Trotz Unfalltod kein Helfer

Nach dem Unfalltod ihres Mannes Theo hatte Sabine S. aus Hamminkeln gehofft, dass ihr der Betriebshilfsdienst Borken-Bocholt sofort einen Betriebshelfer vermittelt. Der aber musste der Witwe eine Absage erteilen.

Sabine S. ist enttäuscht. Die Rentnerin, 66, kann die Absage des Betriebshilfsdienstes (BHD) Borken-Bocholt nicht verstehen.„Mein Mann Theo war 25 Jahre freiwilliges Mitglied im BHD. Nur ein einziges Mal hat er einen Betriebshelfer beansprucht. Jetzt ist er plötzlich verstorben und ich bekomme keinen Helfer“, sagt die Bäuerin.

Was ist passiert?

Familie S. bewirtschaftet in Hamminkeln am Niederrhein, Kreis Wesel, einen Milchviehbetrieb mit etwa 130 Kühen. Daneben haben sich die Eheleute mit ihren zwei Söhnen ein landwirtschaftliches Lohnunternehmen aufgebaut. Auf ihren Feldern bauen sie unter anderem Spinat an.

Am Mittwochmorgen, 7. September, fuhr Theo S. auf das Feld eines Nachbarn. Der Landwirt wollte die Beregnungsanlage kontrollieren. Eine Rohrleitung war verstopft. Als er die Sperre unter einem Gullydeckel öffnete, traf ihn völlig unerwartet ein Wasserstrahl wie ein Geschoss. Eine zum Herz führende Ader platzte.Der Notarzt konnte nur noch den Tod des 60-jährigen feststellen.

Obwohl der Betrieb im Rheinland (Kreis Wesel) liegt, war Theo S. seit vielen Jahren Mitglied des BHD Borken-Bocholt. Nach dem tragischen Unglück hatte Sabine S. gehofft, dass der BHD sofort einen Betriebshelfer auf ihren Hof schickt. „Mein Mann hat jeden Tag bis zu 16 Stunden gearbeitet. Sein Tod und der Ausfall seiner Arbeitskraft waren für uns eine Katastrophe“, erzählt die Witwe.

Gleich am nächsten Tag rief sie auf der BHD-Geschäftsstelle in Borken an: „Wir brauchen einen Betriebshelfer.“ Doch weder die Einsatzleitung noch die beiden Geschäftsführer Hendrik Vestert und Gisbert Tenhofen konnten ihr eine Zusage geben. Es folgten einige Telefonate. Zuerst im freundlichen, später im rauen Ton. So kurz nach dem Tod ihres Mannes lagen bei der Witwe die Nerven blank.

Die Rechtslage ist eindeutig

Warum hat der BHD Sabine S. keinen Betriebshelfer vermittelt? Ulrich Kock, Geschäftsführer des Kuratoriums für die Betriebshilfsdienste und Maschinenringe in Westfalen-Lippe, erläutert die Rechtslage: Beim Tod ihres Ehemannes war Sabine S. bereits Rentnerin. Mit 66 Jahren hat sie ihre Regelaltersgrenze überschritten. Sie kann nicht mehr versicherungspflichtige Unternehmerin werden, weil sie altersbedingt in der landwirtschaftlichen Alterskasse versicherungsfrei ist.

AK-Befreiung gut überlegen
Gisbert Tenhofen, 63, ist seit vielen Jahren Geschäftsführer und ehrenamtlicher Vorsitzender des BHD Borken-Bocholt (1100 Mitglieder, 25 Betriebshelfer), bedauert, der Familie S. nicht helfen zu können. „Der Fall ist bei uns die absolute Ausnahme, weil Sabine S. bereits ihre Regelaltersrente bezieht.“ Nach Erfahrung von Tenhofen lassen sich heute viele jüngere Bäuerinnen von der Beitragspflicht zur Alterskasse befreien, weil ihnen die Beitragslast zu hoch erscheint (Beitrag 2016: 236 €/Monat). Um die Voraussetzungen für die AK-Befreiung zu erfüllen (Einkommen über 450 €/Monat), lassen Eheleute zum Beispiel eine PV-Anlage auf den Namen der Ehefrau laufen.
Doch die Befreiung kann für eine Familie zum Bumerang werden, wenn die Bäuerin aufgrund einer schweren Erkrankung wochen- oder monatelang ausfällt. Tenhofen: „Auch in diesen Fällen kann der BHD keine Helferin vermitteln, weil die Alterskasse den Einsatz nicht refinanziert.“ Insbesondere Eheleute, die einen Milchviehbetrieb bewirtschaften oder die kleine Kinder haben, sollten genau überlegen, ob die Bäuerin der Alterskasse den Rücken kehrt, empfiehlt Tenhofen. „Die Not auf einem Hof ist groß, wenn die Bäuerin als Arbeitskraft ausfällt und der BHD keine Helferin vermitteln kann.“ As

Im Klartext: Die Alterskasse hätte Sabine S. den Betriebshelfer bezahlt, wenn sie nach dem Tod ihres Mannes Betriebsleiterin (Unternehmerin) geworden und zum Beispiel 63 oder 64 Jahre gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Alterskasse einen BHD-Helfer für maximal zwölf Monate in einem zweijährigen Zeitraum finanziert, wenn die Witwe den Hof fortführt hätte.

Einsatz vom BHD bezahlt?

Hätte der BHD Borken-Bocholt der Witwe den Betriebshelfer auch auf eigene Kosten vermitteln können? Ein solcher Einsatz ist teuer, er kostet dem BHD grob geschätzt bis zu 240 €/Tag. „Die Kosten tragen wir in diesen Ausnahmefällen nur dann, wenn die Not auf einem Hof sehr groß ist, wenn etwa nach dem Tod eines Mitgliedes zum Beispiel kleine Kinder zu versorgen sind,“ sagt Gisbert Tenhofen.

Ein solcher Ausnahmefall liege bei Familie S. aber nicht vor, so der Geschäftsführer weiter. Die zwei erwachsenen Söhne der Witwe, beide sind ausgebildete Landwirte, stünden als Arbeitskräfte voll zur Verfügung. Tenhofen: „Wir bemühen uns wirklich, in jedem Einzelfall bei Unfall oder Tod eine gerechte Lösung für die Familie zu finden. Sabine S. können wir aber nicht helfen, weil die Alterskasse den Betriebshelfer nicht bezahlt und kein akuter Notfall besteht.“

Theo S. hat in einem Erbvertrag angeordnet, dass ein Sohn den Milchviehbetrieb und der andere das gewerbliche Lohnunternehmen fortführen soll. Beide Söhne sind bislang als mithelfende Familienangehörige („Mifas“) in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung und der Alterskasse versichert. In Zukunft wird der Sohn, der den Hof fortführt, als Unternehmer versichert; er wird dann selbst einen Anspruch auf einen Betriebshelfer haben.

Sabine S. will ihre Söhne auch in Zukunft nach Kräften unterstützen, soweit es ihre Gesundheit zulässt. Sie ist über die Auskünfte verbittert. „Gerade wegen der Möglichkeit, schnell einen Betriebshelfer zu bekommen, war mein Mann vor Jahren Mitglied beim BHD Borken-Bocholt geworden. Deshalb bin ich ja so enttäuscht.“ Armin Asbrand