und noch schlimmer: Zwei Drittel aller Deutschen halten jegliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln für illegal. Das stimmt zwar nicht, aber verunsichert die Verbraucherinnen und Verbraucher oft massiv.
Ein Patentrezept für die Bauern, mit dem sie auf die Angst der Verbraucherinnen reagieren könnten, gibt es nicht. Krisenkommunikation ist wichtig, betonte Hensel, und zwar auch in den sozialen Medien, gegenüber Verbrauchern, Behörden und anderen Zielgruppen. Nicht alle sind wirklich zu erreichen, aber versuchen muss man es trotzdem. ri
- Einen ausführlichen Bericht über den Landvolktag in Osnabrück finden Sie in der Wochenblatt-Ausgabe 8/2018 vom 22. Februar.