"Tief Mitteleuropa": Eine gefährliche Wetterlage

Seit zwei Wochen wechseln sich feuchtwarme Sonnentage, Gewitterfronten und Starkregen ab: Sturzbäche im Süden, ein Tornado in Hamburg, Münster unter Wasser, selbst die sonst harmlose Issel zerrte an ihren Deichen. Was ist da los?

Seit zwei Wochen wechseln sich feuchtwarme Sonnentage, Gewitterfronten und Starkregen ab: Sturzbäche im Süden, ein Tornado in Hamburg, Münster unter Wasser, verschüttete S-Bahn-Gleise im Ruhrgebiet. Selbst die sonst harmlose Issel zerrte an ihren Deichen. Was ist da los?

Tiefdruckgebiete haben es in Deutschland meist nicht leicht. Aufgrund der vorherrschenden Westwind-Strömungen vom Atlantik ziehen sie in der Regel von West nach Ost durch. Seit der letzten Mai-Woche ist das anders. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) hat sich seither ein Tiefdruckgebiet über Mitteleuropa festgesetzt, dass von einem Dauer-Hoch über dem Norden Europas am Weiterzug gehindert wird.

Diese sommerliche Großwetterlage gilt als besonders schadenträchtig und ist selten, aber keineswegs einzigartig. Meteorologen haben für sie sogar einen festen Namen: "Tief Mitteleuropa". Thomas Deutschländer vom Deutschen Wetterdienst hat sie am Dienstag, 7. Juni, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk folgendermaßen beschrieben:

"Die Wetterlage ist häufig wirklich mit sehr starken Niederschlägen verbunden über Mitteleuropa. Ein in der Regel sehr stationäres, also sprich: ortsfestes Tief, was von der Lage und von den Strömungsverhältnissen her, die sich dann in Europa einstellen, dazu führt, dass feucht-warme Luftmassen aus dem Mittelmeerbereich nach Deutschland oder Mitteleuropa geführt werden. Die treffen dann hier auf kältere Luftmassen von Norden. Und das Ganze führt dann eben dazu, dass es zu diesen heftigen Starkniederschlägen kommt, weil dann auch so viel Wasser in der Atmosphäre ist."

Ein Zeichen des Klimawandels?

Die Großwetterlage des "Tiefs Mitteleuropa" hat bereits die sogenannten Jahrhunderthochwasser 2002 und 2013 verursacht und tritt laut Deutschem Wetterdienst "grundsätzlich eher selten" auf: Derzeit an durchschnittlich etwa 9 bis 15 Tagen im Jahr.Die Zahl der Tage schwanke "von Jahr zu Jahr sehr stark", nehme aber langfristig zu.

Die Wetterforscher gehen für einen Zeitraum von 150 Jahren (1950-2100) von einem Zuwachs um über 50 % aus. Das heißt: In den 1950er Jahren war ein "Tief Mitteleuropa" an etwa 8 bis 10 Tagen zu beobachten, bis 2100 steige diese Zahl laut DWD "auf maximal 17 Tage pro Jahr".

Die Forschung vermutet, dass die Intensität und Häufigkeit von Starkniederschlägen weiter zunimmt. Das wird zumeist damit begründet, dass

  • mit zunehmender Erwärmung die Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen könne und damit
  • mehr Wasserdampf zur Niederschlagsbildung zur Verfügung stehe.

Die erstgenannte Vermutung lasse sich klar durch Satellitenmessungen nachweisen, so der DWD. Die Schlussfolgerung aber, durch den höheren Wasserdampfgehalt komme es zu stärkeren Niederschlag, sei bislang nicht bewiesen. Der physikalische Zusammenhang sei "deutlich komplexer, sowohl theoretisch als auch bei den Daten der tatsächlichen Beobachtungen", so der DWD.

Nach Messungen des Wetterdienstes erreichten in den vergangenen Tagen die meisten Gewitter in Deutschland Niederschlagsmengen von etwa 25 mm pro Stunde. Im Extremfall seien mehr als 100 mm pro Stunde erreicht worden. Die genannten stündlichen Werte tauchten etwa alle zehn Jahre auf, so der Wetterdienst beim Blick in seine langfristigen Datenreihen. Die "Wiederkehrzeit" für die extremsten Stundensummen liege bei "über 100 Jahre".

Warum gibt es Überschwemmungen?

Diese Extremfälle führen zu Überschwemmungen, wenn der Boden die Wassermengen nicht mehr aufnehmen kann. Wissenschaftler sprechen von der "Infiltrationsfähigkeit des Bodens". Niedrig sei sie einerseits bei zu trockenem Boden, andererseits bei "zunehmender Bodenfeuchte im Laufe eines Niederschlagsereignisses". Als weitere Gründe für Überschwemmungen nennt der DWD:

  • den Anteil der versiegelten Fläche im Einzugsgebiet,
  • der zum Zeitpunkt des Ereignisses bestehende Pflanzenbestand auf den landwirtschaftlich genutzten Feldern und
  • die Kapazität des Kanalisationssystems.

Von entscheidender Bedeutung für die Entstehung lokaler und regionaler Hochwasserschäden ist das Bodenrelief. "In ebenen Regionen bliebt das Wasser eher an Ort und Stelle stehen", erläutert der DWD. "Je stärker das Terrain geneigt ist, umso schneller sammelt sich das Wasser in Senken und Tälern und fließt dort ab."

Das ist der Grund, warum der ebenere Norden Deutschlands bislang vergleichsweise glimpflich davon gekommen ist – zumindest im Vergleich zu den zum Teil katastrophalen Schäden in einzelnen Orten Bayerns und Baden-Württembergs, wo im "strukturierteren Terrain" (DWD) das Wasser "eher zu Sturzfluten zusammenläuft".

Ein Dorf im Trichter

In Braunsbach (Baden-Württemberg) etwa sind laut Wetterdienst im Einzugsbereich mehrere kleinerer Bäche in einer Stunde mehr als 90 mm Niederschlag gefallen. Diese Wassermengen haben in nur wenigen Tälern ihren Abfluss gefunden, die in Jagst und Kocher münden. Der DWD weist auch auf Steilhänge an Mosel, Rhein und Elbe hin, wo die intensiven Niederschläge Erdrutsche ausgelöst haben. Von Hagelschäden betroffen waren der Rheingau, der mittlere Thüringer Wald, das östliche Vogtland sowie das westliche Erzgebirge. Str.